Von wegen besinnliche Zeit: Auf der Insel gehts richtig zur Sache

Während halb Europa sich auf dem Sofa zurücklehnt, machen sich die Fussballfans auf der Insel ins Stadion auf. Die Tradition, am zweiten Weihnachtstag zu kicken, verstehen nicht alle, spannend ist der Boxing Day dennoch – auch wenn Chelsea FC gegen West Ham United sehr viel Nächstenliebe zeigte.

Chelsea's Branislav Ivanovic (R) argues with West Ham United's Andy Carroll during their English Premier League soccer match at Stamford Bridge in London, December 26, 2014. REUTERS/Stefan Wermuth (BRITAIN - Tags: SOCCER SPORT) FOR EDITORIAL USE ONLY. NOT FOR SALE FOR MARKETING OR ADVERTISING CAMPAIGNS. EDITORIAL USE ONLY. NO USE WITH UNAUTHORIZED AUDIO, VIDEO, DATA, FIXTURE LISTS, CLUB/LEAGUE LOGOS OR 'LIVE' SERVICES. ONLINE IN-MATCH USE LIMITED TO 45 IMAGES, NO VIDEO EMULATION. NO USE IN BETTING, GAMES OR SINGLE CLUB/LEAGUE/PLAYER PUBLICATIONS. (Bild: STEFAN WERMUTH)

Während halb Europa sich auf dem Sofa zurücklehnt, machen sich die Fussballfans auf der Insel ins Stadion auf. Die Tradition, am zweiten Weihnachtstag zu kicken, verstehen nicht alle, spannend ist der Boxing Day dennoch – auch wenn Chelsea FC gegen West Ham United sehr viel Nächstenliebe zeigte.

Das ganze Abendland legt die Füsse hoch, das ist wie jedes Jahr die Chance der Briten. Sie strömen hinaus, ganze Familien mit grauen Gesichtern, in die grauen Strassen unter dem grauen Himmel, in stiller, fröstelnder Pflichterfüllung. Irgendjemand muss es ja machen.

Boxing Day, Fussball am zweiten Weihnachtstag, ist im Zeitalter der Premier League zu einem eigenen, vom christlichen Hintergrund gänzlich unabhängigen Feiertag geworden, an dem die Insulaner ihre Andersartigkeit zelebrieren und das British Empire wieder die Welt regiert, zumindest auf den Bildschirmen, zumindest für ein paar Stunden. Football’s coming home.

Den in den Vereinen beschäftigten Ausländern kommt das beim ersten Mal alles höchst merkwürdig und vor allem übertrieben vor. «Verrückt, unmöglich», nannte der Niederländer Ronald Koeman (Coach von Southampton) den Spielplan zwischen den Jahren. Sein Landsmann, Manchester-United-Trainer Louis van Gaal, gab seinen Kickern am 25. Dezember gar frei, diese hierzulande unerhörte Massnahme lässt sich als versteckter Protest verstehen. «Ich glaube an den Spieler als Mensch, deswegen ist auch sein Umfeld wichtig», sagte der Niederländer. «Es ist besser, wenn sie mit ihren Frauen und Kindern zusammen sind.»

«Boxing Day»-erprobtere Menschen wissen dagegen, dass Widerstand zwecklos ist. José Mourinho, der selbsterklärte Verteidiger «britischer Werte», versicherte, wie sehr er den Weihnachtsfussball liebe. Vor dem Londoner Derby gegen das überraschend starke West Ham United (Platz vier) hatte sich der Portugiese dazu, wie zum Beweis, auch ungewöhnlich festtagsmilde gezeigt und seinem Gegenüber jede Menge Honig – oder Gänseleberpastete? – ums Maul geschmiert.

Liebenswürdigkeiten gibst nur vor dem Spiel, dann sogar von Mourinho.

«Big» Sam Allardyce sei für ihn möglicherweise der «Trainer des Jahres», säuselte Mourinho, «mit einer Mannschaft, die jeder im Abstiegskampf erwartet hatte, Vierter zu sein, ist fantastisch.» Im Vorjahr hatte der Chelsea-Boss sich nach dem 0:0 gegen die «Hammers» an der Stamford Bridge über «Fussball aus dem 19. Jahrhundert» von der damals arg destruktiven Gastmannschaft echauffiert. Doch das seien «dumme, blöde Worte» gewesen, entschuldigte er sich unter der Woche.

Tatsächlich haben die Ost-Londoner mit (von den Klubeigentümern David Gold und David Sullivan explizit gewünschtem) Offensivfussball die beste Hinrunde seit 1985 gespielt und jetzt schon 31 von jenen 40 Punkten erreicht, die 2013/14 den Klassenerhalt sicherten. Für höhere Aufgaben kommt Allardyces Truppe trotzdem eher nicht in Frage. Bei Chelseas 2:0-Sieg (1:0) am Freitagmittag erwies sich West Ham als einigermassen gut organisierte Elf ohne besondere Fähigkeiten.

Ihr Spiel ist ganz auf Mittelstürmer Andy Carroll fixiert, jenen Mann, der 2011 für irrwitzige 45 Millionen Euro von Newcastle zu Liverpool wechselte. Ohne Flanken von den Aussenpositionen, die Chelsea konsequent und der Coolness einer Klassemannschaft zustellte, berührte der 25-Jährige den Ball nur mit dem Rücken zum Tor, 30 Meter vor Thibaut Courtois‘ Kasten. West Ham bekam nicht mal die Chance, zu einer Chance zu kommen.



Chelsea's John Terry (L) scores a goal against West Ham United during their English Premier League soccer match at Stamford Bridge in London, December 26, 2014. REUTERS/Stefan Wermuth (BRITAIN - Tags: SOCCER SPORT) FOR EDITORIAL USE ONLY. NOT FOR SALE FOR MARKETING OR ADVERTISING CAMPAIGNS. EDITORIAL USE ONLY. NO USE WITH UNAUTHORIZED AUDIO, VIDEO, DATA, FIXTURE LISTS, CLUB/LEAGUE LOGOS OR 'LIVE' SERVICES. ONLINE IN-MATCH USE LIMITED TO 45 IMAGES, NO VIDEO EMULATION. NO USE IN BETTING, GAMES OR SINGLE CLUB/LEAGUE/PLAYER PUBLICATIONS.

Humorlos verwertet: John Terry erzielt nach einem Eckball das 1:0 per Kopf. (Bild: STEFAN WERMUTH)

Mit dem 1:0, einem John-Terrys-Ecken-Abstauber (32.), waren die harmlosen Gäste zur Halbzeit bestens bedient. Das Geschehen war so einseitig, dass sich sogar die United-Fans einen besseren Gegner für die völlig überlegenen Hausherren wünschten. «Barcelona wird euch kriegen», skandierten sie. Über diese Drohung können die Anhänger des Tabellenführers jedoch entspannt lächeln. Chelsea ist derzeit nicht nur die einzige englische Mannschaft, der man volle Funktionstüchtigkeit nachsagen kann, sondern auch im internationalen Vergleich eine ausgewachsene, perfekt konfigurierte Sieg-Maschine.



Chelsea's Oscar (ON GROUND) is challenged by West Ham United's Enner Valencia during their English Premier League soccer match at Stamford Bridge in London, December 26, 2014. REUTERS/Stefan Wermuth (BRITAIN - Tags: SOCCER SPORT) FOR EDITORIAL USE ONLY. NOT FOR SALE FOR MARKETING OR ADVERTISING CAMPAIGNS. EDITORIAL USE ONLY. NO USE WITH UNAUTHORIZED AUDIO, VIDEO, DATA, FIXTURE LISTS, CLUB/LEAGUE LOGOS OR 'LIVE' SERVICES. ONLINE IN-MATCH USE LIMITED TO 45 IMAGES, NO VIDEO EMULATION. NO USE IN BETTING, GAMES OR SINGLE CLUB/LEAGUE/PLAYER PUBLICATIONS.

Einer der Erfolgsgaranten bei Chelsea: Oscar kämpft auch noch am Boden liegend um den Ball. (Bild: STEFAN WERMUTH)

In der stets geschlossen verschiebenden Defensive verteidigt Kapitän Terry, 34, mit grimmiger Entschlossenheit wie eh und je. Nemanja Matic und Cesc Fàbregas bilden ein kongeniales Paar vor der Abwehr, die drei offensiven Mittelfeldspieler Willian, Oscar und der von Spiel zu Spiel stärker werdende Eden Hazard variieren ständig die Positionen und schalten bei Ballverlust sofort in den Hochgeschwindigkeits-Gegenpressing-Modus.



Chelsea's Diego Costa (2nd R) shoots to score a goal against West Ham United during their English Premier League soccer match at Stamford Bridge in London, December 26, 2014. REUTERS/Stefan Wermuth (BRITAIN - Tags: SOCCER SPORT TPX IMAGES OF THE DAY) FOR EDITORIAL USE ONLY. NOT FOR SALE FOR MARKETING OR ADVERTISING CAMPAIGNS. EDITORIAL USE ONLY. NO USE WITH UNAUTHORIZED AUDIO, VIDEO, DATA, FIXTURE LISTS, CLUB/LEAGUE LOGOS OR 'LIVE' SERVICES. ONLINE IN-MATCH USE LIMITED TO 45 IMAGES, NO VIDEO EMULATION. NO USE IN BETTING, GAMES OR SINGLE CLUB/LEAGUE/PLAYER PUBLICATIONS.

Ein ebenbürtiger Nachfolger für Didier Drogba – Diego Costa zimmert den Ball zum 2:0 ins Tor von West Ham. (Bild: STEFAN WERMUTH)

Und in Mittelstürmer Diego Costa, dem Torschützen des zweiten Treffers (62.), hat Mourinho den legitimen Nachfolger von Altmeister Didier Drogba gefunden, den sein streng geplanter Güterzugfussballl braucht; eine technisch beschlagene Dauernervensäge, die Gegenspieler unablässig mit Ellbogen und Schubsern malträtiert und noch dazu weiss, wo das Tor steht. Das Match hätte auch 7:0 ausgehen können.

Am Sonntag muss der gefühlte Meister schon wieder weiter zum nächsten Termin, gegen Southampton, aber rein gar nichts deutet momentan drauf hin, dass sich Mourinhos Elf von dem überdrehten Tempo aus dem Rhythmus bringen lässt. Überraschende Ergebnisse, wie es die Tradition auf der Insel zu dieser Jahreszeit eigentlich vorschreibt, sind mit diesem Chelsea nicht zu machen.

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Telegramm und Statistiken bei den Kollegen vom «Transfermarkt».

Mindestens einen Klick wert ist auch die andere traditionelle Beschäftigung in England am Stephanstag: das Jagen, empfehlenswerte Bildstrecke des «Guardian».

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