Warum wir nicht wissen wollen, wer wirklich regiert

Die Schweiz regelt die Parteienfinanzierung alles andere als streng. Das bringt sie international in Erklärungsnot und gefährdet erst noch die direkte Demokratie. Trotzdem will die Schweiz so weitermachen.

Die vier Parteipraesidenten Martin Landolt (BDP), Christophe Darbellay (CVP), Philipp Mueller (FDP) und Toni Brunner (SVP), von links, werben bei einer Aktion auf einem Kran fuer ein "Ja" zur Gripenabstimmung vom 18. Mai, am Donnerstag, 8. Mai 2014 auf dem Bundesplatz in Bern. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)

(Bild: Keystone/Peter Klaunzer)

Die Schweiz regelt die Parteienfinanzierung alles andere als streng. Das bringt sie international in Erklärungsnot und gefährdet erst noch die direkte Demokratie. Trotzdem will die Schweiz so weitermachen.

Unsere angeblich so vorbildliche Demokratie hat ein doppeltes Problem: Erstens die stark ungleiche Finanzierung der Partien, die berühmten ungleich langen «Spiesse». Und zweitens die Geheimhaltung der Parteienfinanzierung.

Demokratietheoretisch sollte die politische Konkurrenzfähigkeit nicht von den finanziellen Mitteln abhängen. Zudem sollte man mindestens wahrnehmen können, wie viel Geld und von wem Geld zur Verfügung gestellt wird. Und das ist gerade in der Schweiz ausgesprochen nicht der Fall.

Die Schweiz ist 2006, also in der Amtszeit von Bundesrat Blocher, der Antikorruptions-Konvention des Europarats beigetreten. Dabei hat sie allerdings übersehen, dass diese Konvention auch in der Parteienfinanzierung Transparenz verlangt.

In Erklärungsnot

Die zur Überwachung der Konvention eingesetzte Greco (Groupe d’états contre la Corruption) war schon mehrfach in der Schweiz. In ihrem Länderexamen von 2011 hat sie Transparenz-Empfehlungen abgegeben, 2013 hat sie gerügt, dass diese noch nicht umgesetzt worden sind. Im Juli 2014 hat sie erneut festgestellt, dass keine Fortschritte gemacht worden sind. Und im August 2015 musste das Bundesamt für Justiz die unvorteilhafte Notiz auf seine Website setzen, dass die Schweiz gemäss zweitem Greco-Zwischenbericht bezüglich der Parteienfinanzierung weiterhin im «Nichtkonformitätsverfahren» hänge und bis Ende März 2016 erneut Bericht erstatten müsse.

Hinzu kommt das spezielle Problem der Barspenden. Dabei geht es nicht um 100 Franken. Offensichtlich können grosse Summen undeklariert die Hand wechseln. Die meisten dürften es bereits wieder vergessen haben: Im März 2012 wurde bekannt, dass im Jahr 2007 mindestens 1,5 Blocher-Millionen, wie man sagt, per Vertrauensanwalt und Köfferchen an die SVP gingen («NZZ am Sonntag»). Zudem sollen, wie in aller Öffentlichkeit weiter festgehalten wurde, mehrere Millionen von einem «Komitee für eine souveräne Schweiz» der SVP zugeflossen sein.

Da sieht man, was mit der gerne verwendeten Vokabel «souverän» gemeint ist: Da soll reichlich vorhandenes Kapital souverän das Volk beeinflussen, auf dessen Meinung man sich dann berufen kann. 

Grosse Differenzen

Justizministerin Simonetta Sommaruga versuchte angesichts der Mahnungen des Europarats in Von-Wattenwyl-Gesprächen den Parteispitzen beliebt zu machen: entweder eine obligatorische Offenlegung der Rechnung der Parteien oder eine freiwillige Offenlegung im bestehenden Parteienregister. Die SP-Bundesrätin biss aber auf Granit – nur ihre eigene Partei stimmte zu.

Eine auf kantonaler Ebene durchgeführte und kürzlich publizierte SRF-Umfrage konnte zwar nicht Transparenz herstellen, aber Überblick schaffen. Ihr Ergebnis: «Im Gegensatz zu den Mitte-Links-Parteien bleiben die Finanzen rechts der Mitte öfter geheim. Das beginnt bei der CVP, wo gerade noch die Hälfte der Sektionen ihr Budget kommuniziert hat. Noch weiter hinten liegt die SVP, vor allem aber die FDP.»

Was uns weniger bewusst ist: Grosse Differenzen bestehen auch zwischen Deutschschweiz und Romandie. Die welsche Schweiz zeigt sich insgesamt deutlich transparenter. Warum ist das so?

Drei Kantone haben bereits solche Regelungen eingeführt, wenn auch mit relativ weichen Vorgaben: das Tessin (1998), Genf (1999) und Neuenburg (2013). Im Tessin müssen die Parteien alle Spenden über 10’000 Franken melden. Und für Wahlkandidaten sowie Initiativ- und Referendumskomitees gilt eine Meldepflicht bereits für Spenden ab 5000 Franken. Sprechen die da gemachten Erfahrungen gegen eine Übernahme in anderen Kantonen und auf Bundesebene?

Was die SVP an Werbeauftritten hinlegt, kann sie als Milizorganisation – auch geistig – gar nicht selber geschaffen haben. Das haben mit SVP-Geld bezahlte Profis gemacht.

In anderen Kantonen ist der Widerstand gross, der Granit hart. Im Kanton Basel-Landschaft wurde am 9. Juni 2013 eine Transparenz-Initiative mit 56,8 Prozent der Stimmen abgelehnt. Im September 2014 fand eine noch weitergehende Initiative im Kanton Aargau immerhin eine Zustimmung von 44,3 Prozent! Und Basel-Stadt? Transparenz-Vorschriften gab es in der Zeit vor 2005 vorübergehend im Verfassungsentwurf, wegen der negativen Rückmeldungen wurden sie aber wieder herausgenommen. Und die weiteren Vorstösse in den Jahren 2010 bis 2013 blieben ebenfalls erfolglos.

In die Parteikassen blicken und so die dahinter stehenden Kräfte identifizieren können wir zwar nicht. Aber immerhin feststellen, wie höchst ungleich der Aufwand ist, der mit Inseraten, Plakaten, Werbefilmen, Parteifesten und anderen Strassenaktionen betrieben wird. Wir können Inseratflächen ausmessen und so Kosten einschätzen. Wie viel zusätzlich ausgegeben wird, um die Geister dahinter zu finanzieren, die PR-Agenturen und Wahlkampfbüros, das hingegen können wir nicht wissen. Was die SVP an Werbeauftritten hinlegt, kann sie als Milizorganisation – auch geistig – gar nicht selber geschaffen haben. Das haben mit SVP-Geld bezahlte Profis gemacht.

Informationen zu dieser Problematik sind leicht verfügbar, in regelmässig wiederkehrenden Presseberichten und Buchpublikationen. Warum bewirken sie wenig bis nichts? Da gibt es einmal die Kräfte, die ihre Vorteile aus der jetzigen Situation ziehen und auf keinen Fall eine Änderung wollen. Dann gibt es die mittlere Kategorie, die befürchtet, dass Spendenflüsse, auf die sie angewiesen ist, versiegen. Und schliesslich gibt es die vorläufige Minderheit, die aus Prinzip dagegen ist, aber bei einem Spendenrückgang auch wenig verlieren würde, weil sie ohnehin wenig erhält.

Die Wirkung von Geld

Eine weitere Erklärung für den Widerstand liegt in dieser Befürchtung: Würde die private Parteienfinanzierung erschwert, könnte man der nicht gewünschten Parteifinanzierung durch den Staat näher kommen, wie sie zum Beispiel in Deutschland mit grosser Selbstverständlichkeit praktiziert wird.

Der Kern des Problems liegt darin, dass eine vorläufige Mehrheit meint, der Private dürfe doch mit seinem Geld machen, was er wolle, und dem Staat stünden da weder Vorschriften noch Kontrollen zu. Der Vergleich muss nicht rundum stimmen: Uns käme auch nicht in den Sinn, dem Staat die Zuständigkeit abzusprechen, Regeln im Strassenverkehr aufzustellen und deren Einhaltung zu überwachen.

Gerade diejenigen, die über finanzielle Mittel verfügen, beschwichtigen gerne, man könne mit Geld doch nicht alles machen – es hänge in erheblichem Mass von den politischen Argumenten (dem Geist?) ab. Die Wirkung von Geld in Politkampagnen ist schwer einzuschätzen. Da sind zwischen Überschätzen und Unterschätzen viele Abstufungen möglich. Die Grösse des Wahlkampfbudgets schlägt sich sicher nicht eins zu eins in Wählerstimmen nieder. Sonst müsste die SVP statt ihren 26 bis 28 Prozent einen Wähleranteil von über 50 Prozent haben.

Die Kritik muss von innen kommen

Im November 2014 beschloss der Bundesrat, von einer gesetzlichen Regelung der Parteienfinanzierung abzusehen – wohl ohne die Zustimmung der Justizministerin. Er berief sich auf den Sonderfall, die «Eigenheiten des Schweizer Systems». Gemeint ist die direkte Demokratie, die es mit sich bringe, dass neben den Parteien eine Vielzahl anderer Akteure auf der politischen Bühne tätig sei. Föderalismus und kantonale Autonomie wie auch das politische Milizsystem seien ebenfalls hinderlich. Der Finanzbedarf der Parteien sei in der Schweiz bedeutend kleiner als in anderen Ländern. «Zudem sind das politische Leben sowie die Finanzierung der Parteien in der Wahrnehmung der Bevölkerung noch weitgehend Sache privaten Engagements und nicht des Staates.»

Die Kritik von aussen wird einige nur noch trotziger machen, die «souverän» an der für sie vorteilhaften Nichttransparenz festhalten wollen.

Manche Teile dieser Argumentation überzeugen nicht. Typisch ist die Berufung auf die direkte Demokratie. In den Wahlen unterscheidet sich die Schweiz aber überhaupt nicht von anderen Ländern. Man sollte nicht von elementaren Lösungen absehen, nur weil der ganze Komplex zugegebenermassen kompliziert ist und man nicht «alles» regeln kann. Die Finanzierung zum Beispiel einzelner Kandidaten lässt sich schwer regeln, und dies, obwohl diese sogar leichter zu beeinflussen sind als ganze Parteien.

Die Schweiz ist (vielleicht neben Schweden) das einzige Land in Europa, das die Parteienfinanzierung nicht regelt. Veränderung in der jetzt noch vorherrschenden Grundeinstellung kann aber nicht von aussen, sie kann nicht von der Greco, sie muss von innen kommen. Die Kritik von aussen wird einige nur noch trotziger machen, die «souverän» an der für sie vorteilhaften Nichttransparenz festhalten wollen.

Kritik kann aber auch einsichtig machen. Bei der Einführung des Frauenstimmrechts – ebenfalls ein souveränes Demokratieproblem – war das ähnlich: Man klammerte sich ein paar Jahre oder Jahrzehnte zu lange an den Sonderfall. Gut tat dies dem Ruf der Schweiz in Europa nicht. Es war aber mehr als bloss ein Reputationsschaden, es war eine Selbstschädigung auf Kosten der eigenen demokratischen Kultur.

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