Für viele Nationalräte bleibt ein Sitz im Ständerat ein begehrtes Ziel. Diesen Herbst haben fünf den Wechsel geschafft.
Am Sonntag sind im Aargau und in Zürich die beiden letzten Ständeratssitze vergeben worden. Mit Philipp Müller (FDP/AG) und Ruedi Noser (FDP/ZH) machten zwei amtierende Nationalräte das Rennen. Für Mitglieder des Nationalrats ist ein Ständeratsmandat ganz offensichtlich attraktiv.
Rund 30 Nationalräte oder Nationalrätinnen haben sich jedenfalls in diesem Herbst auch für ein Mandat im Ständerat beworben. Nebst Müller und Noser haben den Sprung in die kleine Kammer auch Daniel Jositsch (SP/ZH), Andrea Caroni (FDP/AR) und Olivier Français (FDP/VD) geschafft.
Viele heutige Ständeräte sassen einst im Nationalrat
Gerade auch vor dem Hintergrund, dass die kleine Kammer heute von den Politikern selber dermassen hoch geschätzt wird, wundert sich Urs Altermatt, emeritierter Geschichtsprofessor der Universität Fribourg, über die Medienberichterstattung nach den Wahlen vom Oktober: «Ich bin erstaunt, wie stark die Medien nach dem Wahlsonntag von einem Rechtsrutsch sprachen und dabei die kleine Kammer ganz vergassen. Wo blieb da die Gesamtanalyse?»
In Bezug auf den Ständerat fand 2015 in der Tat kein Rechtsrutsch statt. Die SP Schweiz spricht mit Blick auf den Ständerat gar von einem für sie «historischen Ergebnis». Mit ihren 12 Sitzen ist die SP nun jedenfalls so stark wie noch nie zuvor in der kleinen Kammer vertreten.
Im 19. Jahrhundert waren Wechsel vom Ständerat in den Nationalrat durchaus üblich.
Auffällig ist beim Blick auf den Ständerat einerseits, dass ein erheblicher Teil der Parlamentarier eine Vergangenheit als Nationalrat aufweist. Gemäss Angabe der Parlamentsdienste waren dies in der Legislatur 2011 bis 2015 18 Mitglieder, in der neuen Legislatur werden es nun ebenfalls deren 18 sein.
Andererseits geht heute kaum jemand den umgekehrten Weg. Vor vier Jahren trat der damalige Ständerat Maximilian Reimann (SVP/AG) aus parteiinternen Gründen nicht mehr zu den Ständeratswahlen an. Stattdessen kandidierte er für die grosse Kammer und wurde so im Herbst 2011 zum Nationalrat gewählt. Anders als heute waren gemäss Mark Stucki von den Parlamentsdiensten im 19. Jahrhundert derartige Wechsel vom Ständerat in den Nationalrat offenbar durchaus üblich.
Grösseres politisches Gewicht
Was macht einen Sitz im Ständerat im Vergleich zum Nationalrat attraktiver? Nationalräte, die im Herbst auch für den Ständerat kandidierten, nennen auf Anfrage mehrere Gründe. Da ist einerseits sicher das grössere politische Gewicht. Der Ständerat ist rund viermal kleiner als der Nationalrat, die einzelne Stimme zählt somit mehr.
Louis Schelbert (Grüne/LU) nennt auch die mit einem Ständeratssitz verbundene Reputation sowohl für die gewählten Personen als auch für deren Parteien. Ein Ständeratsmandat sei in erster Linie darum attraktiver, weil Ständeräte eine Verantwortung für den ganzen Kanton übernehmen müssen, sagt Ruedi Noser (FDP/ZH). Die Diskussionskultur sei im Ständerat zudem sachlicher und man höre sich gegenseitig mehr zu. Dem stimmt Barbara Schmid-Federer (CVP/ZH) zu. Der Ständerat politisiere weniger polemisch als der Nationalrat.
Keine Fraktionen im Ständerat
Die zurücktretende Christine Egerszegi (FDP/AG) kennt beide Seiten aus eigener Erfahrung. Von 1995 bis 2007 war sie Nationalrätin. Ab 2007 hat sie ihren Kanton als Ständerätin vertreten. Für sie ist klar: «Die politische Arbeit im Ständerat ist umfangreicher und interessanter.» Ein Ständerat sei einer von 46 (statt von 200 wie im Nationalrat) und nehme in vier Kommissionen mit je 13 Mitgliedern Einsitz (statt in bloss ein bis zwei Kommissionen mit je 25 Mitgliedern wie im Nationalrat).
Im Ständerat gebe es auch keine Fraktionen und somit auch keine Fraktionserklärungen. Man bringe als Ständerat so gleich seine eigene Haltung ein. «Man vertritt in erster Linie den Kanton und nicht die Partei. In den meisten Fällen holt man auch die Meinung der Kantonsregierung ein.» Zudem sei die Debatte im Rat nicht strukturiert. Man könne sich melden, wenn man etwas zu sagen habe.
Auch das «Atmosphärische» ist wichtig
Auch das Arbeitsklima spielt bei der grösseren Attraktivität des Ständerates eine nicht zu unterschätzende Rolle. Im Ständerat höre man einander besser zu, die Atmosphäre sei eher so wie in einer Exekutive, sagt Marianne Streiff (EVP/BE). Das sieht Prisca Birrer-Heimo (SP/LU) ähnlich: «Die Beratungen sind ruhiger, effizienter und den Kolleginnen und den Kollegen sowie den Bundesratsmitgliedern wird auch mehr Respekt entgegengebracht.»
Ein oft diskutiertes Thema bleibt der Lärmpegel im Nationalratssaal. Ratspräsident Stéphane Rossini sprach in diesem Zusammenhang anlässlich der diesjährigen Herbstsession von einer «préoccupation constante» und rief den Mitgliedern des Nationalrates die entsprechenden Verhaltensregeln in Erinnerung. Gemäss Nationalrat Louis Schelbert (Grüne/LU) können äussere Faktoren wie das Arbeitsklima oder der Lärmpegel im Nationalratssaal grundsätzlich durchaus auch einen Einfluss darauf haben, sich einen Wechsel vom Nationalrat in den Ständerat zu überlegen: «Das hatten sie bei mir, massgebend waren sie indessen nicht.»
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Mehr zu den Eidgenössischen Wahlen 2015 im Dossier zum Thema.