Warum der Kampf an der Spitze der Basler Polizei jetzt erst losgeht

Gerhard Lips ist nicht mehr Kommandant der Basler Polizei. Doch die Wogen dürften sich damit nicht glätten. Im Gegenteil: Es droht ein stürmischer Sommer für die Basler Polizei-Spitzen und für Sicherheitsdirektor Baschi Dürr.

Der Kampf an der Spitze der Polizei ist in vollem Gange: Sicherheitsdirektor Baschi Dürr, Kapo-Kommandant ad interim Martin Roth und der übergangene Stv. Kommandant Rolf Meyer.

Gerhard Lips ist nicht mehr Kommandant der Basler Polizei. Doch die Wogen dürften sich damit nicht glätten. Im Gegenteil: Es droht ein stürmischer Sommer für die Basler Polizei-Spitzen und für Sicherheitsdirektor Baschi Dürr.

Plötzlich ging es ganz schnell: Am vergangenen Freitagmorgen vermeldete das Basler Justiz- und Sicherheitsdepartement den Rücktritt von Gerhard Lips. Der Kommandant der Kantonspolizei, der sein Amt offiziell am 1. September 2009 angetreten hatte, trat per sofort zurück. Während der Amtszeit des obersten Polizisten gab es immer wieder Schlagzeilen mit Skandälchen und Skandalen. Seit vergangenem Jahr gehäuft.

Musste Lips wegen der Skandale zurücktreten?

Die Häufung war sicher ein Mitauslöser, doch greift diese Interpretation trotzdem zu kurz. Denn Lips hätte durchaus aufräumen wollen, hatte es aber nicht geschafft. Zu zäh der Filz im oberen Polizeikader, zu tief der Graben, zu schwach der Kommandant, um daran etwas zu ändern. Zu diesem Schluss jedenfalls war Regierungsrat Baschi Dürr zuletzt gelangt, erzählt er engen politischen Weggefährten.

Aber von vorne.

Der Graben im höheren Kader entstand mit dem Amtsantritt von Lips, wie die «Basler Zeitung» berichtet. Der Mann aus Zürich hatte keine leichte Aufgabe. Er ersetzte Rolf Meyer, der nach Roberto Zalunardos Abgang im Herbst 2008 das Kommando ad interim innehatte. Meyer ist seit 2004 Vize-Kommandant – er wäre nun wiederum der logische Nachfolger von Gerhard Lips gewesen.

Allerdings kam Rolf Meyer im Zusammenhang mit der Dienstwagen-Regelung in die Schlagzeilen und musste Kritik einstecken – nicht zuletzt, weil der Vize-Kommandant im Fricktal wohnt und pro Dienstweg mit einem der besagten Dienstwagen täglich 90 Kilometer zurücklegt.

Mit Baschi Dürr, als Sicherheitsdirektor seit 2013 der politische Vorgesetzte von Gerhard Lips, war – in der Theorie jedenfalls – ein Glücksfall eingetreten. Dürr und Lips – da hatten sich eigentlich zwei Verbündete gefunden, die das Gleiche wollten: Ein bisschen entstauben den Laden. Zu Recht. Der alte Korpsgeist sollte im neuen Jahrtausend ankommen, was Führungsstil und Selbstverständnis anbelangt.

Ein Teil des mittleren und höheren Kaders kämpfte mit allen Mitteln – auch mit einer Welle von Indiskretionen.

In Lips‘ und Dürrs Augen war nie die Kantonspolizei an sich das Problem, im Gegenteil. Zu schaffen machten ihnen einige höhere und mittlere Offiziere. Diese wussten sich denn auch – auf die Wahlen im vergangenen Jahr hin vermehrt – mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln gegen unliebsame Neuerungen zur Wehr zu setzen. Zu den erfolgreichsten Kampfmitteln gehörte eine wahre Welle von Indiskretionen.

Mag man vor den Regierungsratswahlen geteilter Meinung darüber gewesen sein, wie viel Schuld Sicherheitsdirektor Dürr daran trug, dass es mit der Abschaffung der Dienstwagenprivilegien für die oberen Offiziere nicht schneller vorwärtsgegangen war. Doch die jüngsten Entwicklungen haben gezeigt: Nicht Dürr, nicht Lips sind die wahren Gegner der Erneuerung – sondern ein Teil der höheren Offiziere. Nichts anderes bedeutet der Rekurs gegen die Abschaffung der Privilegien vonseiten höherer Polizei-Offiziere.

Jetzt wird es richtig ungemütlich

Der Rekurs war der letzte peinliche Rückschlag in einem langen Machtkampf. Ein Rückschlag, den sich Gerhard Lips nicht mehr erlauben konnte. Mit dem Rücktritt von Lips endet allerdings nicht der Kampf.

Baschi Dürr sieht die «führungskulturellen Differenzen» nicht als behoben an, wie die «bz Basel» vermutet. Sein Mann Lips hat sich nicht durchsetzen können, schied in der – viel zu lange dauernden – ersten Runde im Machtkampf aus. Und das trotz externem Coaching und einer Mediation. Dürr muss sich dabei den Vorwurf gefallen lassen, dass er sich erst jetzt, wo es zu spät ist, öffentlich voll und ganz hinter seinen Mann und dessen Mission stellt.

Denn der Auftritt von Dürr und Lips an der Medienkonferenz war ein unmissverständliches Signal an das Korps: Dieser Kampf ist jetzt nicht vorbei – und jetzt wird es erst recht ungemütlich. Dafür sprechen konkret folgende Aussagen der – im Rahmen der Möglichkeiten denkbar transparent agierenden – Player:

  1. Sicherheitsdirektor Baschi Dürr betonte an der Medienkonferenz, der Grund für den personellen Wechsel an der Polizeispitze sei «ausschliesslich den führungskulturellen Differenzen im oberen Kader über die letzten Monate und das letzte Jahr» geschuldet.
  2. Was das konkret bedeutet, führte danach der abgetretene Kommandant Gerhard Lips gleich selbst aus – mit dem ersten Gebot im «Werte- und Bekenntnissystem» der Basler Polizei, das auch «in Mitarbeitergesprächen und Führungsseminarien» als Instrument zur Anwendung komme. Lips: «Dort ist der erste Wert: ‹Vorbild sein›. Der negative Wert dazu ist: ‹ein schlechtes Beispiel abgeben›.» Doch was bedeutet «Vorbild sein»? Genau in dieser Frage herrschte im hohen Kader (!) keine Einigkeit mehr. Lips: «Da haben sich in den letzten Monaten Diskussionen daran entzündet, wo man festgestellt hat, dass wir nicht überall das gleiche Verständnis haben.» Anders gesagt: Ein Teil des hohen Kaders und ein Teil der Offiziere gaben in den Augen von Lips ein schlechtes Beispiel ab. Und sie liessen sich nicht davon abbringen. Nun soll es ein Neuer richten.
  3. Für definitive Klarheit sorgte Baschi Dürr: «Was die führungskulturellen Differenzen anbelangt, ist noch nichts gewonnen», sagte er gleich zu Beginn vor den Medien. In der Fragerunde wurde der Sicherheitsdirektor noch deutlicher:

«Dass jetzt heute und morgen alles bestens wäre und dass heute und morgen sämtliche Probleme oder Unstimmigkeiten, die es auf allen Stufen in unterschiedlichem Ausmass geben mag, bereinigt wären, das wäre illusorisch. Nein, wir sagen nicht, dass damit alles gelöst ist: Mit dem personellen Wechsel haben wir Spielraum, um an den führungskulturellen Problemen zu arbeiten. Diese Arbeit muss mit aller Konsequenz weitergehen, da können wir jetzt auch nicht warten, bis ein definitiver neuer Kommandant kommt. Es ist klar: Ich habe die grosse Erwartungshaltung und auch den klaren Auftrag an die verbleibende Polizeileitung – es sind jetzt fünf –, zusammen mit den Offizieren wirklich an diesen Themen zu arbeiten, und da möchte ich Fortschritte sehen.»

Endrunde eingeläutet

Der Machtkampf in der Führungsriege und im Offizierskorps geht damit – offiziell und laut angekündigt – eine Runde weiter. Es wird die letzte Runde sein.

Im Ring, in die Ecke gedrängt: Stv. Kommandant Rolf Meyer. Er bleibt auch jetzt Stellvertreter – Baschi Dürr hat sich «in einer Gesamteinschätzung» für Martin Roth als Interimskommandanten entschieden.

Die «bz Basel» zitiert einen Polizei-Insider: «Wenn man reinen Tisch machen will, müssten noch zwei, drei Köpfe mehr rollen.» Diese Möglichkeit hat Baschi Dürr nun geschaffen: Der Auftrag ist klar formuliert – er möchte Fortschritte sehen, an den Themen soll nun gearbeitet werden, die Erwartungshaltung ist klar und öffentlich formuliert. Jetzt muss gespurt werden.

Zum ersten Mal steigt Dürr selbst in den Ring.

Und zwar im Sinne des ehemaligen Kommandanten Lips, der sich nicht durchsetzen konnte. So erklärte Dürr, wie die TagesWoche erfahren hat, seinen Entscheid auch intern: Er sehe das Problem wie Lips bei einigen höheren und mittleren Offizieren. Das Problem sei letztlich gewesen, dass Lips am grossen internen Reform-Widerstand resigniert habe, weshalb Dürr keine andere Möglichkeit blieb, als seinen Mann auszuwechseln.

Damit wird es nun auch richtig ungemütlich für Baschi Dürr. Auch er, der politisch Verantwortliche, kämpft in der Endrunde mit. Zum ersten Mal steigt er in den Ring, macht sich die Hände schmutzig.

Gelingt es Dürr, dem Interims-Mann und dem noch zu findenden Lips-Nachfolger nicht, die «führungskulturellen Differenzen» zu bereinigen, dann könnte es auch für den gewieften Politiker sehr ungemütlich werden. Wer am Ende dieses Fights nach Punkten ausscheidet, das ist noch nicht entschieden.

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