Wenig Mut zu Veränderungen in Riehen

Fast scheint es, als ob die Einwohnerinnen und Einwohner von Riehen der Schuh nirgends schmerzhaft drückt. Am ehesten klagen sie darüber, dass Veränderungen viel Zeit brauchen.

Trotz Tramverbindungen in die Stadt fehlt in Riehen die Gruppe der Zwanzig- bis 40-Jährigen. (Bild: Michael Würtenberg)

Fast scheint es, als ob die Einwohnerinnen und Einwohner von Riehen der Schuh nirgends schmerzhaft drückt. Am ehesten klagen sie darüber, dass Veränderungen viel Zeit brauchen.

Am Wetter kann es nicht liegen. Auch in Riehen scheint nicht immer die Sonne. Als die TagesWoche mit ihrem Ersatz-Wahlmobil am vergangenen Samstag in der Basler Landgemeinde Halt macht, zeigt sich das Wetter garstig, nass und kalt. Trotzdem scheint es fast so, als ob Riehen kaum Schattenseiten aufzuweisen hat. «Viel Grün», «ruhige Wohnlage», «stadtnah», so preisen die Einwohnerinnen und Einwohner übereinstimmend die Vorteile der Vorortgemeinde. Über Nachteile und Probleme reden viele erst auf Nachfrage.

Da ist zum Beispiel die Eisenbahn, mehr Bummelzug denn S-Bahn, Richtung Bahnhof SBB. 14 respektive 18 Minuten dauert die Fahrt von Riehen zum Schweizer Bahnhof in Basel.
Zum Vergleich: In derselben Zeit sind Reisende vom Bahnhof SBB mit der S3 schon in Grellingen oder Lausen. Ja, sogar wer mit der S9 von Sissach über die alte Hauensteinlinie tuckert, trifft nach 18 Minuten bereits im Oltner Vorort Trimbach ein.

Kein Wunder, dauert die Fahrt von Riehen zum wichtigen Knotenpunkt, dem Bahnhof SBB, für viele Leute in Riehen zu lange. Der grünliberale Regierungsratskandidat Emmanuel Ullmann schlägt vor, den Bummelzug zu beschleunigen: Er plädiert dafür, auf der Strecke von Basel nach Zell im Wiesental den Viertelstunden-Takt einzuführen, ein Umfahrungsgleis des Badischen Bahnhofs zu bauen und jede zweite S-Bahn direkt nach Riehen fahren zu lassen – ohne den zeitraubenden Umweg über den Badischen Bahnhof.

SBB: Umfahrung keine gute Idee

Ullmanns Vorschlag, den Badischen Bahnhof zu umfahren, kann die deutsche Tochterfirma der SBB zwar wenig abgewinnen, zu wichtig sei dieser Knotenpunkt mit Anschlüssen an den Fern- und Regionalverkehr und ans Tram. Dennoch will die Bahn jetzt bis Ende Jahr eine Arbeitsgruppe mit Vertretern aus Deutschland und der Schweiz ins Leben rufen.

Schliesslich steigern Deutschland und die Schweiz die Kapazität des Schienennetzes rund um Basel in den nächsten Jahren. Dank viergleisigem Ausbau über den Rhein und dem neuen Katzenbergtunnel nördlich von Basel etwa, die helfen, Engpässe zu entschärfen. Die deutsche SBB rechnet damit, dass sich dank dieser Neubauten für die S-Bahn nach Zell bis 2018 neue Lösungen finden lassen.
Positiv erwähnen anlässlich unseres Ausflugs in Riehen hingegen viele den zweiten S-Bahn-Halt im Niederholzquartier, und durchs Band schätzen alle das Ruftaxi, welches Spätheimkehrer von der Tramstation nach Hause bringt.

«Riehen ist ein Altersheim»

Insgesamt scheint der Schuh wenig zu drücken in Riehen – und wenn, dann alle woanders. Dass die letzten Landreserven verbaut und alte Liegenschaften mit ebenso profitablen wie hässlichen Neubauten ersetzt werden, schätzen einige gar nicht. Oder die nicht zu übersehende Tatsache, dass die Vorort-Stadt ein eher hohes Durchschnittssalter aufweist. «Das ist ein Altersheim», zitierte ein Paar seinen 18-jährigen Sohn.

Das ist mehr als ein Klischee, wie ein Blick in die Bevölkerungsstatistik beweist. Die durchschnittliche Altersstruktur sieht zwar in der ganzen Schweiz nicht mehr wie ein Tannenbaum, sondern mehr wie ein Pilz aus. In Riehen allerdings kommt in der Grafik hinzu, dass jemand aus dem Stil des Pilzes ein grosses Stück herausgebissen zu haben scheint. Die Lücke erstreckt sich von der Altersgruppe der 20-Jährigen bis zu den Einwohnern ab 45.

Mit Kindern zurückgekehrt

Dabei scheint die Gemeinde mit dem vielen Grün junge Familie anzuziehen. «Die Schulwege sind ungefährlich», heisst es. «Kinder und Teenager haben im Niederholz ausreichend Angebote, so dass sie nicht einmal in die Stadt fahren für die Freizeitbeschäftigung», sagen Eltern. Und ein weiteres Mal wird das Niederholz lobend erwähnt, wo es einen Jugendtreff gibt und für Familien zumindest in Genossenschaftsbauten noch Wohnraum zu finden ist.

Aber übers Ganze gesehen scheinen viele Riehener, wenn sie die Volljährigkeit erreichen, zuerst einmal wegzuziehen. Aber die Flucht ist keine permanente. Mehrere junge Familien outen sich als Rückkehrer: Aufgewachsen in Riehen, kaum volljährig weggezogen, raus aus der Schlafgemeinde, rein in die pulsierende Stadt. Und jetzt, nach vielen Jahren aller Vorbehalte zum Trotz wieder mit Kind und Kegel zurückgekehrt. Alte Häuser blieben meist in der Familie, bestätigen die Leute. Viele Neubauten seien für Familien aus dem Mittelstand, die Leben ins Dorf bringen würden, leider nicht erschwinglich.

Das emsige Treiben an einem Samstagmorgen im Dorfkern täusche dar­über hinweg, dass nach 17 Uhr nichts mehr los sei, erfahren wir. «Die Trottoirs werden hochgeklappt», klagt ein jüngerer Einwohner, es mangle an Treffpunkten und Cafés wie dem kürzlich geschlossenen «Siebenpfund», sagen andere. Und wenn dann einmal im Dorfzentrum Kultur stattfinde, etwa mit Konzerten der Jugendmusikschule im Singeisenhof, sei um 22 Uhr Schluss. Nachtruhe. Das finden mehrere etwas zu engstirnig.

Kein Heimspiel

Und hier zeigt sich vielleicht, weshalb in Riehen Jugendliche, die voll im Saft sind, oder auch vor neuen Ideen sprühende reifere Semester kein Heimspiel haben. Denn die glänzende Seite der Medaille Riehen, «mitten im Grünen, sicher, sauber, überschaubar und nicht so anonym wie in der Stadt», hat auch eine Kehrseite: Die ist träge, satt und unbeweglich. So erzählen die beiden Einwohnerrätinnen Franziska Roth (SP) und Marianne Hazenkamp (Grüne), Vorstösse, die Schmiedgasse im Zentrum zur Fussgängerzone umzuwandeln, scheiterten regelmässig alle paar Jahre. Nur schon das Vorhaben, den dortigen Veloparkplatz zu überdachen, komme seit Jahren nicht vom Fleck. Der Durchgangs- und Pendlerverkehr ist zwar in der Gemeinde am Eingang zum deutschen Wiesental ein permanentes Thema. Trotzdem war es ausgerechnet Riehen, das dem Konzept der flächendeckenden Parkplatzbewirtschaftung auf kantonaler Ebene an der Urne den Todesstoss versetzte. Inzwischen arbeitet der Einwohnerrat allerdings daran, das System aus blauer Zone und Parkbewilligungen für Anwohner ebenfalls einzuführen, um nicht von den aus der Stadt herausgedrängten Autopendlern zuparkiert zu werden.

Wem es gut geht, der hat wenig Anlass, Dinge aktiv zu verändern: Das scheint einer der wenigen Kritikpunkte derjenigen zu sein, die Riehen weiterbewegen möchten. «Ich wünsche mir, dass wir in Riehen mehr Mut hätten, Dinge zu verändern und nicht einfach zu verharren», sagt eine Einwohnerin. Auch wenn sie, wie all die anderen betont, sie «klage auf hohem Niveau».

Quellen

Gemeindeporträt Riehen beim statistischen Amt des Kantons Basel-Stadt

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 07.09.12

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