Seit Monaten reden wir davon, am Mittwoch ist es endlich soweit. Die Bundesversammlung wählt den Bundesrat. Nach den Fraktionssitzungen vom Dienstagnachmittag deutet alles auf den Status quo. Die TagesWoche berichtet an dieser Stelle laufend und wird auch den Wahlmittwoch mit einem Live-Ticker begleiten.
19.45 Uhr: Erste Zusammenfassung
Nach den Hearings und bevor wir uns in die Bellevue-Bar verabschieden (Chris von Rohr wurde bereits gesichtet – wie aufregend!) eine kurze Zusammenfassung des Dienstagnachmittags im Bundeshaus. Festgehalten werden können drei Dinge: Eveline Widmer-Schlumpf wird es wohl schaffen. Die FDP wird wohl weiterhin zwei Sitze im Bundesrat behalten. Und von den beiden SP-Kandidaten ist Alain Berset trotz dem guten Eindruck, den Pierre-Yves Maillard allenthalben hinterlassen hat, immer noch leicht im Vorteil.
Diese drei Aussagen kommen zustande, weil sich die Parteien seit vergangener Woche nicht mehr bewegt haben. Bereits vor einer Woche war klar, dass der Status quo das mit Abstand wahrscheinlichste Szenario für den Ausgang der Bundesratswahlen sein würde. Bewegung wäre entstanden, wenn die SVP auf das Ultimatum der SP eingetreten wäre und offiziell um Unterstützung beim Angriff auf einen FDP-Sitz gebeten hätte. Doch die SVP-Führung liess die Frist am Dienstagmittag ungenutzt verstreichen – und tat sich stattdessen an Kartoffelsalat und Wienerli im Café des Bundeshauses gütlich, wie es der Tagesanzeiger anschaulich beschreibt.
Vorläufige Gewinnerin des Bundesratspokers ist die SP. Sie hat den Diskurs diktiert – und wird selbst bei einem möglichen Angriff der SVP ihre zwei Sitze ins Trockene bringen. Wie gut die Strategie der Sozialdemokraten bisher aufgegangen ist, lässt sich am Verhalten der SVP ablesen. Giftig, zürnend, drohend gebärdete sich Toni Brunner am frühen Dienstagabend. «Wer die Konkordanz bricht, auf den fällt das irgendwann zurück», sagte der Parteipräsident. Gleichzeitig gab er sich bemüht optimistisch – und wirkte dabei unendlich müde. Noch nichts sei entschieden, und der zweite Wahlgang werde viel spannender, als alle denken würden. «Natürlich werden heute Abend noch Gespräche stattfinden», sagte Brunner und tönte dabei etwas geheimnisvoll.
Woher der SVP-Präsident seine Gewissheit nimmt – er wollte es nicht verraten. Nimmt man einzig die offiziellen Verlautbarungen der Parteien zum Massstab, wird es nichts aus dem zweiten Bundesratssitz für die SVP. Die SP-Fraktion (57 Stimmen), die Grünen (17) und die Mehrheit von CVP (44), BDP (10) und GLP (14) haben sich gegen einen zweiten SVP-Sitz ausgesprochen. Macht insgesamt 142 mögliche Stimmen. Rechnet man die paar Abweichler aus der FDP-Fraktion hinzu, müssen Brunner und Baader und Blocher heute Abend mindestens zwanzig Parlamentarier finden, die von der Fraktionsmeinung abweichen. Das dürfte schwierig werden.
Die SP-Frage
Ob all der SVP-Hektik ging der Kampf um den siebten Bundesratssitz etwas in Vergessenheit. Der Freiburger Ständerat Alain Berset und der Waadtländer Regierungsrat Pierre-Yves Maillard werden durchs Band weg von den Parteien als «sehr fähig» und «bundesratstauglich» bezeichnet. Berset startete mit einem Vorsprung ins Rennen. Man kennt sich halt schon. Und Maillard wurde – noch kurz nach seiner Nomination – als «Ultralinker» und «zu dominant» beschrieben. Im Verlauf der Hearings hat sich diese Haltung etwas abgeschwächt. Mit seinem Bewerbungsschreiben an alle Parlamentarier und seinen Auftritten vor den Fraktionen hat Maillard einigen Boden gutgemacht.
Nur – anscheinend zu wenig. Als einzige Fraktion hat die GLP eine Wahlempfehlung ausgegeben: Die Grünliberalen werden grossmehrheitlich Berset wählen. Auch in den anderen Parteien ist ein leichtes Übergewicht für Berset festzustellen. Selbst nach seinen guten Auftritten in den Fraktionen haftet Maillard immer noch der Nimbus des zu Starken, zu Dominanten, zu Aussergewöhnlichen an. Berset ist da vielmehr nach dem Geschmack des Parlaments. Konziliant, verlässlich, solide, etwas langweilig. Guter Durchschnitt halt. Wie viele Bundesräte.
18.30: Die GLP – Keine Unterstützung für die SVP
Nach dem Fall Zuppiger ist bei Grünliberalen nichts mehr wie zuvor. Zwar habe weder die BDP einen Anspruch auf einen Sitz im Bundesrat noch die FDP auf deren zwei, aber: «Die Entwicklungen in den vergangenen Tagen haben uns zum Schluss gebracht, die SVP grossmehrheitlich nicht zu unterstützen» Tiana Angelina Moser, frische Fraktionspräsidentin der GLP, begründet den Entschluss mit dem Vertrauen, das durch die Querelen rund um die Kandidatur von Bruno Zuppiger nachhaltig gestört sei. Die Stabilität des Systems und die 4:3-Mehrheit für die Energiewende seien weitere Gründe, die für den Status quo sprechen würden. Darum werde die GLP nun im zweiten Wahlgang «grossmehrheitlich» Eveline Widmer-Schlumpf unterstützen und im sechsten Wahlgang nur noch «mehrheitlich» Johann Schneider-Ammann von der FDP.
Als einzige Partei gibt die GLP auch eine klare Wahlempfehlung für den SP-Sitz ab: Wiederum «grossmehrheitlich» gehen die Stimmen der Grünliberalen an Alain Berset.
18.00 Uhr: Die SVP – Letztes Aufbäumen
Keine offizieller Termin, keine offizielle Strategie, kein Gerempel vor dem Fraktionszimmer gleich unter dem Dach des Bundeshauses. Nur Toni Brunner. Der Präsident der SVP kommt alleine aus dem Zimmer seiner Fraktion und sieht müde aus. Unendlich müde. Bleich um die Nase, das Lächeln verkrampft. Er will nicht reden, zuerst auf jeden Fall, aber dann streckt ihm eine kecke Reporterin des Fernsehens das Mikrofon vors Gesicht.
Und Brunner spricht. Es habe Bewegung gegeben in den letzten Tagen, «in eine gute Richtung». Alle jene, die den Sitz von Eveline Widmer-Schlumpf schon gesichert wähnten, würden sich noch täuschen. «Es wird viel spannender, als Sie denken.» Es habe aus verschiedenen Fraktionen Signale gegeben, sagt Brunner und wird nicht konkreter. Auch über das weitere Vorgehen seiner Partei nach dem zweiten Wahlgang, dem entscheidenden Wahlgang, will Brunner nichts verraten. Ein Angriff auf die FDP? Die SP? Ein Sitzungsunterbruch? Alles offen.
Stattdessen droht er. «Wer die Konkordanz bricht, wird das irgendwann zu spüren bekommen», sagt er an die Adresse der SP. Jener Partei, die der SVP ein Ultimatum gestellt hatte. Man lasse sich nicht unter Druck setzen und überhaupt, «die SP sucht doch nur Ausflüchte, um die Konkordanz zu brechen.» Sollte das geschehen, brauche es eine grundsätzliche Debatte über die Neuausrichtung der Schweizer Politik. Über die Zukunft der Konkordanz.
Dann lächelt Brunner noch einmal in die Runde. «Sehen Sie, sogar heute bin ich gesprächig. Uf Wiederluege.»
17.15 Uhr: Die CVP – Mehrheit für Eveline Widmer-Schlumpf
Keine Änderung bei der Strategie der CVP. Noch immer gibt es innerhalb der Fraktion eine grosse Mehrheit für Eveline Widmer-Schlumpf – und damit gegen den Anspruch der SVP auf einen zweiten Sitz. Eine Empfehlung für den freiwerdenden Sitz von Micheline Calmy-Rey gibt es keine von der CVP – beide Kandidaten seien wählbar.
17.10 Uhr: Die SP – keine Unterstützung für die SVP
Alles wie angekündigt: Die SVP hat das Ultimatum der SP verstreichen lassen. «Wir haben keine Rückmeldung erhalten», sagt Fraktionschefin Ursula Wyss vor dem Sitzungszimmer der SP. Das heisst ausgedeutscht: Die SP anerkennt im Grunde den doppelten Sitzanspruch der SVP – einfach noch nicht jetzt. «Bei einer nächsten Vakanz der FDP können wir wieder über die Konkordanz reden», verspricht Parteipräsident Christian Levrat.
Für die Wahl vom Mittwoch bedeutet die fehlende Rückmeldung, dass die SP-Fraktion mit ihren 57 Mitgliedern «sehr geschlossen» den Status quo unterstützt und einen allfälligen Angriff der SVP auf einen Sitz der FDP nicht mitmacht. Bereits vor einer Woche hatte die Fraktion einstimmig die Unterstützung der BDP-Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf beschlossen. Der Entscheid von heute Dienstag, die beiden FDP-Bundesräte wiederzuwählen, sei ebenfalls «einvernehmlich einstimmig» gefällt worden, wie sich Ursula Wyss ausdrückt. Nicht nur die fehlende Rückmeldung habe die Partei darin bestärkt, den Status quo zu unterstützen, sondern auch die «spezielle Personalpolitik» der SVP.
Für die Sozialdemokraten ist die Vorbereitung auf die Bundesratswahlen damit offiziell abgeschlossen – eine ausserordentliche Sitzung vor der Wahl wird es nicht geben. «Wir haben beschlossen. Wir halten uns dran», sagt Ursula Wyss. Das bedeutet auch, dass die SP keine Hand für etwelche Spiele der SVP bieten wird. Sitzungsunterbrüche, ein Verschieben der Wahl, eine Änderung der Wahlgänge – «Das wird es nicht geben.»
16.45 Uhr: Die FDP: Kon-kor-danz!
Gabi Huber beginnt ihre Ausführungen – geneigte Beobachter haben es vermutet – mir der FDP-Definition der Konkordanz. SVP, SP und FDP hätten Anrecht auf zwei Sitze im Bundesrat, der CVP gehöre einer. «Aus diesem Grund wird die FDP im zweiten Wahlgang einen SVP-Kandidaten wählen.» Der Angriff der Freisinnigen richtet sich also gegen BDP-Bundesrätin Widmer-Schlumpf. Was die Partei tun wird, sollte dieser Angriff wie erwartet scheitern, sagte Huber nicht: «Hier begeben wir uns ins Reich der Spekulationen.» Eine Präferenz unter den insgesamt vier Kandidaten der SVP und der SP gebe es nicht. Es seien alle bundesratstauglich. Auch Hansjörg Walter, der mit der FDP-Fraktion ein «angeregtes Gespräch» geführt haben soll, wie die Agentur sda berichtet.
16.10 Uhr: Die Grünen – alles wie gehabt
Die Grüne Fraktion macht es kurz und schmerzlos: Unterstützt werden die Kandidaturen jener Parteien, die den Atomausstieg und damit die Energiewende befürworteten. Bereits letzte Woche hat Fraktionschef Antonio Hodgers diese Haltung verkündet, die in der heutigen Fraktionssitzung noch einmal bekräftigt wurde. Heisst: Die Grünen werden Doris Leuthard (CVP), Eveline Widmer-Schlumpf (BDP), Simonetta Sommaruga (SP) und einen der beiden Kandidaten der SP für den freiwerdenden Sitz von Micheline Calmy-Rey wählen. Ob dabei Alain Berset oder Pierre-Yves Maillard den Vorzug erhält, ist den Grünen freigestellt. Bereits vergangene Woche hat die Fraktion Stimmfreigabe beschlossen.
Bei den Sitzen von FDP und SVP plädieren die Grünen für den Status quo. Eine allfällige Kampfkandidatur der SVP gegen einen freisinnigen Sitz werde seine Fraktion nicht unterstützen, sagt Hodgers.
15.45 Uhr: Letztes Hearing von Hansjörg Walter
Eine angeregte Diskussion habe er mit der Grünliberalen Fraktion geführt, sagt SVP-Bundesratskandidat Hansjörg Walter in den Katakomben des Bundeshauses. Er habe lange über den Atomausstieg und mögliche Fristen debattiert. «Meine Chancen sind intakt, aber es wird schwierig.» Er werde allerdings darauf verzichten, im Verlauf des Abends um einzelne Stimmen zu werben. «Als Nationalratspräsident geziemt es sich nicht, sich bei Parlamentariern anzubiedern.» Walter hofft, dass am Wahltag der einzelne Parlamentarier für sich entscheiden werde, denn sonst verkomme die Bundesratswahl zu einer Parteienwahl – und das gelte es zu verhindern.
15.30 Uhr: Vorschau
Es sind Festtage für Aufmerksamkeits-Süchtige. Und, unter uns, im Bundeshaus gibt es einige von dieser Spezies. Immer etwas geheimnisvoll, immer den Eindruck vermittelnd, ein kleines bisschen mehr vom grossen Ganzen zu wissen – aber dieses Stückchen dunkler Einsicht natürlich nicht zu teilen (jedenfalls nicht sofort). So stolzieren sie seit Tagen herum, die Politikerinnen und Politiker im Bundeshaus. Immer ein etwas heuchlerisches «Immer diese Wahlen. Mich interessiert Sachpolitik!» auf den Lippen, bevor sie dann die neuesten Möglichkeiten und Strategien ausplaudern.
Am späteren Abend wird dieses Geschwätz für einen Augenblick wenigstens vergessen sein. Momentan tagen die Fraktionen im Bundeshaus und feilen an ihrer Strategie. Im Verlauf des Nachmittags wird die geplante Vorgehensweise dann der Öffentlichkeit mitgeteilt. Wohlwissend, dass dann das Geschwätz in der Bellevue-Bar weitergehen wird. An diesem etwas ordinären Ort wird seit einigen Jahren eine rituelle «Nacht der langen Messer» inszeniert. Bei teurem Bier und teuren Häppchen stehen sich dort Politiker und Journalisten (zu diesem Zeitpunkt sind es meistens Chefredaktoren) auf den Füssen herum und tun wichtig. Begleitet wird das von jedem Medium dieses Landes (natürlich auch von uns) und das am besten live.
Klare Ausgangslage
Viel zu berichten wird es nicht geben, die Ausgangslage für den Mittwoch ist einigermassen klar. Die Wiederwahl von Eveline Widmer-Schlumpf (BDP) scheint gesichert und – auch abgesehen vom wilden Gebaren der SVP – deutet alles auf den Status quo hin. Entscheidend wird die Strategie der SP sein: Nur mit Hilfe der Sozialdemokraten wird die SVP einen zweiten Sitz bekommen. Und auch das nur auf Kosten der FDP. Vergangene Woche hatte die SP der SVP ein Ultimatum gestellt: Bis Dienstagmittag gab die SP der Volkspartei Zeit, um Unterstützung für einen Angriff auf den Sitz von Johann Schneider-Ammann zu geben. Gegenüber der Agentur sda sagte SVP-Chef Toni Brunner, die Partei werde die Frist ungenutzt verstreichen lassen.
Entscheidend wird also die Pressekonferenz der SP um 17.30 Uhr sein. Danach: Geplauder in der Bellevue-Bar und eine letzte Aussprache der Fraktionen am Mittwochmorgen vor der Wahl.
Danach: die Wahl. Endlich.