Die Isopublic-Umfrage zur Abzocker-Initiative stand auf einer wackligen Basis, das «Ja» der Zürcher SVP war zu erwarten – Politologe Claude Longchamp analysiert die Vorgänge, aber eine Prognose über den Abstimmungsausgang mag er noch nicht geben. Seine eigene Umfrage zur Abstimmung wird am Freitag, 25. Januar veröffentlicht.
Herr Longchamp, nach dem Entscheid der Zürcher SVP zugunsten der Abzocker-Initiative vom Dienstagabend ist eine kleine Verunsicherung entstanden. Wem hilft das Ja?
Claude Longchamp: Das ist doch einfach. Der Initiative!
Ihr Berufskollege Michael Hermann befürchtet, das Ja könne die linke Unterstützungsfront bröckeln lassen.
Dann führen Sie doch das Interview mit ihm.
Er ist nicht der einzige, der das behauptet.
Im Vorfeld hat man damit gerechnet, dass die SVP im Ja-Lager anzusiedeln ist. Der Unternehmerclub um Christoph Blocher und Peter Spuhler repräsententiert nur eine Minderheit in der Partei. Das zeigen alle Umfragen. Fraktionschef Adrian Amstutz hat in einem Fraktionspapier beide Positionen als vertretbar gewürdigt. Insofern war ein knappes Ja im Kanton Zürich keine grosse Überraschung. Und nun sollen die Linken deswegen ihre Meinung ändern? Da fasse ich mir ja an den Kopf.
Eher überraschend war, dass die Zürcher Kantonalpartei gegen ihren Übervater Christoph Blocher gestimmt hat.
Ja, das war ein zeitgeschichtlich wichtiger Moment. Die Zürcher SVP wurde 1992 mit der EWR-Abstimmung zur Bastion der EU-Gegner, zum Modell für die neue, liberalkonservative SVP – eine Erfolgsgeschichte! 2011 kam es erstmals zu Wahlniederlagen, und ausgerechnet jetzt, wo sich Blocher aktiv für ein Nein zur Minderinitiative einsetzt, findet er keine Gefolgschaft mehr. Das ist schon ein starkes Zeichen. Auch für die restliche Partei: Die Diskussion um die Managed-Care-Vorlage hat gezeigt, dass die Zürcher Sektion mit ihren 14’000 Mitgliedern einen grossen Einfluss auf die nationale Partei hat.
Ausgerechnet jetzt, wo sich Blocher aktiv für ein Nein zur Minderinitiative einsetzt, findet er keine Gefolgschaft mehr.
Einen Dämpfer erlitten Thomas Minder und Claudio Kuster am Sonntag. Die Isopublic-Umfrage ergab eine Zustimmung zur Abzocker-Initiative von nur noch 54 Prozent. Was ist von der Umfrage zu halten?
Es gab überraschende und diskussionswürdige Elemente in dieser Umfrage. Gefragt wurden Bürger, die sicher abstimmen werden, aber auch solche, die nur vielleicht abstimmen werden – das ergab eine unwahrscheinliche Wahlbeteiligung von knapp 70 Prozent. Das scheint mir eine etwas wacklige Basis für fundierte Aussagen.
Die Zustimmung für Volksinitiativen nimmt im Verlauf des Abstimmungskampfs immer ab. Wie gross muss das Polster der Initianten zu Beginn eines Abstimmungskampfes sein, damit es zu einem Ja reicht?
Eine grobe Faustregel besagt, dass bei einer Zustimmung im Abstimmungskampf von über 60 Prozent ein Ja drin liegt. Aber es gibt unzählige Ausnahmen. Die Ausschaffungs-Initiative hat mit 58 Prozent begonnen und kam durch. In der gleichen Umfrage hatte die Steuergerechtigkeitsinitiative 59 Prozent und scheiterte. Es kommt eben auf die Polarisierung und die Kampagnen Pro und Kontra an, weshalb es keine feste Regel gibt.
Warum schmilzt der Vorsprung so schnell? Noch im Mai 2012 war die Zustimmung bei 77 Prozent.
Das ist einfach: Wir diskutieren nicht mehr das Problem, sondern die Lösung des Problems. 80 Prozent der Stimmbürger, egal ob rechts oder links, sind sich einig, dass exzessive Managerlöhne ein Problem sind. Das Parlament hat sich sieben Jahre mit der Behandlung des Problems schwer getan. In der öffentlichen Diskussion gab es damals zwei ganz grosse Abzocker – Ospel und Vasella – entsprechend gross war der Unmut der Bevölkerung. Heute, wenige Woche vor der Abstimmung, haben wir eine ganz andere Situation: Wir sind von einer allgemeinen Debatte direkt in den Abstimmungskampf übergegangen und diskutieren nicht mehr das Problem, sondern dessen Lösung. Dabei stehen – wie immer – die Schwachstellen der Initiative im Vordergrund. Die bisherige Diskussion zeigte zwei solcher Schwachpunkte: Die jährliche Wiederwahl des Verwaltungsrats, was das kurzfristige Denken bei den Managern noch verstärkt. Und die Frage der Umsetzung – der Gegenvorschlag greift schneller. Die Kritik am Gegenvorschlag ist weniger wichtig, weil wir über den nicht abstimmen können.
Die Frage der Konsequenzen der Initiative ist auch nicht restlos geklärt.
Ja, diese Frage lässt sich auch nicht restlos klären. Die Initianten betonen, dass mit der Vorlage ein Problem gelöst würde. Auf der anderen Seite warnt die Schweizer Wirtschaft vor einem schweren Einschnitt. Auch hier – wir schwanken zwischen dem Problem und seiner Lösung. Es ist ein idealtypisches Beispiel; ich doziere dieses Zusammenspiel seit zehn Jahren!
Und wie wird es nun ausgehen?
Das weiss ich nicht. In der Vergangenheit war es aber meistens so, dass die Einwände der Bevölkerung gegen die Lösung stärker waren, als die ursprünglichen Einwände gegen das Problem. Das Verhältnis beider Komponenten hängt aber von der Interaktionen der Kampagnen ab.