Wie kann die Region Basel die Grenzgänger noch halten, auf die ihre Wirtschaft angewiesen ist? Hat die Politik ganz allgemein und die SP im Besonderen versagt? Nach dem Ja zur Masseneinwanderungsinitiative der SVP gibt es einige drängende Fragen. Antworten von Wirtschaftsdirektor Christoph Brutschin.
Die Nordwestschweizer Regierungen hatten vor der Abstimmung über die Masseneinwanderungsinitiative der SVP noch gewarnt: Die Region Basel sei auf die Spitzenkräfte aus ganz Europa angewiesen. Und – mindestens so sehr – auf die fast 70 000 Grenzgänger aus dem Elsass und Baden, die in der Region Basel arbeiten.
Diese sind von den «jährlichen Höchstzahlen und Kontingenten» ebenfalls betroffen, welche die SVP in ihrer Masseneinwanderungsinitiative verlangt hat. «Ein Ja hätte darum verheerende Folgen für uns», sagte der Baselbieter Sicherheitsdirektor Isaac Reber Mitte Januar an der Pressekonferenz der Nordwestschweizer Regierungskonferenz.
Es war eine eindringliche Warnung, doch sie half nur sehr bedingt: Basel-Stadt lehnte die Initiative am Wochenende zwar ab, die anderen Nordwestschweizer Kantone stimmten aber mit der gesamtschweizerischen Mehrheit – für Kontingente (Baselland: 50.6% Ja-Stimmen, Solothurn: 54.6%, Aargau: 55.2%).
Was kann noch unternommen werden in dieser «verheerenden Situation»? Und wie konnte es dazu kommen? Das fragt sich auch der Basler Wirtschaftsdirektor Christoph Brutschin (SP). Hier seine Erklärungsversuche – zu diesen Fragen und den anderen, die ihn seit Sonntag beschäftigen.
Was kann die Region Basel jetzt tun – ausser die Entscheide in Bern und Brüssel über den Umfang der Kontingente und die Zukunft der Personenfreizügigkeit abzuwarten?
Christoph Brutschin (Bild: Keystone)
Die Basler Regierung werde beim Bund erstens ganz generell auf möglichst hohe und möglichst flexible Kontingente drängen, sagt Brutschin. Und sich zweitens dafür einsetzen, dass es speziell für Grenzgängerinnen und Grenzgänger hohe Limiten gibt. Damit dieses Ziel möglichst erreicht werden kann, will Basel-Stadt auch mit anderen Kantonen zusammenspannen, die nun ein ähnliches Problem haben – Genf, Jura oder Neuenburg zum Beispiel.
Wie sieht ein Kontingent denn aus, mit dem die Basler Regierung noch zufrieden wäre?
Am liebsten wäre Brutschin, wenn in Zukunft genau gleich viele Ausländer einwandern könnten wie in den vergangenen Jahren – oder sogar noch mehr, falls der Bedarf weiter wächst. Das heisst: Brutschin möchte eigentlich keine Limiten. Aber selbstverständlich ist auch ihm klar, dass der Volksentscheid akzeptiert werden muss. «Irgendwelche Schlaumeiereien wären darum der falsche Weg», sagt Brutschin. Es ist ein klassisches Dilemma.
Was ist von der Idee der SVP zu halten, das Saisonnier-Statut wieder einzuführen?
Nichts – zumindest, wenn es nach Brutschin geht. Die Spitzenkräfte seien nicht bereit, nur als Kurzaufenthalter und möglicherweise sogar noch alleine, ohne ihre Familie, in die Schweiz zu kommen und hier zu arbeiten. Und auch für die weniger gut qualifizierten Arbeitnehmer lehnt Brutschin die Einführung eines Statuts ab – weil «solch starre Systeme noch nie wirklich etwas gebracht haben». Und weil sie eindeutig der Personenfreizügigkeit widersprechen. Vor diesem Bruch mit der EU warnt Brutschin: «Danach wäre die Unsicherheit noch grösser als jetzt. Und diese Unklarheit ist das Schlimmste, was der Wirtschaft passieren kann. In solchen Situationen hält sie sich häufig mit Investitionen zurück.»
Warum wurde die Initiative denn angenommen – trotz dieser vielen Unklarheiten?
Eine Frage, auf die es schon eine interessante Antwort gibt – vom Baselbieter Volkswirtschaftsdirektor Thomas Weber (SVP). «Die Abstimmungsresultate gruppieren sich nach dem Einkommen: Je höher die Einkommensverhältnisse sind in einer Region, desto höher ist der Nein-Stimmen-Anteil», sagte er gegenüber der «bz Basel». Ähnlich sieht das auch sein Basler Amtskollege Christoph Brutschin: «In den ländlichen Gebieten und den Agglomerationsgemeinden, in denen tendenziell mehr Menschen ein eher etwas tieferes Einkommen haben, scheint mir die Zustimmung zur Masseneinwanderungsinitiative höher zu sein.» Brutschins Begründung: Die Menschen dort haben möglicherweise das Gefühl, vom Wirtschaftswachstum und damit von der Zuwanderung weniger stark zu profitieren als die Wirtschaftszentren. Und sie befürchten, dass sich die Schere in den nächsten Jahren noch weiter auftun könnte.
Hat sich die Politik zu wenig um die kleinen Leute gekümmert?
Eindeutig bejahen mag Brutschin diese Frage nicht. Aber er sagt, dass die «offenbar vorhandenen Ängste unbedingt ernst genommen werden müssen». Und er gibt zu, dass die flankierenden Massnahmen bis jetzt nicht überall so durchgesetzt werden können, wie das vorgesehen war. Eine Feststellung, die übrigens auch auf die Region Basel zutrifft: Auch hier gibt es einige Baustellen, auf denen Ausländer zu Dumpinglöhnen chrampfen.
Ist die Politik generell und ganz speziell auch die SP beim Thema der Migration zu weit weg von den Sorgen der Bevölkerung?
Die Kritik stammt aus berufenen Mund – jenem des Alt-Nationalrats Rudolf Strahm, selbst ein SPler –, auch wenn Brutschin sich auf Anfrage nochmals erkundigt, ob der Ruedi das tatsächlich genau so gesagt habe. Die Antwort lautet, ja, Strahm hat sich tatsächlich so geäussert und er konnte seinen Vorwurf auch begründen: Solange die Löhne und die Arbeitslosenzahlen in Europa derart unterschiedlich sind, braucht die Schweiz den Mindestlohn, um zu verhindern, dass immer mehr Betriebe auf ausländische Billiglohnarbeiter setzen. Der Bundesrat foutiere sich aber darum, und auch die «hiesige Linke» habe den Diskurs über die Nachteile des «freien Arbeitsmarktverkehrs» verschlafen, sagte Strahm der «Schweiz am Sonntag».
Brutschin äussert sich etwas vorsichtiger, weil die Schweiz seiner Ansicht nach kein generelles Lohn-Problem hat, sondern eher ein punktuelles, in einzelnen Regionen und bestimmten Branchen. Im Tessin zum Beispiel, wo die Textilindustrie offenbar lieber günstige Italienerinnen und Italiener beschäftigt als Einheimische, die einen in der Schweiz üblichen Lohn verlangen würden. Solche Probleme müsste man auch nach Ansicht von Brutschin lösen. Darum hat er für die Mindestlohn-Initiative des Gewerkschaftsbundes «einige Sympathie». Die Vorgabe von 4000 Franken pro Monat beziehungsweise 22 Franken pro Stunde ist ihm allerdings zu starr. Besser wären seiner Ansicht nach massgeschneiderte Vorgaben für die einzelnen Regionen. Lösungen, die zum Beispiel auch für die Tessiner Textilindustrie umsetzbar wären, die wirtschaftlich tatsächlich unter Druck sei. «Die Abwanderung ganzer Industriezweige zu provozieren, ist auch nicht sinnvoll», sagt Brutschin.