Warum wir gewisse Revolutionen gut finden und andere nicht

Nach dem Sturz des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch hat Europa mitgejubelt, die Abspaltung der Krim verfolgen wir mit Ablehnung. Warum finden wir manche Revolutionen gut und andere nicht? Ein Gespräch mit Politikwissenschaftler Laurent Goetschel von der Swiss Peace Foundation.

Positiv angekommen: Die Pro-EU-Demonstrationen in Kiew. (Bild: Florian Bachmeier/n-ost)

Manche Revolutionen finden wir gut, andere dagegen nicht. Nach dem Sturz des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch etwa hat Europa mitgejubelt, die Abspaltung der Krim verfolgen wir mit Ablehnung. Warum eigentlich? Ein Gespräch mit Politikwissenschaftler Laurent Goetschel von der Swiss Peace Foundation.

Herr Goetschel, wenn sich das Volk erhebt, finden wir das reflexartig gut. Warum?

Laurent Goetschel ist Direktor der Stiftung Swisspeace und Professor für Politikwissenschaft an der Universtität Basel.

Wir Schweizer haben eine ausgeprägte Sympathie für Politik, die von der Basis ausgeht, also Bewegungen, die von unten kommen. Das erklärt sich durch den Entstehungsprozess dieses Landes und seine politischen Traditionen. Es müssen jedoch nicht unbedingt Revolutionen sein. Aber ganz allgemein lässt sich im Westen sagen, dass Revolutionen die Idee von Freiheit und Befreiung ansprechen. Das ist seit der Aufklärung so.

Ob der Aufstand auch klug ist, interessiert uns nicht?

Ob eine Revolution der richtige Weg ist, lässt sich zum Zeitpunkt der Revolution kaum sagen, vor allem nicht aus der Ferne. Tendenziell beurteilen wir sie aber aus unserer eigenen Perspektive als gut, wenn wir den Eindruck haben, dass der Wechsel von der Bevölkerung gewollt und getragen wird.

Bei der Loslösung der Krim von der Ukraine sieht das anders aus, obwohl sie ja auch Volk kommt.

Bei der Krim hat man den nicht ganz unbegründeten Verdacht, dass es ein gesteuerter und geschürter Prozess ist. Das Volk ist dort nur ein Akteur in einem Machtkampf um verschiedene Interessen. Externe Einflüsse gibt es bei Revolutionen immer, aber beim arabischen Frühling etwa in Ägypten, hat sich das Volk gegen einen Diktator aufgelehnt, es war ein innerägyptischer Prozess. Auf der Krim herrscht der Eindruck vor, dass ein grosser Teil der Bevölkerung von Russland beeinflusst wird.

Aber das Volk hat sich doch in einem Referendum mit über 95 Prozent für den Beitritt zu Russland ausgesprochen.

Dieses Ergebnis ist schwierig. Demokratisch geschulte Augen betrachten es mit Skepsis, zumal sich ein Teil der Bevölkerung – die Krim-Tataren – bereits vorgängig zur Abstimmung negativ geäussert hatte. Zusammen mit den übrigen medialen Informationen zu den Aktivitäten Russlands auf der Krim legt das Ergebnis die Vermutung nahe, dass dem Entscheid kein freier Prozess voranging, sondern dieser geplant und beeinflusst war.

Russland nennt solche Interpretationen «westliche Propaganda», die Sicht der EU, die selbst Interessen in der Ukraine hat.

Propaganda ist Bestandteil der internationalen Politik. Zugespitzt gesagt ist die eigene Informationspolitik reine Information, diejenige der anderen Propaganda. Wenn Russland sagt, dass es nicht sein Militär war, das sich vor Ort mit Waffen positioniert hat, ist das sehr unglaubwürdig: Russland hat eine wichtige Marinebasis auf der Halbinsel Krim. Es würde kaum andere unkontrollierte, bewaffnete Kräfte vor Ort dulden. Die Frage ist allerdings, was man mit dieser Information tut.

Warum?

Die Nato hat sich seit dem Kalten Krieg um zahlreiche mittel- und osteuropäische Staaten erweitert – inklusive der baltischen Staaten als ehemalige Republiken der Sowjetunion. Auch mit Georgien und der Ukraine wurden Beziehungen aufgenommen, übrigens auch mit Russland. Letzteres hat auf diese Schritte jedoch immer kritisch reagiert. Wichtige Stimmen in Russland sehen darin eine Beschneidung der eigenen Einflusssphäre. Nun wird an einem Exempel Stärke demonstriert. Die Krim ist dafür besonders «geeignet»: mit einer russischen Bevölkerungsmehrheit, einer Marinebasis der Russen und dem Autonomie-Status.

Der gewaltsame Umsturz eine Regimes heisst nicht, dass es in diesem Land besser wird. Es heisst nur, dass das Volk nicht will, was bis dahin war.

Weil die Ukraine also nicht an den Westen angebunden ist, demonstriert Wladimir Putin seine Macht nun da?

Sagen wir, dass dies dadurch ermöglicht wird. Obwohl der Kalte Krieg längst vorbei ist, sind die Einflusssphären von Ost und West immer noch von Bedeutung. Russland würde niemals in Südamerika eine solche Entwicklung vorantreiben und die USA werden sich hüten, in der Ukraine selber militärisch aktiv zu werden.

Russlands Vorgehen hat dennoch auch andere Länder aufgeschreckt, die selbst Gebiete innerhalb ihrer Staaten haben, die von einer russischen Mehrheit bevölkert sind: Die Gefahr eines Flächenbrandes wird skizziert, etwa in Polen, Ungarn, der Slowakei…

Ein Flächenbrand ist kaum realistisch: Diese Staaten sind alle Nato-Mitglieder. Das Referendum auf der Krim kam nur zustande, weil Russland mit der faktischen Besetzung des Gebietes durch bewaffnete Kräfte die Verfügungsgewalt der Ukraine untergraben hat. Nur deshalb vermochte die Regionalregierung das Referendum überhaupt durchzuführen. Dass wäre in den anderen erwähnten Staaten nicht möglich.

Letztlich ist es aber auch egal, wenn wir uns den arabischen Frühling und den Umsturz in Ägypten anschauen: Besser ist dort nichts geworden.

Das hat mit unserer Erwartung zu tun: Wir haben den Reflex zu erwarten, dass, was vom Volk kommt, immer zu Besserem führt. Das Volk will es ja sicher nicht schlechter. In gewaltloser Hinsicht gilt dies auch für die Ergebnisse von Volksabstimmungen wie in der Schweiz, wenn davon ausgegangen wird, dass sich das Volk nicht irren kann. Der Umsturz eines diktatorischen Regimes – und in Ägypten herrschte unter Hosni Mubarak ein solches Regime – ist per se gut. Wir konnten jedoch nicht wissen, was danach kommen würde. Im Zusammenhang mit Revolutionen ist dann auch von «Entführung» oder «Missbrauch» die Rede. Vor Ort wird dies je nach dem anders wahrgenommen: Der Umsturz eines bestimmten Regimes durch die Bevölkerung heisst nicht zwingend, dass es in diesem Land aus unserer Sicht «besser» wird. Es heisst nur, dass das Volk nicht mehr will, was bis dahin war. In Ägypten ist die Situation äusserst komplex. Was bleibt, sind die Erfahrungen mit der Macht der Strasse und der Bevölkerung. Welches neue politische Fundament mittelfristig daraus entsteht, ist zurzeit offen. Auch in der Ukraine ist die Lage komplex. Sie war es schon vor dem Sturz von Viktor Janukowitsch. Der Westen hat womöglich klare Vorlieben für die Art und Weise, wie die Ukraine politisch und militärisch strukturiert sein sollte. Dies heisst jedoch nicht, dass es in der Ukraine «gute» Akteure gibt, die geeignet sind, diese Vorstellungen umzusetzen.

Wer sind denn «die guten Ukrainer»?

In unseren Augen sind die Guten in der Regel diejenigen, welche unsere eigenen Werte vertreten. Zu diesen gehören Demokratie, Freiheit, Menschenrechte und Transparenz.

Der Abspaltungsprozess der Krim verlief bisher gewaltarm, gibt es andere solche Prozesse, die friedlich abliefen?

Lassen Sie mich überlegen – ganz ohne Gewalt kommt mir nicht viel in den Sinn: Die Trennung von Nord- und Südsudan, von Eritrea und Äthiopien, oder von Kosovo und Serbien waren allesamt mit kriegerischen Auseinandersetzungen verbunden. Hier ging es jedoch auch um die Bildung neuer Staaten. Grenzveränderungen sind tendenziell keine gewaltlosen Prozesse. Im Verhältnis dazu ist der aktuelle Fall auf der Krim bisher relativ arm an Gewalt verlaufen.

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Die Friedensstiftung organisiert am 8. April 2014 an der Universität Basel (Kollegienhaus, Raum 118, 18.15 – 20 Uhr) eine Diskussionsveranstaltung zum Thema: «Ukraine 2014 – von der Revolution zur Spaltung? Eine Gesellschaft zwischen Macht und Ohnmacht» –  Hauptredner Maxim Butkevych, Co-Koordinator der NGO Social Action Center, Kiew / Kommentare von Prof. Dr. und Andrey Suzdaltsev, Professor für Internationale Politik an der Higher School of Economics, Moskau und Rudolf Hermann, Ukraine-Korrespondent der «Neuen Zürcher Zeitung».

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