Der Bürgerkrieg in Syrien tobt seit fast fünf Jahren. Wie Frauen mit dem Krieg umgehen, erzählen die beiden syrischen Aktivistinnen Amal Nasr und Raneem Ma’touq.
Amal Nasr und Raneem Ma’touq sind auf einer Mission. Die beiden Syrerinnen reisen durch die Schweiz und erzählen, was der Bürgerkrieg in ihrem Heimatland für Frauen bedeutet.
Am Dienstag machten sie Halt im Literaturhaus Basel und auf der Redaktion der TagesWoche, wo sie ihren persönlichen Bericht hinterliessen. Ihr sei es wichtig, dass der «Schrei der syrischen Frau» die ganze Welt erreiche, sagte Amal Nasr, die ältere der beiden Frauen.
Das Gespräch wurden von einem Übersetzer vom Arabischen ins Deutsche übersetzt, die TagesWoche zeichnete auf.
Amal Nasr kämpft seit vielen Jahren für Frauenrechte in Syrien. (Bild: Jonas Grieder)
Amal Nasr*
Ich bin eine Frau aus Damaskus. Seit dreissig Jahren bin ich politisch aktiv. Als Frauenrechtsaktivistin verfolge ich das Ziel, dass syrische Frauen mehr Rechte erhalten und an politischen Prozessen teilnehmen können. Dies ist ein politischer Kampf, aber auch ein Kampf gegen die Sitten und Bräuche, die die Frauen einschränken.
Die Regierung hat mich und die Mitglieder unserer Frauenrechtsgruppe stets verfolgt. Ich wurde öfters verhaftet. Auch nach 2011, als die Revolution stattfand. Unter anderem sass ich vier Monate im Gefängnis, weil ich für Entmilitarisierung, den sozialen Frieden und gegen Diskriminierung und Gewalt gegenüber Frauen protestierte.
Der Krieg, der nun tobt, hat auch bei uns Frauen viel geändert. Der Krieg hat viele syrische Frauen dazu gebracht, sich Gedanken zu machen über ihre Situation. Früher fand die Gewalt vielmals innerhalb der Familie statt. Mit dem Krieg wurde die Gewalt nun allgegenwärtig – auch die Gewalt gegen Frauen. So sind Frauen zum Beispiel häufig Opfer von Vergewaltigungen und Entführungen. Der Islamische Staat (IS) lockt Frauen ausserdem zu sich, indem er ihnen ein Gehalt von bis zu 400 Dollar im Monat bezahlt. Unter dem IS werden Frauen auch zur Ehe gezwungen.
Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass die syrische Frau lange für ihre Rechte gekämpft hat. Seit 1950 dürfen Frauen in Syrien wählen und in politische Ämter gewählt werden. Und unter Hafiz al-Assad, dem Vater des jetzigen Präsidenten, hatte die syrische Frau Entscheidungsbefugnisse, von denen wir heute wieder weit entfernt sind.
Der Krieg wirft den Kampf für Frauenrechte um Jahrzehnte zurück. Ich hoffe, dass dieser Krieg bald aufhört und wir von diesem Punkt an das Land und auch die frühere Gesellschaftsordnung wieder aufbauen können.
* Amal Nasr (49) erhielt 2014 in der Schweiz Asyl und kämpft von hier aus gegen den Krieg und für die Rechte von Frauen in Syrien, unter anderem in Zusammenarbeit mit der Organisation swisspeace in Bern.
Raneem Ma’touq hat durch den Bürgerkrieg ihren Vater verloren. Er wurde verschleppt. Über seinen Verbleib ist bis heute nichts bekannt. (Bild: Jonas Grieder)
Raneem Ma’touq*
Für die syrischen Männer ist dieser Krieg furchtbar, aber auch für uns Frauen. Die syrische Frau hat während dieses Krieges aber auch etwas entdeckt: ihre Verantwortung in Abwesenheit der Männer. Die vielen Frauen und Mütter leisten einen immensen Beitrag, indem sie die Kinder vor dem Krieg schützen.
Das Engagement der Frauen habe ich hautnah erlebt, als ich für einige Kinder sorgte, die mir von ihren Mütter übergeben wurden. Ich habe mit ihnen gelernt und gemalt – was ich konnte, da ich an der Universität in Damaskus ein Kunststudium begonnen hatte. Mein Ziel war es, diese Kinder so weit wie möglich von der Gewalt und den Waffen fernzuhalten.
Wegen dieses Einsatzes wurde ich jedoch von einer radikalen Gruppe verhaftet. Dann geschah ein Wunder: Die Mütter der Kinder, die ich gehütet hatte, kamen zu den Kämpfern und setzten sich für mich ein. Sie sagten: «Schaut, was diese Frau für unsere Kinder und für unser Land leistet. Lasst sie frei.» Die Männer haben auf die Frauen gehört – und liessen mich gehen.
Von diesem Engagement wünsche ich mir mehr für die Syrerinnen und Syrer. Dieser Krieg ist nicht nur für Frauen furchtbar, sondern für alle Menschen.
* Raneem Ma’touq (25), lebt heute in Berlin, nachdem sie 2015 in Deutschland Asyl erhielt. Ihr Vater war Menschenrechtsanwalt und wurde 2012 vom syrischen Regime verschleppt. Ma’touq hat bis heute keinen Bescheid über seinen Verbleib.