Wer schützt uns vor den Staatsschützern?

In der Debatte um das neue Nachrichtendienstgesetz geht Politik vor Recht, und die Politik tickt derzeit rechts. Dabei wäre eine Stärkung der Aufsicht auch im Interesse des Nachrichtendienstes.

Schwereres Geschütz für den Nachrichtendienst erachten selbst Kritiker für notwendig. Jedoch gehöre die Aufsicht über dessen Tätigkeiten in andere Hände als in diejenigen des VBS-Chefs und seiner Bundesratskollegen.

(Bild: ANTHONY ANEX)

In der Debatte um das neue Nachrichtendienstgesetz geht Politik vor Recht, und die Politik tickt derzeit rechts. Dabei wäre eine Stärkung der Aufsicht auch im Interesse des Nachrichtendienstes.

Wir haben Halbzeit in der parlamentarischen Debatte um das neue Nachrichtendienstgesetz (NDG). Der Nationalrat hat die Beratung hinter sich und die Vorlage mit 119 zu 65 Stimmen gutgeheissen; der Ständerat dagegen hat die Beratung noch vor sich. Obwohl die Kleine Kammer gerne als das rechtliche Gewissen bezeichnet wird, dürften die Punkte, die zu rechtlichem Bedenken Anlass geben, wohl kaum alle ausgeräumt werden. Denn in diesem Fall geht Politik vor Recht, und die Politik tickt derzeit rechts.

Wie die Dinge liegen, ist die Wahrscheinlichkeit eines Referendums aus dem rot-grünen Lager gross. Darum werden wir wohl noch dieses Jahr eine Volksabstimmung dazu haben. Die Gesetzesbefürworter meinen, diesem Urnengang zuversichtlich entgegenblicken zu können. VBS-Chef Ueli Maurer meinte gegenüber dem «Tages-Anzeiger», es werde schwierig sein, der Bevölkerung zu erklären, weshalb man «Leute, die terroristische Anschläge planen und morden», oder Spione schützen solle. Das aber ist nicht der Punkt.

Ungenügende Aufsicht der Exekutive

Das sich anbahnende Gesetz gibt dem Nachrichtendienst zusätzliche Kompetenzen zur Überwachung von Telefon- und E-Mail-Verkehr, Verwanzung von Räumlichkeiten und so weiter. Dass diese Aufrüstung bis zu einem gewissen Grad nötig ist, wird von den Gegnern der jetzigen Vorlage nicht bestritten. Kritisiert wird, dass man nicht bereit ist, gleichzeitig auch die Kontrolle der nachrichtendienstlichen Aktivitäten entsprechend auszubauen.

Der Einsatz der neuen Mittel setzt immerhin eine dreifache Bewilligung voraus: Zustimmung vom Bundesverwaltungsgericht, vom VBS-Vorsteher (derzeit Ueli Maurer) und vom Sicherheitsausschuss des Bundesrats.

Die Kritiker fordern aber, dass nicht ein Einzelrichter, sondern ein Dreiergericht grünes Licht geben müsse, und sie fordern einen Ausbau der Oberaufsicht über die ordentliche Aufsicht, die der VBS-Chef und seine Bundesratskollegen ausüben müssen – oder müssten. Leider hat man schon mehrfach die Erfahrung machen müssen, dass die Aufsicht der Exekutive, die ja noch anderes zu tun hat, ungenügend war.

Verdachtsgrund Migrationshintergrund

Darum fordern die Grünliberalen ein neues, unabhängiges Gremium, das die gesamte Tätigkeit des Nachrichtendienstes auf ihre Rechtmässigkeit überprüfen soll. Denkbar wäre eine administrative Verstärkung des Stabs der dafür zuständigen sechsköpfigen Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel), die bekanntlich nur aus Milizparlamentariern besteht.

Die Befürworter einer Aufrüstung des Überwachungsapparats beteuern ebenfalls, dass Grundrechte der Bürger nicht leichtfertig missachtet werden sollen. Sie tragen damit dem Grundwiderstand Rechnung, den es in der Schweiz, wenig abhängig von Parteifarben, gegen obrigkeitliche Aufsicht gibt. Darum haben immerhin auch zwei SVP-Nationalräte gegen die Gesetzesvorlage in der jetzigen Form gestimmt.

Auch aus historischer Sicht gibt es gute Gründe zur Skepsis. Vor 25 Jahren erlebte die Schweiz den grossen Fichenskandal, und 2010 mussten wir feststellen, dass, als ob nichts gewesen wäre, erneut ohne die nötige Kontrolle rund 200’000 Fichen zusammengekommen waren. In Basel machte man die Erfahrung, dass trotz offiziellem Verbot solcher Überwachungen sogar Grossräte wegen ihres «Migrationshintergrunds» zu Verdachtsobjekten geworden waren.

Laut Bundesrat Maurer sind im NDB keine «luschen Gestalten» tätig, sondern «ehrenwerte, biedere Bundesbeamte».

Die Befürworter des neuen Gesetzes ergehen sich in Beschwichtigungsrhetorik, indem sie die Gefahren selbst ansprechen, um sie dann umgehend als unbegründet hinzustellen: keine «flächendeckende Überwachung», kein Freipass, keine beliebigen Lauschangriffe, kein Mini-NSA, nur rund ein Dutzend Überwachungen pro Jahr. Abgerundet werden die befürwortenden Argumentationen jeweils noch mit der Allerwelts-Feststellung, dass es ohne Sicherheit keine Freiheit gebe. Und das dafür aufzuwendende Geld spielt, da es im die Nation geht, auch keine Rolle.

Keine Frage war interessanterweise, ob die Nachrichtendienstler über die nötige Qualifikation verfügten. Diesbezüglich wollte Bundesrat Maurer dennoch allfällige Zweifel ausräumen, indem er erklärte, dass im Nachrichtendienst des Bundes (NDB) keine «luschen Gestalten» tätig seien, sondern «ehrenwerte, biedere Bundesbeamte», und dass das gerne kultivierte Bild von Geheimdienstlern mit Schlapphüten revidiert werden müsse.

Der Ausbau ist schon im Gange

Das Unbehagen gilt indessen weniger der Qualität als der Quantität. Das zeigt eine Darstellung im «Blick»: Unter dem Titel «Die Schlapphut-Schwemme» beanstandete das Blatt den heimlichen und kontinuierlichen Ausbau des Schnüffelapparats. Von 237 im Jahr 2010 sei der Stellenetat für 2015 auf mindestens 272 angestiegen und mit einem weiteren Ausbau, vielleicht auf 350 Stellen, sei zu rechnen.

Nach dem «Charlie Hebdo»-Attentat war sogleich die Neuschaffung von sechs Stellen bekannt gegeben worden, und selbst der SPS-Präsident Levrat fand das okay, er konnte und wollte dem nichts entgegenhalten.

Das Boulevardblatt zeigte in seiner Bekanntgabe genüsslich, wo und wie viele der total 91 vom Bund finanzierten kantonale Staatsschutz-Vollzeitstellen zur Verfügung stehen: am meisten im Kanton Bern mit 14,1 Stellen (vielleicht wegen der vielen Botschaften der Bundeshauptstadt), am wenigsten in Appenzell-Innerrhoden mit einer 0,04 Stelle (wohl wegen der vielen grünen Hügel).

Es gibt die Tendenz, möglichst viel registrieren zu wollen, in der Meinung, dass dann schon das Richtige und Wichtige dabei sein wird.

Der «Blick» konnte sich brüsten, gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz mit einer Klage beim Bundesverwaltungsgericht die Bekanntmachung dieser Statistik erwirkt zu haben (Urteil vom 2.2.15, A-1177/2014). Bedenklich und bezeichnend für die im NDB herrschende Mentalität war das vorgebrachte Gegenargument, dass diese Angaben die Qualität der inneren Sicherheit reduzieren werden, weil sie Rückschlüsse auf die operativen Fähigkeiten des Staatsschutzes ermöglichten. Mit anderen Worten, Terroristen und Spione könnten sich jetzt sorglos vom Bernischen ins Appenzellische verschieben.

Inzwischen hat die offizielle Sprachregelung völlig gedreht und es heisst, die Offenlegung der Zahlen sei gut, weil sie falsche Vorstellungen (Fantasien) Grenzen setze.

Wie steht es nun aber mit den Qualifikationen der in dieser Branche eingesetzten «biederen Bundesbeamten»? Was müssen sie können, und nach welchen Kriterien werden sie ausgesucht? Dazu muss man wissen, dass Kantons- und Bundesdienste eine gewisse Einheit bilden. Die Untersuchungen des Fichenskandals von 1989/90 boten zwei Karrieremöglichkeiten: Entweder stiegen die besseren Leute vom Kanton zum Bund auf, oder die kantonalen Dienste behielten die besseren bei sich und überliessen die anderen dem Bund.

Zusätzliche Sicherungen gefordert

Es liegt offenbar in der Natur dieser Tätigkeit, dass die Überwacher zu überschüssigem Handeln tendieren – im Zweifel lieber etwas zu viel als etwas zu wenig. Auch in anderen Ländern gibt es die Tendenz, möglichst viel registrieren zu wollen, in der Meinung, dass dann schon das Richtige und Wichtige drin sein wird. Das Ausweichen in die schiere Menge kann ernsthafte Überlegungen zur Frage erübrigen, was wirklich nötig ist.

Nach den gemachten Erfahrungen müssen unsere Überwacher weiterhin selber überwacht werden. Markus Mohler, ehemaliger Polizeikommandant in Basel-Stadt, Rechtsexperte in diesen Fragen und nicht bekannt als linker Oppositioneller, hat sich am Radio entschieden dafür ausgesprochen, dass im anberatenen Gesetz verschiedene zusätzliche Sicherungen eingebaut werden. Dazu müsse auch eine genauere Umschreibung der «besonderen Lagen» gehören, die es dem Bundesrat erlauben würden, den Nachrichtendienst einzusetzen. Eine Stärkung der Aufsichtsmöglichkeiten, sagte Mohler einleuchtend, wäre eigentlich auch im Interesse des NDB.

In der nächsten Runde ist, wie gesagt, die Kleine Kammer an der Reihe. Dann kann Ständerat Claude Janiak, 2008–2011 Präsident der GPDel, versuchen, die notwendigen Verbesserungen einzubringen. Es wäre erfreulich, wenn es ihm gelänge, die Ratsmehrheit mit seinen Vorschlägen zu überzeugen, und sei es auch nur, weil diese mit der Berücksichtigung der berechtigten Vorschläge ein Referendum verhindern möchte.

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Mehr zum Thema im Dossier Überwachung, mehr von Georg Kreis in seinem Dossier.

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