Die TagesWoche machte einen Abstecher auf das Bruderholz und musste sich schnell einmal für die Ankündigung «Ab aufs noble Bruderholz!» entschuldigen. Denn dieses Klischee stört die Quartierbewohner gewaltig, wie sich in den Gesprächen zeigte.
Die Tram-Endstation auf dem Bruderholz ist nicht gerade ein belebter Ort, ein paar Tramchauffeure rauchen dort eine Zigarette, verschwinden für eine Pinkelpause im WC-Häuschen, hin und wieder kommt jemand zum Kiosk, um sich mit Zigaretten oder einer Zeitung einzudecken. Es ist eigentlich ein gewöhnlicher, ruhiger Samstagvormittag auf dem Bruderholz. Und doch ist da ein lustiges Gefährt, das man noch nie hier oben gesehen hat. Das Kaffeemobil. Neugierig, aber aus gehöriger Distanz, mustern die Passanten den Wagen.
Erst auf unsere Einladung, näher zu kommen, trauen sie sich zu fragen, was denn das soll. Aha, da gibts Kaffee! Aha, das ist die TagesWoche! Eine ältere Dame zeigt sich sehr angetan von unserer Anwesenheit, bedauert jedoch ein bisschen, dass wir nicht für immer bleiben. Seit über 20 Jahren lebt sie mit ihrem Mann auf dem Hügel, in einer Mietwohnung.
Früher, sagt sie, sei das Quartier belebt gewesen. Es habe etliche Läden gegeben und man habe sich immer wieder dort zu einem Schwatz getroffen. Heute gebe es fast nichts mehr. Nicht nur vermisst sie die sozialen Kontakte, sondern auch die Einkaufsmöglichkeiten. Gerade in ihrem Alter, sei es mühsam, ins Gundeli gehen zu müssen. Selbst der kleine Coop im Quartier sei ein ganzes Stück Weg, den sie machen müsse.
Immer dieses Vorurteil
Die charmante Dame freut sich, dass sie eine TagesWoche mitnehmen darf – sonst kriege sie die Zeitung jeweils von ihrer Tochter zu lesen – verabschiedet sich, und wünscht uns einen erfolreichen Tag. Und tatsächlich: Danach hatte unsere Kollegin vom Kaffeemobil alle Hände voll zu tun. Manche kamen einfach, weil sie bei der Hitze Lust auf ein kühles Getränk hatten, einige jedoch steuerten gezielt auf uns zu, um uns mitzuteilen, «wo sie der Schuh drückt».
Beispielsweise die 19-jährige Lavinia Fasciati, die sich extrem genervt hat über unsere Ankündigung «Ab aufs noble Bruderholz!». «Immer dieses Vorurteil: Ihr da Oben! Ihr Reichen und so weiter! Das stört mich wirklich.» Das stimme so einfach nicht. «Klar, das Quartier ist schön. Es ist ruhig, es ist grün. Aber die Menschen, die hier leben, sind ganz durchschnittlich.»
Was Lavinia Fasciati anbringt, bekommen wir in diesen drei Stunden immer wieder zu hören. Sie stören sich sehr am Klischee, auf dem «Hügel der Reichen» zu leben. «Ich war schockiert, als ich vom Kleinbasel aufs Bruderholz zog. Es ist unglaublich, was ich mir deswegen anhören muss», sagt auch ein 40-Jähriger. «Mittlerweile trau ich mich schon gar nicht mehr zu sagen, wo ich lebe.» Das Vorurteil, hier würden nur Bonzen wohnen, sei wirklich daneben.
Keine Post mehr
Eine Stadt brauche solche Wohn-Quartiere ebenso wie die urbanen Quartiere St. Johann oder Gundeli, sagt der Präsident des Neutralen Quartiervereins Bruderholz Conrad Jauslin. Besagte Vorurteile hätten die Quartierbewohner jedoch stark bei der Parkraumbewirtschaftung, der Schulhaus-Diskussion und bei der Subventionierung des Quartier-Treffpunkts zu spüren bekommen.
Ebenfalls viel zu reden gibt die Aufhebung der Poststelle. Seit ein paar Jahren müssten die Bewohner ihre Pakete oder Briefe im Café Streuli aufgeben. «Einzahlungen sind dort aber nicht möglich. Ich muss dafür nun extra ins Gundeli», sagt ein älterer Mann. Der Kunde werde so zum Angestellten. «Ob diese Aufhebung gut oder schlecht ist, darüber lässt sich streiten», findet hingegen Jauslin. Denn er hat festgestellt, dass die Leute seither eher wieder mal für einen Schwatz vor dem Café zusammenstehen.
Eine Frau, die seit 40 Jahren auf dem Bruderholz lebt, kritisiert, dass der Schulweg für ihre Enkelkinder unsicher sei. So ende die Tempo-30-Zone an der Reservoirstrasse just dort, wo die Kinder die Strasse überqueren müssen. Zu Thema Kinder gibt es ohnehin zahlreiche Anregungen.
Expats in der Parallelwelt
Zwei junge Väter bemängeln die fehlenden Betreuungsplätze für Kinder. Es wäre gerade für Kinder wichtig, an ihrem Wohnort in die Krippe gehen zu können, damit sie sich untereinander kennenlernen. Apropos kennenlernen: Einige unserer Besucher bedauern, dass viele der sogenannten Expats sich kaum um das Quartierleben bemühen, sondern in einer Parallelwelt leben.
Alles in allem, meint Jauslin, habe das Quartier keine Luxusprobleme, auch wenn das dem Bruderholz immer wieder unterstellt werde. Die Regierung müsse die Anliegen der Bruderholz-Bewohner genauso ernst nehmen wie diejenigen aus den anderen Quartieren.
Wir von der TagesWoche jedenfalls werden die zahlreichen Anregungen gerne an die ensprechenden Adressaten weiterleiten. So an Regierungspräsident Guy Morin oder auch an den FDP-Kandidaten Christophe Haller, die sich ebenfalls beim Kaffeemobil eingefunden haben.