Wenn Algerien feiert, schaut Frankreich weg

Algerien feiert 50 Jahre Unabhängigkeit. 50 Jahre währt damit auch der Frieden zwischen Frankreich und Algerien. Ein Friedensabkommen haben die beiden Staaten bis heute nicht unterzeichnet. Und in französischen Medien ist das Jubiläum auch kein Thema.

Unverheilte Wunden: Denkmal für die Gefallenen des Algerien-Kriegs in Sète (F). (Bild: Wikimedia.org/Fagairolles 34)

Frankreich und Algerien stehen seit 1962 nicht mehr im Krieg. Ein Freundschaftsabkommen haben sie aber bis heute nicht zustande gebracht.

Algerien feiert 50 Jahre Unabhängigkeit? In französischen Medien muss man Meldungen zu diesem Jahrestag mit der Lupe suchen. Diskretes, bisweilen betretenes Schweigen herrscht vor. So war es auch schon im März gewesen, als sich der Waffenstillstand von Evian zwischen der ehemaligen Kolonialmacht und der algerischen Befreiungsbewegung FLN zum 50. Mal jährte. Wohlgemerkt: Es war ein Waffenstillstand gewesen, kein Friedensschluss.

Frankreich plante im März keine einzige offizielle Gedenkfeier zum Ende eines der blutigsten Kriege des 20. Jahrhunderts mit 400’000 Opfern auf algerischer und 35’000 auf französischer Seite. Ein «franko-algerischer Freundschaftsverein», in dem viele in Südfrankreich lebende Immigranten mitmachen, wollte in Nîmes ein grenzübergreifendes Kolloquium zum Anlass abhalten. Die nach dem Krieg in ihr Land zurückgekehrten Franzosen, die «Pieds-Noirs», lehnten aber nicht nur ab, sondern protestierten lauthals gegen die Abhaltung der Veranstaltung.

Kein wirklicher Frieden

Die Narben sind noch nicht verheilt, obwohl sich Frankreich und Algerien eigentlich sehr nahe geblieben sind: Paris hat noch grosse Wirtschaftsinteressen in der einstigen Kolonie, namentlich in den Bereichen Öl und Gas; umgekehrt leben Hunderttausende von algerienstämmigen Einwanderern in den Vorstädten von Paris, Marseille oder Lyon. 

Und doch herrscht zwischen den beiden Ländern nicht wirklich Friede. Der französische Ex-Präsident Jacques Chirac, der eine gewisse Affinität zum arabischen Raum verspürte, wollte vor einem Jahrzehnt einen «historischen» Freundschaftsvertrag mit Algier aufziehen – doch das Projekt hat das Tageslicht bis heute nicht gesehen. Als die Diplomaten beider Seiten in mühseliger, gespannter Kleinarbeit endlich einen Vorentwurf beisammen hatten, machte eine neue Debatte in Frankreich alles wieder zunichte.

Feuer im Dach 

Bürgerliche Politiker lancierten nämlich 2005 in Paris einen Gesetzesvorstoss über die «positive Rolle» der französischen Kolonisierung in Afrika. In Algier war gleich wieder Feuer im Dach.

Präsident Abdelaziz Bouteflika verlangte von Paris erbost eine Entschuldigung für die Massaker von Sétif, bei denen im Jahre 1945 erstmals Tausende von Algeriern ermordet worden waren, weil sie die Unabhängigkeit verlangten. Französische Siedler und Soldaten verbrannten dabei viele Leichen in Kalköfen. Bouteflika verglich dies mit den Gaskammern des Zweiten Weltkrieges und warf Frankreich «Genozid» vor: «Die Kolonisierung bewirkte einen Völkermord an unserer Identität, unserer Geschichte, unserer Sprache, unseren Traditionen.»

Seither war nie mehr die Rede von einem Freundschaftsvertrag. 2008 protestierte Algier vielmehr gegen die Verhaftung eines algerischen Diplomaten in Paris, welcher der Ermordung des algerischen Oppositionellen Ali Mecili verdächtigt wurde. Ein Jahr später deutete ein französischer Untersuchungsrichter an, dass der algerische Geheimdienst bei der Enthauptung von sieben französischen Mönchen 1996 im algerischen Kloster Tibéhirine beteiligt gewesen sei.

Neuer Tiefpunkt

Jedesmal reagierte Algier vehement, jedesmal sanken die bilateralen Beziehungen auf einen neuen Tiefpunkt. So auch, als Frankreich 2009 Algerien auf eine schwarze Liste mit gefährlichen Ländern wie Irak oder Somalia setzte. Das hatten zuvor auch die USA getan – doch erst als Paris nachzog, protestierte Algier wutentbrannt.

Ebenso leidenschaftlich reagierten französische Algerien-Heimkehrer und Rechtsextremisten 2010, als der algerische Film «Hors la loi» von Rachid Bouchareb anlief. Er erzählte auf nüchterne Art die Geschichte dreier algerischer Brüder, die das Massaker von Sétif überlebten und im Algerienkrieg französische Polizisten in einer Pariser Banlieue ermordeten.

Allein schon der Umstand, dass ein Film den Krieg und Terror zwar objektiv, aber aus algerischer Sicht erzählte, genügte, um in Frankreich Boykottaufrufe zu provozieren. Und dieser Umstand dürfte auch der tiefere Grund sein, dass Frankreich bei der Unabhängigkeitsfeier in Algerien am liebsten wegschauen würde.

Wissenswertes
– Bei Arte gibt es ein Dossier zum 50-jährigen Jubiläum des Abkommens von Evian.
– «Le Monde diplomatique» hat eine Chronik zum Algerien-Konflikt.
– Informationen zur Menschenrechtslage in Algerien gibt es bei Algeria-Watch

 

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