Wer ist eine gute Linke?

Die Debatte um das Referendum gegen die Asylgesetz-Revision spaltet die SP. Die Parteispitze ist gegen ein Referendum, viele Sektionen sind dafür. Ständerätin Pascale Bruderer (AG) sieht in der Vorlage «sozialdemokratische Anliegen» verwirklicht; Nationalrätin Silvia Schenker (BS) das Gegenteil.

Schenker gegen Bruderer: Wer ist sozialdemokratischer? Das Referendum gegen die Asylgesetz-Revision spaltet die SP. (Bild: Artwork: Hans-Jörg Walter)

Die Debatte um das Referendum gegen die Asylgesetz-Revision spaltet die SP. Die Parteispitze ist gegen ein Referendum, viele Sektionen sind dafür. Ständerätin Pascale Bruderer (AG) sieht in der Vorlage «sozialdemokratische Anliegen» verwirklicht; Nationalrätin Silvia Schenker (BS) das Gegenteil. Der Streit ist in vollem Gange.

Die SP macht, was die SP gut kann: öffentlich streiten. Während sich die Parteispitze aus taktischen Gründen gegen ein Referendum gegen die Asylgesetz-Revision ausgesprochen hat und sich davor fürchtet, der SVP eine zu grosse Plattform zu bieten, kommen aus den Sektionen andere Signale. Nach den Juso haben auch die Sozialdemokraten in den Städten Zürich und St. Gallen und im Kanton Thurgau die Unterstützung des Referendums beschlossen. Am Montagabend fasste auch der Parteivorstand der Basler SP die Unterstützungsparole.

Massgeblich an diesem Entscheid war die Basler SP-Nationalrätin Silvia Schenker beteiligt. Sie war die erste nationale SP-Parlamentarierin im Referendumskomitee. In der Zwischenzeit ist mit dem Berner Corrado Pardini ein zweiter Nationalrat der SP ins Komitee eingetreten.

 

Frau Schenker, ist jemand noch ein guter Linker, wenn er das Referendum gegen die Asylgesetz-Revision ablehnt?

Ich kann nachvollziehen, dass jemand die Lancierung des Referendums nicht unterstützen mochte. Aber heute haben wir eine andere Situation: Das Referendum ist ergriffen, die Debatte muss geführt werden. Und da gibt es für die SP nur noch eine Strategie: Mithelfen! Und dafür sorgen, dass es nicht so ein heftiges Nein gibt. Es ist undenkbar, dass sich die SP bei dieser Diskussion heraushält.

Sie haben die Frage nicht beantwortet.

Nein (lacht). Ich werde mich auch davor hüten, jene mit einer anderen Meinung als falsche Linke darzustellen.

Nicht alle sind so zurückhaltend. SP-Ständerätin Pascale Bruderer hat nach ihrem Interview im «Sonntag», in dem sie Sympathie für die Gesetzes-Revision erkennen liess, viel Häme einstecken müssen. Sie sei eben keine richtige Linke, hiess es.

Es ist schade, wenn sich die Debatte ausschliesslich um die Frage dreht, wer nun eine richtige und wer eine falsche Linke sei. Wir müssen auf der sachlichen Ebene diskutieren. Und auf dieser Ebene habe ich schon Mühe mit den Aussagen von Pascale Bruderer. Ich habe Mühe, in dieser Vorlage sozialdemokratische Anliegen zu finden, so wie sie das anscheinend getan hat.

Ich habe Mühe, in dieser Vorlage sozialdemokratische Anliegen zu finden, so wie das Pascale Bruderer anscheinend getan hat.

Bruderer nennt unter anderem die vorgesehenen Beschäftigungsprogramme für Asylbewerber ein sozialdemokratisches Anliegen.

Ja, natürlich sind solche Programme wichtig und positiv. Aber dafür gibt es heute schon eine Grundlage, dafür brauchen wir die Asylgesetz-Revision nicht.

Auch würden die schnelleren Verfahren verhindern, dass Asylbewerber auf Kantone und Dörfer verteilt würden, sagt Bruderer. Es seien gerade die repressiven Massnahmen, mit denen die Akzeptanz in der Bevölkerung für das humanitäre Asylwesen gesteigert werden könnte.

Das ist doch genau das grundsätzliche Problem unserer Gesellschaft: Wir sehen es immer weniger als unsere Aufgabe an, für jene Menschen zu sorgen, die in der Schweiz um Asyl ersuchen. Weil es keine gesellschaftliche Aufgabe mehr ist, diesen Menschen eine anständige Unterkunft zu bieten, haben wir auch diese Probleme bei der Verteilung der Asylsuchenden. Wenn man jetzt die Gemeinde und Kantone bei den Unterkünften aushebelt, nimmt man die Aufgabe noch weiter von der Gesellschaft weg. Dabei haben doch gerade wir in der Region Basel gezeigt, dass es auch anders gehen könnte.

Die Probleme entstehen auch, wenn Asylbewerber sich renitent oder kriminell verhalten. Ihr Vorschlag?

Tatsächlich ist es sinnvoll, wenn man die verschiedenen Gruppen trennt. Die jungen, kräftigen Männer voller Energie müssen nicht am gleichen Ort leben wie die älteren Menschen, die Frauen und Kinder. Aber dazu sind keine eigenen Zentren mit extra Sicherheitsmassnahmen nötig, die Gefängnissen ziemlich nahe kommen. Wir wollen keine Ghettoisierung.

Frau Bruderer wirft man vor, keine gute Linke zu sein. Ihnen, etwas weltfremd zu sein – gerade wenn es um kriminelle Asylbewerber geht.

Ja, ich weiss. Mit dem muss man leben können. Ich mache mich ja nicht stark für kriminelle Asylsuchende. Aber ich finde halt auch, man kann nicht alles an diesem Thema aufhängen. Ein grosser Teil jener Menschen, die in der Schweiz Asyl suchen, sind in einer Notlage und verdienen es, anständig behandelt zu werden. Mit der Revision schaffen wir zudem eine Rechtsungleichheit: Die Verkürzung der Beschwerdefrist von 30 auf 10 Tage ist ein massiver Eingriff.

Am Wochenende hat SP-Parteipräsident Christian Levrat im «Tages-Anzeiger» vor der «Abwehrschlacht» abgeraten (online nicht verfügbar). Fühlen Sie sich von der Parteispitze im Stich gelassen?

Nein, ich kämpfe für meine Position. Aus den Rückmeldungen, die ich wegen meines Engagements erhalte, schliesse ich ausserdem, dass ich nicht so alleine bin. Ich denke, die Parteispitze hat einen Entscheid getroffen, der einen grossen Teil unserer Basis nicht repräsentiert. Darum werde ich an unserer Delegiertenversammlung am 1. Dezember für das Referendum kämpfen. Sollte die Mehrheit nicht folgen, mache ich alleine weiter.

Bis dahin werden wohl noch mehrere Sektionen das Referendum befürworten. Der öffentlich ausgetragene Streit innerhalb der SP dürfte Sie noch etwas länger beschäftigen.

Ja. Aber spätestens nach einem Entscheid der Schweizer SP am 1. Dezember wird es hoffentlich um Inhalte gehen und nicht mehr um die Auseinandersetzung innerhalb der Partei.

Einen ersten Erfolg haben Sie bereits verbucht. Die Basler SP unterstützt das Referendum. Wie haben Sie den Parteivorstand überzeugt?

Ich habe rückwärts argumentiert: Das Referendum ist da, es wird eine Abstimmung geben und die SP muss sich so oder so positionieren. Das hat, neben den inhaltlichen Argumenten gegen die Revision, anscheinend überzeugt.

Wie deutlich war der Entscheid?

Er war klar, aber nicht einstimmig.

Quellen

Medienmitteilung der SP Basel-Stadt

Kurzargumentarium der SP Basel-Stadt gegen die Asylgesetz-Revision

Interview mit SP-Ständerätin Pascale Bruderer im «Sonntag»

Offener Brief der Referendumsbefürworter an Pascale Bruderer

Porträt von Pascale Bruderer im «Tages-Anzeiger»

NZZ-Inlandchef René Zeller über Pascale Bruderer

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