Europa blickt gespannt nach Griechenland, die Wahlen beschäftigen auch Exil-Griechen. Unser Autor hat zwei in Basel getroffen, er erzählt ihre Geschichte und auch seine, denn seit zwei Wochen lebt er in Athen.
An die erste Begegnung mit Tassos T. erinnere ich mich lebhaft. Wir sassen an einem schönen Herbsttag Ende Oktober letzen Jahres vor dem «Hirscheneck» und redeten über unsere Erfahrungen mit der Schweiz und unsere Ansichten über Griechenland. Ich erfuhr, dass er aus Thessaloniki stamme, das Konservatorium besucht und Trompete studiert habe und hier mit verschiedenen Jobs seinen Lebensunterhalt bestreiten könne.
Es war Tassos schnell anzumerken, dass er sich in seiner neuen Heimat wohl fühlt. Er erzählte mir auch, dass die Ankunft seines Bruder Kostas in der Schweiz kurz bevor stünde und er für ihn auch schon eine Arbeit gefunden habe. Seit diesem ersten Gespräch sind nur knapp drei Monate vergangen. Beide Brüder leben nun zusammen im Basler Matthäusquartier, während ich seit zwei Wochen meine Zelte in Athen aufgeschlagen habe.
Aha, noch ein griechischer Künstler – dachte ich
Was junge Griechen antreibt, ihr Land zu verlassen, beschäftigt mich heute mehr denn je. Griechenland steht kurz vor wichtigen nationalen Wahlen, die allen Vorhersagen folgend zu einem Wahlerfolg der linken Partei Syriza führen werden. Was dies für das krisengeschüttelte Land und für Europa bedeuten wird, lässt sich noch nicht abschätzen. Sicher ist, dass Veränderungen anstehen, die auch die beiden Brüder aus Thessaloniki mit Interesse verfolgen werden.
Auf Tassos war ich ganz zufällig durch einen gemeinsamen Facebook-Freund aufmerksam geworden. Auf seinem Profil las ich, dass er für das Theater Basel arbeitet. Aha, dachte ich mir, noch ein griechischer Künstler mehr, der in der Ferne sein Glück versucht. Ich hatte schon einige von ihnen in Deutschland und der Schweiz kennengelernt und mich für ihre künstlerische Arbeit interessiert. So sendete ich Tassos eine Nachricht und erhielt auch rasch eine Antwort. Das Gespräch vor dem Hirscheneck war die Folge.
Bei einer nächsten Begegnung im November lernte ich im Jazzclub «Bird’s Eye» seinen Bruder Kostas und Tassos‘ Schweizer Freundin kennen. Kostas, grossgewachsen, stämmig und ruhig in seinem Sprechen, gab ein ganz anderes Bild ab als sein wirbeliger, schlanker Bruder. Auf Englisch und auf Deutsch, das Tassos schon ganz gut beherrscht, plauderten wir über Musik, die Arbeit und das Leben in Basel sowie über ihre alte Heimat. Da ich mich seit dem letzten Frühjahr mit dem Gedanken trug, nach Griechenland auszuwandern, kam mir zu jener Zeit jeder Grieche gelegen, um mehr über das Leben im Südosten Europas zu erfahren. So begann ich, Fragen zu stellen.
Der greifbare Wahlerfolg von Syriza, die verspricht, den Griechen ein würdiges Leben zurückzugeben (wozu ein starker Schuldenschnitt unerlässlich sein dürfte), schreckt schon im Vorfeld manchen Europäer auf. Statt in Ängste zu verfallen, sollten sich die Bürger des Kontinents besser fragen, ob nicht allerorten vieles zum Besseren gewendet werden müsste. Soziale Ungerechtigkeit sollte überall zum Handeln auffordern.
Insofern habe ich, wenn ich durch die Strassen Athens streife und mit Menschen über Politk und Gesellschaft spreche, die Hoffnung, dass ein Machtwechsel in Griechenland das Land voranbringen und Europa ein Beispiel geben kann. «Learning from Athens» sollte nicht nur das Motto der Documenta 2017 lauten. Von den beiden Brüdern aus Thessaloniki lässt sich bereits jetzt viel über Europa lernen.