Was machen Österreich und Italien mit Europa?

Die Urnengänge bei unseren Nachbarn letztes Wochenende waren auch von gesamteuropäischer Bedeutung. Die eine Wahl ging überraschend gut aus, die andere, nicht überraschend, weniger gut. Doch beide bilden nur Etappen auf dem Weg in eine ungewisse Zukunft.

MILAN, ITALY - FEBRUARY 19: Beppe Grillo, founder of the Movimento 5 Stelle (Five Star Movement), speaks during a public rally for the political campaign at Duomo square on February 19, 2013 in Milan, Italy.Beppe Grillo is entering the last week of campaigning for his movement 5 Stelle. (Photo by Pier Marco Tacca/Getty Images)

(Bild: Getty Images)

Die Urnengänge bei unseren Nachbarn letztes Wochenende waren auch von gesamteuropäischer Bedeutung. Die eine Wahl ging überraschend gut aus, die andere, nicht überraschend, weniger gut. Doch beide bilden nur Etappen auf dem Weg in eine ungewisse Zukunft.

In Österreich hat Alexander Van der Bellen die Wahl zum Bundespräsidenten mit 53,3 Prozent der Stimmen unerwartet deutlich gewonnen. Sein Gegenspieler Norbert Hofer hat seine Niederlage anerkannt. Dessen Partei, die FPÖ, wird deswegen aber nicht zurückstecken und sich für die im Frühjahr oder Herbst 2017 erwarteten Parlamentswahlen rüsten.

Alle rechnen schon jetzt damit, dass dann die FPÖ aus den gleichen Urnen als stärkste Partei hervorgehen wird, vor SPÖ und ÖVP, und darum die rechtsnationalen «Freiheitlichen» mit der Regierungsbildung betraut werden müssen. Und man sollte nicht darauf hoffen, dass die sich abzeichnende innerparteiliche Rivalität zwischen Hofer und seinem Parteipräsidenten Strache im Wettlauf um das Kanzleramt diese Partei wesentlich schwächen wird.

Auch wenn nicht alle Hofer-Wähler Rechtspopulisten sind – gewählt haben sie ihn trotzdem.

Die jetzige Regierungskoalition hat noch, wie man sagt, eine Galgenfrist. Die meisten sind aber der Meinung, dass sie diese nicht nutzen wird, um eine unterstützungswürdige Alternative zu den Rechtsnationalen zu bilden. Warum eigentlich ist dies angesichts der offensichtlichen Gefahr nicht möglich?

Nach dem Sonntag titelte die Presse nicht ohne Befriedigung «Signal gegen den Rechtspopulismus». Dieses Fazit ist nicht falsch, sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Rechtspopulismus mit 46,7 Prozent immerhin in bisher nie erreichte Höhen aufgestiegen ist. Und dass mit diesem Abstimmungskampf ein populistischer Politikstil Einzug gehalten hat und nun den gerade in Österreich gepflegteren Umgang zu verdrängen droht.

Der Wahlkampf hat wegen peinlicher Pannen etwa ein Jahr gedauert. Es bestand die Gefahr, dass Bürger und Bürgerinnen, des ewigen und billigen Streitens müde, sich gänzlich von der Politik abwenden. Dies aber dürfte nur den Populismus begünstigen, der es immer wieder versteht, mit seinem Geschrei politikferne Menschen an die Urnen zu treiben. Eine falsche Beruhigung wäre es, sich zu sagen, dass nicht alle, die für Hofer gestimmt haben, Rechtspopulisten seien. Gerade darin liegt nämlich das Problem: Gewählt haben sie ihn trotzdem, und das ist, was zählt.

«Nicht mein Präsident»

Die österreichische Abstimmung war auch ein Referendum über Europa und sie war Teil einer transnationalen Austragung. Das zeigte sich an den verteilten Gratulationen, einerseits vom SPD-Aussenminister Frank-Walter Steinmeier, aber auch CDU-Fraktionschef Manfred Weber vom Europäischen Parlament an Van der Bellen, andererseits von Front-National-Parteichefin Marine Le Pen an Hofer.

Die kommunizierenden Röhren des Politbetriebs produzierten auch verquere Nutzungen über den Atlantik hinweg. Nachdem in den USA Trump-Gegner mit «Not my president» durch die Strassen marschiert waren, posteten Hofer-Fans in Österreich mit entgegengesetzter Stossrichtung den gleichen Slogan gegen Van der Bellen auf der Facebook-Seite des FPÖ-Vorsitzenden Strache.

Italiens Zukunft erscheint nach dem Abstimmungssonntag besonders ungewiss – und damit, wie gesagt, auch diejenige Europas. In Italiens Machtzentrum hielt sich die Aufregung über die 60 Prozent-Niederlage des Regierungschefs Matteo Renzi allerdings in Grenzen. Sie war absehbar, einzig die Deutlichkeit überraschte ein wenig.

Regierung per Ernennung

Renzi gab prompt seine Demissionsabsicht bekannt, fuhr zum Staatspräsidenten auf den Quirinal und liess sich bitten, noch ein wenig im Amt zu bleiben und das Haushaltsbudget fürs 2017 ins Trockene zu bringen. Dann wird der uns wenig bekannte, seit bald zwei Jahren in diesem Amt waltende Staatspräsident Sergio Mattarella versuchen, aus dem alten Regierungslager eine neue Regierung erstehen zu lassen. Es wird seit 1946 die 64. Regierung sein. Als aussichtsreicher Regierungschef wird der bisherige Wirtschafts- und Finanzminister Pier Carlo Padoan gehandelt.

Mattarella ist wie Renzi Mitglied des Partito Democratico, was etwa den nordalpinen Sozialdemokraten entspricht. Diese Partei ist vorläufig noch die stärkste Kraft, benötigte aber zwei Juniorpartner, um die Regierungsmehrheit zu wahren. Die Renzi-Regierung war, wie die beiden ihr vorangegangenen, aus Ernennungen durch den Staatspräsidenten hervorgegangen und nicht aus allgemeinen Wahlen.

An sich wäre es wünschenswert, dass sich dies ändert, also Neuwahlen ausgerufen würden. Das derzeit geltende Wahlgesetz sollte aber dringend verbessert werden, damit es die abgegebenen Stimmen proportional besser in Mandate umsetzt. Aufgabe einer Übergangsregierung wäre es, dies in den nächsten Monaten hinzubekommen, damit man dann im Frühjahr 2018 zu Wahlen schreiten kann.

Über Grillo heisst es zu Recht, er rede viel und sage wenig.

Beppe Grillos vor wenigen Jahren gegründete «Fünf Sterne»-Bewegung, die stärkste Oppositionskraft, fletscht bereits jetzt mit den Zähnen und erklärt sich zur Machtübernahme bereit. Mit seinem in Umfragen ihm zugeschriebenen Wähleranhang von 30 Prozent liegen die Dinge ähnlich wie bei der FPÖ. Hinzu kommt das Oppositionspotenzial der markant fremdenfeindlichen Lega Nord. Beide sind erklärte EU-Gegner.

Über Grillo heisst es zu Recht, er rede viel und sage wenig. Kommentatoren rätseln, ob er und seine Bewegung rechts oder links stünden. Ihr Wesen ist mit diesen traditionellen Kategorien kaum zu erfassen. Mit seinem permanenten Empörungsgetue ist er vor allem einfach nur sich selber. Seine Ressourcen sind die von ihm geschürten Ressentiments gegen die «Elite» und gegen «Brüssel».

Als Regierungschef kann man sich ihn nicht vorstellen. Das will er vielleicht auch gar nicht werden, sondern – wie im Falle von Roms schöner Bürgermeisterin Virginia Raggi – die Kraft, die aus dem undurchsichtigen Hintergrund autoritär und letztlich undemokratisch die Politik lenkt.

Bei den meisten Volksabstimmungen kommen die Ablehnungen verschiedenster Art leichter zu einem Nein zusammen als die verschiedenen Zustimmungen zu einem Ja.

Am vergangenen Wochenende ging es nicht einzig um Renzi. Wie bei allen Volksabstimmungen setzten sich die Ja- und Nein-Voten aus verschiedenen Motiven zusammen und wie bei den meisten Volksabstimmungen kommen die Ablehnungen verschiedenster Art leichter zu einem Nein zusammen als die verschiedenen Zustimmungen zu einem Ja.

Bekanntlich ging es an sich nicht um eine Vertrauensabstimmung über die Regierung Renzi, sondern um eine Verfassungsreform und um die Vermeidung einer weiteren Finanzkrise. Die Verfassungsvorlage wurde auch von Fachleuten, etwa der 85-jährigen Verfassungsrechtlerin Lorenza Carlassare, als untauglich, als «irrationalen, konfusen Pfusch» eingestuft.

Auch Mario Monti, alles andere als ein Populist, sondern ehemaliger EU-Kommissar und Ministerpräsident, engagierte sich für ein Nein. Der abgelehnte Reformversuch gehört nun der Vergangenheit an, regierungsstabilisierende und kostensparende Reformen sind aber weiterhin nötig.

Die EZB wird im europäischen Interesse einmal mehr eingreifen.

Gravierender ist die anhaltende Wirtschaftsschwäche und die hohe Arbeitslosigkeit. Die vor der Abstimmung prognostizierte Verschärfung der Krise im Falle eines Neins ist aber (noch) nicht eingetreten. Die mittlerweile an Krisen gewöhnten Finanzmärkte erwiesen sich als schockresistent. Die Bewertungen sackten auch darum nicht ab, weil sie schon vor dem ominösen Sonntag runtergingen.

Hinauf werden die Zinsen für die italienischen Staatsanleihen gehen. Aber man kann damit rechnen, dass die Europäische Zentralbank (EZB) einmal mehr eingreifen wird, wobei keine Rolle spielt, dass ihr Präsident Mario Draghi zufällig die italienische Staatsbürgerschaft hat und bis 2011 Präsident der Italienischen Nationalbank gewesen ist. Stützung geschieht im europäischen Interesse.

Die Börsen zeigen sich gelassener als die Krisen-Propheten.

Wie soll das nun alles gewertet werden? Die Medien tragen einiges zur bereits bestehenden Erregtheit bei. Bereits ist nach dem Austritt Italiens aus dem Euro gefragt und der Sache mit «Italexit» gleich einen Namen gegeben worden. Auch vom Krisenvirus war die Rede, der auf Portugal, Spanien und Frankreich übergreifen könnte. Die Börsen zeigten sich jedoch gelassener als die Propheten. Und aus dem geschmähten «Brüssel» kamen keine Signale, die dem Alarmismus Auftrieb gegeben hätten.

Die Auseinandersetzungen in Österreich und Italien werfen erneut die bereits beim «Brexit» aufgekommene Frage auf, wie weit diese das Gemeinschaftsprojekt gefährden können, und, umgekehrt, wie weit die EU-Mitgliedschaft die einzelnen Länder vor ihrem Nationalismus schützen kann.

Im Falle Österreichs hat das innenpolitische EU-Bekenntnis das Land vor weitergehendem Rechtsnationalismus bewahrt. Im Falle Italiens konnte man einen ähnlichen Effekt leider nicht bemerken, weil Renzi als Schützling der EU erschien und obwohl Italien in finanzieller Hinsicht speziell auf die Hilfe der EU angewiesen ist.

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