Weil die Nähe der argentinischen Kirche zur Junta an das Verhalten des Vatikans gegenüber den Nazis erinnert, kann der neue Papst den umstrittenen Vorgänger nicht selig sprechen.
Im Sommer 2007 fand in der argentinischen Stadt La Plata ein Aufsehen erregender Prozess gegen den 69-jährigen deutschstämmigen Priester Christian von Wernich statt. Er wurde am 9. Oktober nach einer dreimonatigen Gerichtsverhandlung wegen «Verbrechens gegen die Menschlichkeit im Rahmen eines Genozids» während der Militärdiktatur (1976 – 1983) zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt. Dem ehemaligen Polizeikaplan der Provinz Buenos Aires konnte die Beteiligung an sieben Morden, 31 Fällen von Folter und 42 Entführungen nachgewiesen werden. Unter anderem hatte er einem Erschiessungskommando angehört, das sieben Universitätsstudenten standrechtlich hingerichtet hatte.
1996, als die Vorwürfe gegen von Wernich lauter wurden, verschaffte ihm die Kirche eine neue Identität als Christian Gonzalez und übertrug ihm die Obhut der kleinen chilenischen Tourismusgemeinde Quisco. Hier wirkte er unentdeckt, bis die argentinische Justiz 2003 gegen ihn einen internationalen Haftbefehl präsentierte. Als im Juli 2007 der Termin für den Prozessbeginn bekannt gegeben wurde, kommentierte das der damalige Kardinal von Buenos Aires Jorge Mario Bergoglio und heutige Papst Franziskus mit scharfen Worten:«Die Kirche ist das Opfer einer üblen Verfolgungsjagd.»
«Nicht auf Seite der Gepeinigten»
Im Prozess selber, an dem 70 Zeuginnen und Zeugen auftraten, wurde Bergoglio von der Schwester eines Verschwundenen als «Mitwisser» dargestellt. Der Friedensnobelpreisträger und engagierte Katholik Adolfo Perez Esquivel, prangerte die «Komplizenschaft der Kirchenoberhäupter mit der Diktatur» an. Der Salesianerpater Ruben Capitanio ging in seiner Kritik noch weiter: «Ich habe die Rolle der Kirche als Institution, insbesondere die Rolle, die die Führungsriege gespielt hat, immer in Frage gestellt und tue es auch heute noch, denn sie hat sich angesichts der Ereignisse nicht auf die richtige Seite, die der Gepeinigten, gestellt.»
«Die Kirche hat sich nicht auf die richtige Seite gestellt, die der Gepeinigten.»
Salesianerpater Ruben Capitanio
Während die chilenische Kirche sich in ihrer Mehrheit relativ schnell von der Pinochet-Diktatur distanzierte, schaffte das in Argentinien nur eine Minderheit. Anfänglich hatten sich bloss 3 der 66 Bischöfe gegen den Militärputsch ausgesprochen. Zwei weitere, Enrique Angelelli und Carlos Ponce de Leon, die beide sozialkritische Positionen vertraten, wurden umgebracht, ohne dass die Hierarchie dagegen protestierte.
Reaktionärste Kirche Südamerikas
30 Jahre nach dem Tod Angelellis, am 4. August 2006, präsidierte Kardinal Bergoglio als Präsident der Bischofskonferenz eine Gedenkfeier in La Rioja. Dessen Kritiker Horacio Verbitsky schrieb am 30. Juli in der Zeitung «Pagina 12», dass er das nur tue, um «Hindernisse auf dem Weg zum Papsttum wegzuräumen».
Den Generälen besonders nah stand der päpstliche Nuntius Pio Laghi. Dank dem Netz von 250 Militärseelsorgern war die Kirche sehr gut informiert über die Repression, die etwa 30’000 Menschen, grossmehrheitlich Jugendlichen, das Leben kostete.
Der argentinische Katholizismus ist der reaktionärste Südamerikas. Ein Grund liegt in seiner starken Ausrichtung auf den südeuropäischen Rechtskatholizismus, vor allem den französischen und spanischen, insbesondere in der Zwischenkriegszeit. Ein weiterer Grund liegt in einer aussergewöhnlich engen Verbindung mit der Armee und deren Nationalismus. Bischof Angelellis verzweifelter Apell kurz vor dem Militärputsch, die Gläubigen müssen «die Augen öffnen»und «verhindern», dass die Armee «die Mission usurpiert, die Schützerin des katholischen Glaubens zu sein», erklärt sich vor diesem Hintergrund.
Auffällig viele jüdische Opfer
Die Allianz von Rechtskatholizismus und Militärnationalismus hatte drei gemeinsame Feindbilder: die Säkularisierung, den Kommunismus und das Judentum. Kein lateinamerikanischer Katholizismus ist derart antisemitisch und kein Antisemitismus derart katholisch geprägt wie der argentinische. Dies erklärt den wenig bekannten Umstand, dass der Anteil der jüdischen Junta-Opfer mit über 2000 Toten etwa zehnmal höher liegt als der an der Gesamtbevölkerung. Gewiss war der Anteil der jüdischen Oppositionellen, insbesondere unter den damals starken Trotzkisten, überdurchschnittlich hoch. Dass aber die Verfolgung der Linken antisemitisch aufgeladen war, zeigt sich im Umstand, dass verhaftete Jüdinnen und Juden weniger Chancen hatten, Folter und Gefangenschaft zu überleben.
Unter all den Vorwürfen, die gegenüber dem neuen Papst gemacht wurden, findet man einen nicht: Bergoglio selber habe sich judenfeindlich geäussert oder verhalten. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass der argentinischer Katholizismus bei einer der heikelsten Fragen, mit denen Franziskus konfrontiert sein wird: der Seligsprechung Pius XII., einen neuen, hochbrisanten Hintergrund bildet.
Vier katholische Flügel
Der argentinische Historiker und Jesuitenpater Gustavo Morello hat am Beispiel seiner Heimatstadt Cordoba, einem Industriezentrum mit einer starken Linken, das Verhalten der argentinischen Kirche unter der Diktatur untersucht. Dabei teilt er sie in vier Kategorien ein:
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Der rechteste Flügel suchte die Verschmelzung mit der katholischen Staatsmacht, um gegen die Säkularisierung und deren linken und laizistischen Agenten die katholische Hegemonie und Offizialität zu garantieren. Dazu gehörten vor allem die mit der Armee organisch verbundenen Priester, Bischöfe und Kardinäle.
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Der dominante konservative Flügel verband die Verteidigung katholischer Privilegien und Moralvorstellungen, welche die Kirche mit der Junta verstrickte, mit der Wahrung einer gewissen Autonomie gegenüber der Staatsmacht, um in der Gesellschaft als eigenständiger Akteur auftreten zu können. Diese Rolle spielte sie beispielsweise, wenn sie sich für einzelne Gefangene, vor allem Geistliche, einsetzte.
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Ein dritter Flügel hielt an der privilegierten Stellung der Kirche fest, überordnete diese aber nicht dem Engagement für die Verfolgten oder die Armen.
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Der vierte, linke Flügel, dem etwa 10 Prozent der Geistlichen angehört haben, engagierte sich für eine Kirche, welche sich von der Staatsmacht distanziert, ausschliesslich auf die Menschen, insbesondere die Armen setzt, und sich positiv als Teil einer pluralen, stark säkularisierten Gesellschaft versteht.
Der argentinische Priester, Bischof und Kardinal Jorge Mario Bergoglio stand grundsätzlich auf der zweiten Position, wobei sein rechter Fuss hie und da auf die erste Position geriet und sein linker Fuss ein paar Mal die dritte berührte. Gerade weil die zweite Position weitgehend der Haltung des Vatikans gegenüber dem deutschen Nationalsozialismus und dem italienischen Faschismus entsprach und die erste Position an die Unterstützung der Franco-Diktatur erinnert, droht die Seligsprechung Pius XII. auch die argentinischen Junta-Jahre ins Rampenlicht zu rücken.
Franziskus will keine heiklen Fragen provozieren – die Seligsprechung ist deshalb vom Tisch.
Da Franziskus als Kardinal Bergoglio bislang auf heikle Fragen nur einging, wenn er ihnen nicht mehr ausweichen konnte, ist auszuschliessen, dass er selber solche provoziert. Damit ist die unselige Seligsprechung des Papstes, der zur Shoa geschwiegen hat, vom Tisch. Das wird auch der bisherige Papst, der den Prozess vorangetrieben hat, nicht ändern können.
Quellen
Literaturangaben:
Gustavo Morello SJ: El terrorismo de estado y el catolicismo en Argentina, Jahrbuch für Geschichte Lateinamerikas 48 / 2011
Daniel Lvovich: Nacionalismo y antisemitismo en la Argentina, Buenos Aires 2003
Federico Finchelstein: La Argentina Fascista. Los origenes ideologicos de la dictadura, Buenos Aires 2008