Walter bringt die SP ins Dilemma

Die SP hat die Bundesratswahlen eigentlich schon gewonnen: Sie kann den zweiten SVP-Sitz verhindern. Und ihre zwei Sitze sind kaum gefährdet. Nun aber eröffnet ihnen  die SVP-Kandidatur Walter verlockende Perspektiven. Ein Gedankenspiel.

Eines zumindest hat Hansjörg Walter (SVP) schon geschafft: Die SP muss sich mit seiner Kandidatur ernsthaft auseinandersetzen. (Bild: Keystone)

Die SP hat die Bundesratswahlen eigentlich schon gewonnen: Sie kann den zweiten SVP-Sitz verhindern. Und ihre zwei Sitze sind kaum gefährdet. Nun aber eröffnet ihnen die SVP-Kandidatur Walter verlockende Perspektiven. Ein Gedankenspiel.

Mit laufend neuen Bedingungen hat sich die SP gegenüber der SVP für die Bundesratswahlen vom Mittwoch in eine solide Favoritenposition manövriert: «Die SVP hat als stärkste Partei sicher Anrecht auf zwei Sitze im Bundesrat», lautet die unablässig wiederholte Formel der Sozialdemokraten. Gefolgt jedoch immer gleich von einem «aber» mit wechselnden Ausreden: Aber nicht gegen Bundesrätin Widmer-Schlumpf, aber nicht mit einem Kandidaten wie Caspar Baader, aber nur gegen einen Freisinnigen, aber nicht mit Hauruck-Kandidaturen in letzter Minute. So lauten die verschiedenen Auflagen der Linken. Generell verdächtigen sie die SVP, sie wolle wohl gar keinen zweiten Sitz in der Landesregierung. 

SP befürchtet massiven Sozialabbau

Sicher ist, dass die SP selber am liebsten keinen zweiten SVP-Mann im Bundesrat sähe. Sie möchte der SVP nächsten Mittwoch mit der Verweigerung des zweiten Bundesrates ebenso gern eine weitere böse Niederlage zufügen wie die Grünen, die dies offen sagen. Der politische Grund dafür: Die Linke fürchtet, dass mit der aufziehenden Krise der Wirtschaft und der öffentlichen Finanzen die rechten Parteien massive Einschnitte und Abbauvorlagen im Sozialbereich präsentieren werden. Geplant seien schon ab dem nächsten Frühjahr Rentenkürzungen, die Erhöhung des AHV-Alters und eine Überwälzung weiterer Gesundheitskosten auf Kranke und Versicherte, warnt etwa Paul Rechsteiner, Chef des Gewerkschaftsbundes (SGB) und grosser Sieger der Ständeratswahlen in St. Gallen.

Dass SVP-Strategiechef Christoph Blocher nach seiner Rückkehr in den Nationalrat dort nicht in die Finanz- oder in die Wirtschaftskommission sitzen will, sondern in die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK), bestärkt die SP-Vertreter in diesen Befürchtungen. Die logische Gegenstrategie der Linken lautet: Die SVP auf allen Ebenen schwächen – auch im Bundesrat.  

Und diese SP-Strategie geht bisher besser auf, als es die linken Strategen je erhoffen konnten. Dank bösen Pannen (Zuppiger-Skandal) bei der Kandidatenkür hat sich die Blocher-Partei in Sachen Bundesratswahl schon fast selber erledigt. Beobachter im Bundeshaus geben dem neusten SVP-Kandidaten Hansjörg Walter (TG) höchstens noch gegen FDP-Bundesrat Johann Schneider-Ammann (BE) eine kleine Chance. Und die SVP-Parteileitung hat bisher immer versichert, FDP-Bundesräte werde die SVP nicht angreifen. Walter selber will nur Widmer-Schlumpf angreifen. 
 
 

Walter hätte viele Vorzüge

Die Linke könnte somit nach den nationalen Wahlen vom 23. Oktober und den zweiten Wahlgängen zum Ständerat am nächsten Mittwoch gegen die SVP problemlos ihren dritten Sieg in Folge feiern. Wenn sie denn wollte. Denn mit dem Auftauchen des überraschenden Kandidaten Hansjörg Walter (TG) sehen zahlreiche SP-Leute neue Chancen: Walter erscheint ihnen als mindestens so gemässigter und umgänglicher Bürgerlicher wie Schneider-Ammann.

Und Walter hätte gegenüber dem von Linken seiner Passivität wegen oft kritisierten Schneider-Ammann etwelche Vorzüge:

• Mit dem besonnenen Thurgauer im Bundesrat wäre der SVP ein zentrales Propaganda-Thema (verletzte Konkordanz) aus der Hand geschlagen.

• Wird Walter gewählt, kann die SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga ihr Wunschdepartement «Wirtschaft mitsamt Universitäten und Bildung» vom abgewählten Schneider-Ammann übernehmen. Walter müsste als Letzter in der Reihe wohl mit Sommarugas ungeliebtem Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) vorlieb nehmen.

• Ist das SVP-Problem endlich auf Kosten der Freisinnigen gelöst, wird der Weg für die CVP frei, den ohnehin schlecht abgestützten Sitz von BDP-Frau Eveline Widmer-Schlumpf bei nächster Gelegenheit zu erben – und so ihre verlorene Zweiervertretung in der Landesregierung wieder herzustellen.

• Sind schon vor der letzten der sieben Wahlrunden am Mittwoch zwei SVP-Leute gewählt, wird der welsche SVP-Kandidat Jean-François Rime kaum mehr Anspruch auf den vakanten SP-Sitz von Micheline Calmy-Rey erheben.

Der SP winken wichtige Departemente

Das erhöht die Wahlchancen des regierungserprobten SP-Kandidaten Pierre-Yves Maillard (VD). Der Spezialist für Sozial- und Gesundheitspolitik gilt weitherum als ideale Besetzung für das Innenministerium, aus dem dessen derzeitiger Chef, Didier Burkhalter (FDP) ohnehin ins frei werdende Aussenministerium (EDA) wechseln möchte. Die SP wäre die Gewinnerin dieser Rochade:  Sie könnte mit Wirtschaft und Innerem zwei wichtige Departemente besetzen, statt der eher weniger attraktiven Ministerien Äusseres und EJPD, mit denen sie sich nun begnügen muss. Mit Maillard im zuständigen Departement wäre der drohende Sozialabbau zudem langfristig und nachhaltig bremsbar. 

Das alles werden vorab die SP-Abgeordneten bedenken müssen, wenn die Stimmzettel für die Wiederwahl von FDP-Bundesrat Schneider-Ammann am Mittwoch gegen zehn Uhr auf ihr Pult flattern: Sollen sie mit Schneider-Ammann der SVP kurzfristig eine weitere böse Schlappe zufügen? Oder aber auf die längerfristigen Vorteile für ihre Partei und damit auf Walter setzen? So lautet das schon fast klassisch-griechische Dilemma der Linken. Aber auch die CVP-Leute werden sich gut überlegen, welche Vorteile ihnen Schneider-Ammann oder eben Walter im Bundesrat bringen könnten. Alles zusammen könnte dies halt doch knapp Walters Freud bedeuten – und Schneider-Ammanns  grosses Leid.


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