Warum rettet ein 22-jähriger Basler Flüchtlinge aus dem Meer? Ein Interview

Wie so viele lernte Jano Nichele das Wort «Flüchtlingskrise» auf Facebook kennen. Was es bedeutet, erfuhr er vor Ort: Zuletzt war der 22-jährige Basler als freiwilliger Helfer in Griechenland im Einsatz.

(Bild: Hans-Jörg Walter)

Das Wort «Flüchtlingskrise» lernte Jano Nichele auf Facebook kennen. Was es bedeutet, erfuhr er in Griechenland: Zuletzt war der 22-jährige Basler als freiwilliger Helfer dort im Einsatz. Ein Gespräch über Kontrollverluste, Nächte voll überfüllter Boote und das Europagefühl unter den Helfern.

Alter: 21 Jahre. Ausbildungsstatus: angehender Student. Hobbies: Fussball, Musik. Politisches Engagement: unbedeutend bis inexistent. Das war Jano Nichele vor einem Jahr. Dann kamen im Sommer die Bilder von Flüchtlingen in Booten auf dem Meer. Menschen auf Strassen, vor Zäunen, in Zelten. Jano hörte auf Fussball zu spielen und wurde freiwilliger Helfer, oder Volunteer, wie die Aktivistinnen und Aktivisten genannt werden. Ein Leuchtwestenträger. 

» Dort, wo die Flüchtlinge landen: Eine Reportage von der griechischen Insel Chios

Menschen wie Jano gehen oft unter in Medienberichten über Flüchtlingsströme auf der einen und «besorgte Bürger» auf der anderen Seite. Sie verrichten ihre Arbeit abseits der Kameras und doch in der vordersten Reihe. Dort, wo Boote aus dem Mittelmeer gezogen werden. Dort, wo sich bisher nur wenige politische Entscheidungsträger haben blicken lassen. Dort, wo Not herrscht. Wir haben Jano in einer trockenen und warmen Basler Lokalität auf einen Kaffee getroffen.

Das klingt beinahe abenteuerlustig. Haben Sie sich vorher Gedanken darüber gemacht, was da auf Sie zukommt?

Ich habe versucht mich vorzubereiten, gleichzeitig musste ich mich schnell entscheiden. Natürlich habe ich mit mir gehadert, ich hatte ja die Videos und Bilder gesehen. Ich hatte Angst vor der Entscheidung, aber richtig vorstellen konnte ich mir nicht, was mir da genau bevorsteht. Also bin ich einfach mitgefahren.

Waren Sie bereits zuvor politisch aktiv?

Eher weniger. Ich weiss auch nicht, ob ich mich jetzt als politischen Menschen beschreiben würde. Um politisch eingreifen zu können, müsste ich einen ganz anderen Weg einschlagen. Das geht nicht so einfach. Helfen ist einfach, ich gehe einfach da hin, wo es mich braucht.

Ihr Engagement ist insofern politisch, als es ein Stück weit die Absenz offizieller Hilfsmassnahmen ersetzt. Sind Sie wütend angesichts der passiven Haltung in der Politik?

Natürlich wird viel diskutiert unter den Freiwilligen. Wenn Boote ankommen mit verletzten Kindern und Menschen, dann frage ich mich schon, warum wir so etwas nicht vermeiden können. In Chios und anderswo in Griechenland wird auch oft demonstriert. Aber wir machen da nicht mit, wir wollen es uns mit den Menschen vor Ort nicht verderben.

Wie würden Sie über die Situation berichten, wenn Sie Medienschaffender wären?

Im Zusammenhang mit meinem Studium entwickle ich zur Zeit die Idee eines Regionalradios hier in Basel, das Flüchtlinge selbst zu Wort kommen lässt, um ihre Geschichte zu erzählen. Auf der politischen Ebene wird oft sehr abstrakt berichtet. Dabei geht vergessen, dass da Menschen unterwegs sind, die gleich sind wie wir: Mütter, Väter, Schwestern, Brüder. Der Unterschied ist, dass ihr Land gerade zerbombt wird. Die Meldung «3000 Menschen passieren die mazedonische Grenze» schafft kein Verständnis.

Umgekehrt sorgten unlängst Videos von Fremdenfeinden in Clausnitz und Bautzen für Entsetzen. Kommen diese Bilder auf der Route an?

Das kann ich nicht genau beantworten, aber ich glaube, dass die Wenigsten diese Bilder sehen. Die Menschen, mit denen wir zu tun hatten, waren einfach nur froh, dass sie die Überfahrt geschafft hatten. Die wollen einfach nur ankommen, in Deutschland oder Schweden.

Von dort reisen allerdings auch wieder Menschen zurück in ihre Heimat. Sie seien desillusioniert, liest man, enttäuscht von Europa.

Wir haben manchmal auch das Gefühl, dass die Menschen gar nicht genau wissen, was auf sie zukommt. Sie steigen in den Bus und haben das feste Gefühl, dass jetzt alles gut wird. Viele haben keine Ahnung, was sie noch alles durchmachen werden, bis sie ihr Ziel erreicht haben.

Gibt es da manchmal Gespräche, um die Hoffnungen zu dämpfen?

Nein. Das fände ich irgendwie nicht richtig, in so einer Situation über Erwartungen zu reden. Ich sehe das auch nicht als unsere Aufgabe.

Gibt es Stimmen in Ihrem Umfeld, die Ihr Engagement kritisieren?

Nein, ich bekomme ausschliesslich positive Rückmeldungen. Ich habe selbst manchmal ein schlechtes Gewissen, wenn ich hier wieder einmal alles stehen und liegen lasse. Mir ist klar, dass nicht alle die Möglichkeit haben, einfach zu gehen.

Ein Tee zum Aufwärmen: Volunteers verteilen Getränke. (Bild: Be Aware And Share)


Wie geht es für Sie weiter? Haben Sie sich eine Grenze gesetzt?

Nicht so lange ich das Gefühl habe, gebraucht zu werden, nein. Ich habe das grosse Glück, das Hilfsprojekt mit meiner Ausbildung verknüpfen zu können, also werde ich weiterhin dabei bleiben. Die politische Situation wird sicher ein Faktor sein – und natürlich hoffe ich, dass es mich bald nicht mehr brauchen wird.

Gibt es noch etwas, das Sie loswerden möchten?

Viele denken immer, man müsse viel aufopfern, um vor Ort zu helfen. Aber das Gegenteil ist der Fall, ich habe das Gefühl, enorm viel zurückzubekommen. In Kroatien beispielsweise wurden wir zu vierzehnt von einer kleinen Familie in ihrer Zweizimmerwohnung beherbergt. Oder in Chios gibt es diesen Bäcker, der für uns Volunteers bereits um zwei Uhr nachts ein paar Brötchen und Kaffee bereitstellte. Ich will nicht von Karma sprechen, aber wenn man hilft, bekommt man immer auch etwas zurück. Das ist meine Erfahrung.
 
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