Was die #DSI mit Polen zu tun hat

Polen steht derzeit wegen eines neuen Mediengesetzes in der Kritik, doch viel beunruhigender ist die Missachtung der Gewaltentrennung durch den Staatspräsidenten. Dieses demokratische Grundprinzip droht auch in der Schweiz gebrochen zu werden. Vom Volk.

epa04874571 Polish President Andrzej Duda speaks in front of the Presidential Palace, after his swearing-in ceremony in Warsaw, Poland, 06 August 2015. Poland's new President Andrzej Duda was sworn into office on 06 August in a development set to bring about new political challenges for the current government. The ceremony marked the start of the Krakow-born lawyer's term as head of state. He succeeds Bronislaw Komorowski following a result in May that defied pre-election polls. EPA/JACEK TURCZYK POLAND OUT

(Bild: Keystone/JACEK TURCZYK)

Polen steht derzeit wegen eines neuen Mediengesetzes in der Kritik, doch viel beunruhigender ist die Missachtung der Gewaltentrennung durch den Staatspräsidenten. Dieses demokratische Grundprinzip droht auch in der Schweiz gebrochen zu werden. Vom Volk.

Aus Polen erreichen uns seit dem Regierungswechsel im November 2015 alarmierende Nachrichten. Im Eiltempo boxt die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) eine Reform nach der anderen durch. Grosses Aufsehen erregt aktuell das neu verabschiedete Mediengesetz.

Neuerdings entscheidet der Schatzminister darüber, wer die Leitung der staatlich-öffentlichen Radio- und Fernsehsender übernimmt. 

Zu Recht wird die polnische Regierung für dieses Vorgehen kritisiert. Doch sollte die Berichterstattung über das Mediengesetz nicht von einem weitaus problematischeren Geschehnis in Polen ablenken.

Der Präsident bricht die Verfassung

Staatspräsident Andrzej Duda hat die Verfassung gebrochen und bewusst das Prinzip der Gewaltentrennung missachtet. Dabei geht es um die Wahl fünf neuer Verfassungsrichter, die jeweils vom Staatspräsidenten in ihrem Amt vereidigt werden. Die Beschlüsse des Verfassungsgerichts sind für alle verbindlich, auch für den Präsidenten.

Nach dem Sieg der rechtskonservativen Partei PiS bei den Parlamentswahlen im November 2015 hat Präsident Andrzej Duda die noch von der Vorgängerregierung ernannten Richter nicht bestätigt, sondern liess vom PiS-dominierten Parlament fünf neue Richter wählen, die er dann vereidigte. 



Nicht nur überschritt Duda damit seine Machtkompetenz, er missachtete auch das Urteil des Verfassungsgerichts. Dieses war zum Schluss gekommen, dass der Präsident drei der ursprünglich fünf gewählten Richter vereidigen müsse. Seither ist die Situation verfahren: Der Präsident weigert sich, dem Urteil des Verfassungsgerichts Folge zu leisten und blockiert dadurch dessen weitere Tätigkeit.



In einem kürzlich erschienenen Interview in der Zeitung «wSieci» kommentierte der studierte Jurist Duda selbstbewusst: «Wer regiert in Polen – das demokratisch gewählte Parlament oder das Verfassungsgericht?»

Die Schweiz lässt grüssen

Eine ähnliche Rhetorik ist man sich in der Schweiz schon lange gewohnt. Und leider sind den Worten auch schon Taten gefolgt. Dennoch sieht sich die Schweiz weiterhin als Musterschülerin in Sachen Demokratie. Gleichwohl bedeutet Demokratie nicht nur Volkswille, sie bedeutet eben auch Gewaltentrennung. In der Schweiz ist die gesetzgebende Gewalt – die Legislative – das Parlament, doch im Unterschied zu vielen anderen Ländern können die Stimmberechtigten über das Initiativ- und Referendumsrecht die Gesetzgebung beeinflussen. 



Das Volk kann mithilfe einer Initiative das Parlament zu einer neuen Gesetzgebung auffordern. Wird die Initiative angenommen, arbeitet üblicherweise die Exekutive – der Bundesrat – einen Gesetzesentwurf aus, der nach einem Vernehmlassungsverfahren dem Parlament vorgelegt wird. Mehrere Anhörungen und Abstimmungen im National- und Ständerat folgen. Nachdem sich die beiden Räte in einer Schlussabstimmung geeinigt haben, wird die fertige Gesetzesvorlage veröffentlicht. An dieser Stelle können sich die Stimmberechtigten erneut mittels Referendum direkt in das Verfahren einschalten.

Die Durchsetzungsinitiative will nun das Volk über die Ausschaffung krimineller Ausländer abstimmen lassen, wobei im Fall einer Annahme alles bis ins Detail direkt von der Verfassung geregelt würde. Da die Verfassung die oberste Hierarchiestufe des Rechtssystems ist, wird sowohl das Parlament als gesetzgebende als auch die richterliche Gewalt umgangen beziehungsweise deren Souveränität eingeschränkt: Es sei an dieser Stelle daran erinnert, dass in der Schweiz auch die Richter vom Volk bestimmt werden.

Verschleierte Fragestellung

Gewaltentrennung ist ein wohl austariertes System. Beginnt sich das Gleichgewicht zu verschieben, droht das Ganze zu kippen. Der Inhalt der Durchsetzungsinitiative ist vor diesem Hintergrund zweitrangig. Die Schweiz kennt kein Verfassungsgericht wie jenes in Polen. In der direkten Demokratie sind die Stimmberechtigten die Hüter der Verfassung. 



Die eigentliche Frage der Volksinitiative lautet also: «Wollen wir ein demokratisches System mit seiner Gewaltentrennung beibehalten?» und nicht «Wollen wir kriminelle Ausländer ausschaffen?». Einmal mehr weiss die SVP mit ihrer Polemik die eigentliche Fragestellung geschickt zu verschleiern. Das ist nicht hilfreich. Doch verantwortlich ist schlussendlich jeder einzelne Stimmbürger. 



Vielleicht wird irgendwann ein Strafprozess gegen Präsident Duda für das Missachten der Gewaltentrennung eingeleitet werden. Wir als Stimmvolk werden nie vor einem Richter erscheinen müssen. Dennoch sollten wir nicht vergessen, dass wir selbst für den Erhalt unserer Demokratie verantwortlich sind.

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