Wer raucht denn sonst mit Herrn Krattiger?

Der Zivilschutz feiert seinen 50-jähriges Bestehen. Wir haben die Leser gefragt, was ihre Erfahrungen sind. Geantwortet hat Philipp Koch: Seine lesenswerte Geschichte über Nutzen und Effizienz des Dienstes und die banale, aber grundlegende Antwort darauf.

Vielleicht nicht gesund, aber ein schönes Erlebnis: Zivilschützer Philipp Koch erzählt die Geschichte von Herrn Krattiger und der gemeinsamen Zigarette. (Bild: Hans-Jörg Walter, Collage)

Der Zivilschutz feiert seinen 50-jähriges Bestehen. Wir haben die Leser gefragt, was ihre Erfahrungen sind. Geantwortet hat Philipp Koch: Seine lesenswerte Geschichte über Nutzen und Effizienz des Dienstes und die banale, aber grundlegende Antwort darauf.

Es ist wieder soweit. Montagmorgen. Einrücken im Bunker Bäumlihof. Ich bin verschlafen, aber alles andere wäre auch unangemessen. Hier fällt man auf, wenn man nicht verschlafen ist. Es geht los mit der PowerPoint-Präsentation zur Begrüssung. Einen Unfall sollte ich diese Woche haben, weil die Militärversicherung anscheinend ziemlich lukrativ ist. Rauchen… bitte ausserhalb der Anlage. Gut so, weil diese Woche auch so die rauchintensivste des Jahres wird.

Im Speakers Corner veröffentlicht die TagesWoche Texte, die von Leserinnen und Lesern verfasst wurden.

Vorstellung der Kursleiter – die sind nicht verschlafen! Mittagessen werden wir zusammen im Esssaal einnehmen, wird geliefert von einer sozialen Institution und kann man auch vegetarisch haben. Es ist 8.07 Uhr Appell. Nun sind wir ja alle keine Soldaten und man fragt sich jeweils, ob man mit einem gelangweilten «Ja» oder einem leicht übermotivierten «Hier!» in die Woche starten soll. Wichtig ist aber nur, dass man da ist – alles andere ergibt sich von selbst.

Die regelmässig fliegende Oma

Der CPR-Wiederholungskurs am Montagmorgen ist Routine geworden. Ich kenne das Verhältnis 30:2 immer noch. Ist ja nur ein Jahr her. Ich weiss auch noch, dass Ohnmacht ein akut lebensbedrohlicher Zustand ist, dass ein elektrischer Schock aus dem AED (Automatisierter Externer Defibrilator) nur bei Kammerflimmern hilft, dass ich so lange Herzmassage machen muss bis ein Arzt kommt und dass der Instruktor ganz allgemein ein sauglatter Typ ist. Ich kenne auch seine Witze noch. Am liebsten mag ich folgenden: «[…] spätestens wenn der AED einen Elektroschock abgibt müssen Sie darauf achten, dass die Oma das Händchen von Opa (der Patient) loslässt, weil sie sonst mitsamt den Finken in die Küche fliegt […] .» Das habe ich so bestimmt schon dreimal gehört und es kommt mir dieses Jahr so vor, als hätte ich noch mehr lachen müssen als bei den letzten zwei Mal. Irgendwie wird das alles von Jahr zu Jahr komischer.

Der wirkliche Einsatz im Altersheim beginnt am Montagnachmittag (nach dem bereits Stunden zuvor angekündigten Mittagessen, das sich schweigend in zehn Minuten erledigen lässt). Das Altersheim ist mittlerweile ein vertrauter Ort. Das ist nun schon der achte WK und ich frage mich, wieso das Aufgebot bei mir mit einer unglaublichen Regelmässigkeit eintrifft, während ich von vielen anderen Zivilschutzpflichtigen weiss, dass sie schon lange nichts mehr bekommen. Vielleicht wird so eine Zivilschutzpflicht ab einem gewissen Einkommen für die EO untragbar.

Frischen Mutes komme ich auf die Station und stelle zu meiner Freude (das ist ausdrücklich nicht ironisch gemeint – wer den Dienst schon Mal absolviert hat, weiss, wovon ich spreche) fest, dass ich sofort mit einem Bewohner im Rollstuhl spazieren gehen darf. An einem schattigen Plätzchen angekommen, frage ich Herrn Krattiger (alle Namen sind selbstverständlich geändert), ob es ihn stört, wenn ich mir eine Zigarette genehmige. Er schaut mich verwundert an und greift sich an die Taschen seiner Trainerhose: «Ich habe keine dabei». Ich spreche jetzt lauter: «Ich habe Sie nicht nach einer Zigarette gefragt, sondern nur, ob es Sie stört, wenn ich rauche.» Er schaut mich verständnisvoll an, bevor sich seine Miene etwas verdunkelt: «Also in diesem Fall würde ich sagen, es wäre unanständig, wenn Sie mir keine anbieten!» Ich zögere. Gibt es ein Reglement, das mir hier in die Quere kommt? Momente später sitzen Herr Krattiger und ich rauchend im Park und er erzählt mir von seinen Erlebnissen im Männerchor.

Memory mit Frau Steiert

Frau Steiert ist auch eine Bewohnerin des Heimes, kann noch selbst gehen und mit ihr kann man auch problemlos Memory spielen. Problemlos natürlich nur dann, wenn ich sie gewinnen lasse und die Regeln ad hoc etwas ändere. Das sind aber kleine Opfer, die sich mehr als lohnen, wenn ich dafür ihren triumphierenden Blick zu Gesicht bekomme, diese Freude, die ich in der ganzen Woche sonst nie sehe.

Frau Steiert hat ein Auge auf mich geworfen. Das ist deshalb klar, weil sie das gar nicht zu verbergen versucht. Sie geht sofort in die Offensive, deutet auf den von Blättern übersäten Balkon und sagt: «Mein grösster Wunsch ist es, dass wir zusammen mal den Balkon wischen!» Offensichtlicher geht’s kaum.

Die Pfleger sind unter Dauerstress und etwas eifersüchtig, dass der Zivilschützer kommen kann und mit den Bewohnern Spiele spielt, Gespräche führt, auf Wünsche eingeht und sich so beliebt macht, dass es am Freitag ein Lamento gibt, wenn sich das Gerücht verbreitet, es sei sein letzter Tag. Die Pfleger haben einen wirklich harten Job und wer noch nie länger als auf einen Verwandtenbesuch in einem Altersheim war, weiss das nicht. Nicht selten kommt es vor, dass der Zivilschützer auch für die Pflegenden eine Art Tor zur Aussenwelt darstellt. Auch da leistet man seinen Beitrag.

Kaffee mit Zucker für die Diabetikerin

Ich könnte noch viele Geschichten erzählen. Lustige und weniger lustige. Der Punkt ist, dass diese Woche jedes Mal wieder eine Herausforderung ist. Eines Tages werde auch ich kein Aufgebot mehr erhalten und mich vermutlich darüber freuen, weil man sich doch über weite Strecken nutzlos fühlt. Bis man weiss, dass Frau Bertrand Diabetes hat und keinen Zucker essen darf, selber aber gerne einen Kaffee mit Zucker verlangt, bis man wieder weg ist.

Ja, ich mache mir in dieser Woche jeweils viele Gedanken über Effizienz und Nutzen. Wahrscheinlich mehr als im angestammten Job, wo ich dafür ja eigentlich bezahlt werde. Ich komme schnell zum Schluss, dass diese Woche wieder mal nutzlos war und denke gleichzeitig: Wer raucht mit Herrn Krattiger, wenn der Zivilschutz nicht da ist? Wer zaubert den triumphalen Blick auf Frau Steierts Gesicht?

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