Was die Durchsetzungs-Initiative will – und was die Folgen wären

Am 28. Februar kommt die Durchsetzungsinitiative zur Abstimmung. Neun Antworten zur umstrittenen SVP-Vorlage.

Was sind die Folgen der Durchsetzungsinitiative?

(Bild: Keystone)

Am 28. Februar kommt die Durchsetzungsinitiative zur Abstimmung. Neun Antworten zur umstrittenen SVP-Vorlage.

Die SVP doppelt nach. Bereits zum zweiten Mal entscheidet die Stimmbevölkerung darüber, ob Menschen ohne Schweizer Pass aus dem Land gewiesen werden, wenn sie eine Straftat begehen.

Die SVP-Initiative zur «Ausschaffung von kriminellen Ausländern» wurde am 28. November 2010 angenommen. Bundesrat und Parlament haben die Volksinitiative bereits umgesetzt – jedoch zu lasch, wie die SVP findet.

Nun soll es die Durchsetzungsinitiative richten, über die die stimmberechtigten Schweizerinnen und Schweizer am 28. Februar entscheiden.

1. Worüber stimmen wir ab?

Mit der Durchsetzungsinitiative entscheidet die Stimmbevölkerung, ob Menschen ohne Schweizer Pass bei bestimmten Straftaten das Land verlassen müssen – ohne Rücksicht auf die individuelle Situation.

Der Text, der in die Verfassung soll, umfasst einen Katalog an Delikten, die zu einer Ausweisung führen sollen. Zum Beispiel schwere Straftaten wie Mord, Vergewaltigung oder schwere Körperverletzung. Aber auch Delikte wie einfacher Diebstahl, Hausfriedensbruch oder Betrug im Bereich von Sozialleistungen können zu einer Ausweisung führen. 

Wer also ein Moped stiehlt oder die AHV absichtlich falsch abrechnet und keinen Schweizer Pass besitzt, der muss nach Annahme der Initiative automatisch das Land verlassen.

2. Was ist der Unterschied zwischen der Durchsetzungsinitiative und der Ausschaffungsinitiative?

Das Gesetz, das Bundesrat und Parlament nach der Annahme der Ausschaffungsinitiative formulierten, beinhaltet ebenfalls einen Katalog an Delikten, nach denen Ausländer das Land verlassen müssen.

Bei der Durchsetzungsinitiative sind es jedoch rund 40 Delikte mehr, die zu einer Ausweisung führen sollen. Die neue Initiative will insbesondere, dass auch einfache Delikte wie Hausfriedensbruch zur Ausweisung führen.

Zudem wollen Bundesrat und Parlament eine Härtefallklausel, die eine Ausweisung in bestimmten Fällen verhindert. Die SVP will diese mit der Durchsetzungsinitiative verhindern.

3. Was bedeutet Härtefallklausel?

Ein Härtefall ist ein atypischer Sachverhalt, der vom Normalfall abweicht. Bei der Härtefallklausel müssen Richter also auch die individuelle Situation einer Person berücksichtigen – was in vielen Rechtsbereichen üblich ist.

Für die Ausschaffungspraxis bedeutet das: Wer beispielsweise eine schwere Körperverletzung begeht und in der Schweiz Frau und Kinder hat, der darf unter bestimmten Umständen im Land bleiben. Nämlich dann, wenn etwa der Richter das Wohl des Kindes höher gewichtet als das öffentliche Interesse an einer Ausweisung.

Wie viele Personen dank Härtefallklausel in der Schweiz bleiben dürften, ist unklar. Fest steht: So wie der Bundesrat und das Parlament die Härtefallklausel formuliert, wäre es nur ein Bruchteil der Personen, die ausgewiesen werden.

4. Wie viele Menschen sind von der Initiative betroffen?

Laut Bundesamt für Statistik würden nach Annahme der Initiative über 10’000 Personen pro Jahr ausgewiesen. Mit dem Gesetz zur Ausschaffungsinitiative, die Bundesrat und Parlament vorschlugen, wären es deutlich weniger – etwa 4000 pro Jahr.

Da die Durchsetzungsinitiative auch Bagatelldelikte umfasst, sind es deutlich mehr Personen, die das Land verlassen müssten.

5. Müssen auch Secondos gehen, die in der Schweiz geboren sind?

Der SVP-Nationalrat und Rechtsprofessor Hans-Ueli Vogt sagt im Interview mit der «Schweiz am Sonntag», dass in der Schweiz geborene Personen hier bleiben dürften, wenn sie ein Delikt begehen.

Der Initiativtext spricht hingegen eine andere Sprache. Dort wird nicht zwischen Personen unterschieden, die hier geboren sind oder nicht. Die Rede ist von «Ausländerinnen und Ausländern» – das sind per definitionem Menschen ohne Schweizer Pass, also auch Secondos.

6. Tangiert die Initiative die Grundrechte?

Die Initiative setzt das Prinzip der Verhältnismässigkeit praktisch ausser Kraft. Richter würden nach dem neuen Gesetz keine Einzelfallprüfung vornehmen, ein Delinquent würde quasi automatisch ausgeschafft.

In letzter Instanz könnten die Bundesrichter eine Ausweisung verhindern. Nämlich dann, wenn sie das Recht auf eine Einzelfallprüfung dem neuen Gesetz vorziehen würden.

In bestimmten Fällen beschneidet die Initiative auch das Recht auf Privat- und Familienleben, wie es die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) garantiert. Nämlich dann, wenn eine Person ausgeschafft und damit das Recht auf Familienleben missachtet wird.

7. Ist die Initiative verfassungswidrig?

Nein. Die Initiative ist mit der Verfassung vereinbar. Sie untergräbt aber die Gewaltenteilung, indem sie das Parlament als Gesetzgeber quasi ausschaltet.

Mit der Initiative haben Bundesrat und Parlament kaum Spielraum für eine Umsetzung. Es bleibt ihnen nichts anderes übrig, als den Deliktkatalog und den Ausschaffungsautomatismus ins Gesetz zu schreiben, so wie sie die SVP formuliert.

8. Warum wurde die Initiative nicht für ungültig erklärt?

Eine Initiative ist dann ungültig, wenn die «Einheit der Materie» nicht gegeben ist, also beispielsweise wenn die Initiative widersprüchlich formuliert ist oder unterschiedliche Bereiche vermischt. Oder wenn die Initiative zwingende Bestimmungen des Völkerrechts verletzt.

Der Bundesrat schlug vor, die Initiative als teilungültig zu erklären, da die SVP im Initiativtext das zwingende Völkerrecht neu definierte («als zwingendes Völkerrecht gelten …»). Diese Passage sei unzulässig, fanden Bundesrat wie auch National- und Ständerat.

Dennoch kommt die Initiative zur Abstimmung. Den Antrag von Nationalrat Andreas Gross (SP, ZH), der die Initiative als ungültig erklären wollte, lehnte das Parlament ab.

Seit Einführung der Volksinitiative wurden erst deren vier als ungültig erklärt.

9. Welche Folgen hätte eine Annahme auf internationaler Ebene?

Eine Verletzung der EMRK wäre nach einem Ja programmiert. Die Organisation humanrights.ch warnt davor, «dass die Schweiz die EMRK systematisch verletzen würde» und damit eine Kündigung der EMRK in Kauf genommen werde.

Ausserdem widerspricht die automatische Ausschaffung dem Freizügigkeitsabkommen mit der EU. Denkbar wäre, dass sich die Beziehungen zur EU damit weiter verschärfen würden.

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