Bald sind Sommerferien. Während sich die meisten Kinder und jungen Erwachsenen darauf freuen, lösen sie bei anderen Angst aus: Viele Migrantinnen und Migranten fürchten sich vor einer sogenannten «Ferienverheiratung» – einer Zwangsheirat im Herkunftsland der Eltern.
«Wir verzeichnen in den letzten sechs Jahren in der Regel bis zu fünf Meldungen pro Woche von Betroffenen oder ihrem Umfeld, die Unterstützung suchen. Vor den Sommerferien steigt die Zahl auf bis zu neun Meldungen wöchentlich», sagt Bettina Frei, Geschäftsleiterin der Fachstelle Zwangsheirat.
Gemäss einer Studie des Bundes von 2012 sind bei Zwangsverheiratungen in der Schweiz vor allem Personen aus dem Balkan, der Türkei und Sri Lanka betroffen. Und in fast 90 Prozent aller Fälle trifft es Migrantinnen und Migranten, die in der Schweiz geboren und aufgewachsen sind. Oft werden die jungen Erwachsenen entweder in ihrem Herkunftsland oder in einem anderen Diaspora-Land mit Landsleuten verheiratet.
Workshop für 700 Auszubildende
Viele potenziell betroffene junge Erwachsene gehen noch zur Schule. Zum Beispiel in die Berufsfachschule Gesundheit Baselland in Münchenstein. «Das Thema Zwangsheirat wird im Rahmen des Unterrichts oft von den Lernenden selbst eingebracht», sagt Marc Dietrich, stellvertretender Rektor der Schule. Die Schule mische sich aber grundsätzlich nicht ein, sagt er. Lehrpersonen müssten sich zu ihrem eigenen Schutz abgrenzen können.
Aber: «Wir suchen aktiv nach Lösungen, wenn jemand direkt auf uns zu kommt. Wir verweisen die Betroffenen aber auch immer an kompetente Fachstellen wie beispielsweise die Fachstelle Zwangsheirat.»
Diese machte vergangene Woche auf ihrer Workshop-Tour durch die Schweiz Halt in Münchenstein. Das Ziel: Migrantinnen und Migranten für die Thematik zu sensibilisieren und ihnen aufzuzeigen, wohin sie sich wenden können, wenn sie Angst haben, zwangsverheiratet zu werden. Ihnen klarzumachen, dass sie mit ihren Ängsten nicht alleingelassen werden.
Alle, die sich Sorgen machen, können die Verantwortlichen nach der Veranstaltung ansprechen oder später die Anlaufstelle kontaktieren. In den Workshops selbst geht es nämlich eher darum, die jungen Teilnehmer ihre eigene Einstellung und die ihrer Familie zu Ehe und Partnerschaften reflektieren zu lassen. Dazu werden Fragebögen zu Themen wie Sex vor der Ehe und der Herkunft des idealen Ehepartners ausgefüllt.
Dass sich niemand im Plenum persönlich zu seiner Situation äussert, sei klar, sagen die Verantwortlichen. Aber bereits vor den Veranstaltungen hätten sich einige Personen dieser Schule bei der Fachstelle gemeldet. Und auch nach den Workshops sei mit weiteren Kontaktaufnahmen zu rechnen.
Wichtiges Urteil
Während der Workshop-Woche in Münchenstein verurteilte das Basler Strafgericht einen türkischstämmigen Vater zu dreieinhalb Jahren Haft, weil er versucht hatte, zwei seiner Töchter unter dem Einsatz von Gewalt zu verheiraten – ein Erfolg für die Fachstelle Zwangsheirat, die sich für die beiden jungen Frauen eingesetzt hatte. Es ist das schweizweit erste gerichtliche Urteil gegen eine Zwangsheirat, die übrigens auch gemäss der Allgemeinen Menschenrechtserklärung (Artikel 16) verboten ist.
Damit solche Fälle überhaupt gar nicht erst verhandelt werden müssen, fordert Geschäftsleiterin Bettina Frei mehr Engagement vom Bund, konkret seitens Eidgenössischem Departement für äussere Angelegenheiten EDA: «In der Schweiz stellen wir fest, dass das Aussenministerium noch kein Rezept oder keine Massnahmen gegen Zwangsverheiratungen hat, im Gegensatz zu anderen Ländern wie Österreich oder Grossbritannien», sagt Frei.
Gerade vor den Sommerferien sei es aber wichtig, dass nicht nur das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement EJPD, sondern eben auch das EDA die Verantwortung übernehme.
Hilfe für Betroffene gibt es unter der Helpline 0800 800 007 oder hier online bei der Fachstelle Zwangsheirat.