Bei der jüngsten Gewaltexplosion ist das Museum von Malawy geplündert worden. Das ist nur ein weiterer Höhepunkt in einer Welle von Antiken-Diebstählen, die seit der Revolution 2011 rollt. Die ausbleibenden Touristen verschärfen das Problem.
Einmal die goldene Maske des Tutanchamun von ganz nah bestaunen. Ohne Zeitdruck, ohne Gedränge, ohne Lärm. Jedes winzige Detail des Gesichts, des farbigen Kragens oder der feinziselierten Schlange auf seinem Kopf bewundern. Oder einen ungestörten Blick auf die strahlenden, kiloschweren goldenen Halsketten von Pharao Psusennes aus den Gräbern von Tanis zu werfen.
Dazu ist im Ägyptischen Museum in Kairo in diesen Tagen die beste Gelegenheit. Zuvor gilt es allerdings ein Spalier aus mehr als einem Dutzend gepanzerten Armeefahrzeugen zu passieren und sich durch Polizeiabschrankungen zu schlängeln.
Archäologen schützen ihr Museum
Nach der jüngsten Gewaltexplosion mit der Auflösung der Pro-Mursi-Protestcamps Mitte August war das Ägyptische Museum am geschichtsträchtigen Tahrir-Platz im Zentrum von Kairo während drei Tagen geschlossen. Jetzt ist es wieder geöffnet, bevölkert nur von einigen Schulklassen und einer Handvoll ausländischer Touristen, für die es in Kairo derzeit nicht viel zu sehen gibt. Dutzende gelangweilte Wächter versehen ihren Drei-Schichten-Dienst in den mächtigen Hallen, die immer etwas verstaubt wirken.
Im Museums-Shop sind die Regale leer. Die Stühle von Restaurant und Cafeteria stehen auf den Tischen. Die ganze Atmosphäre wirkt bedrückend. Dazu passt das in der Revolution 2011 ausgebrannte Gebäude der ehemaligen Mubarak-Regierungspartei, auf das der Blick am Ausgang ganz automatisch fällt.
In den Tagen der blutigen Auseinandersetzungen Mitte August hatten Archäologen und Touristenführer Volkskomitees eingerichtet, um die archäologischen Stätten, insbesondere das Ägyptische Museum, vor Überfällen zu schützen. Das ist diesmal heil geblieben; nicht wie im Januar 2011, als Vandalen Schäden anrichteten, die Experten im Rückblick allerdings als gering bezeichnen.
Jetzt traf es das Museum von Malawy in Oberägypten, 300 Kilometer südlich von Kairo. Eine wütende Menge überwältigte die Wächter und stahl über 1300 Stücke, darunter Statuen aus Sandstein, die über 3500 Jahre alt sind. Das Museum von Malawy ist eines der ältesten Provinz-Museen und gut bestückt mit Funden aus dem nahegelegenen Tell al-Amarna, der altägyptischen Hauptstadt von König Echnaton. Die gestohlenen Gegenstände wurden sofort auf die «rote Liste» gesetzt, um möglichst zu verhindern, dass sie das Land verlassen. Ein paar wenige sind bereits wieder aufgetaucht.
Rechtslosigkeit und Schwarzbauten
Die Verwüstung des Museums von Malawy ist ein weiterer Höhepunkt in einer Welle von Antiken-Diebstählen, die nach der Revolution 2011 durch ganz Ägypten gerollt ist. In diesem Frühjahr hatte sie auch Assuan ganz im Süden erreicht. Die Sicherheit auf den Grabungsstätten ist wie im ganzen Land völlig zusammengebrochen. Die Inspektoren der Antikenbehörden hatten keine Chance. Oft waren Waffen im Spiel.
Grabräuber haben in Ägypten eine lange Tradition. Es gab ganze Familiendynastien, die sich bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen lassen. «Das ist ein kurzer Weg, um reich zu werden», hatte ein Mitarbeiter der Antikenbehörde im Gespräch einmal bestätigt.
Die jüngste Welle hat aber eine neue Dimension: Sie ist organisiert. Archäologische Gebiete werden unter verschiedenen Gruppen aufgeteilt und systematisch geplündert. Ägyptologen von ausländischen Missionen sprechen von einer Katastrophe. Für den Verkauf stehen etablierte Kanäle von mafiösen Organisationen zur Verfügung. Das Angebot ist so gross, dass bereits die Preise gefallen sein sollen.
Neben der mangelnden Sicherheit sind die generelle Rechtslosigkeit seit der Revolution, die sich etwa in einem atemberaubenden Boom an Schwarzbauten manifestiert, unklare Eigentumsverhältnisse des Bodens und die Gebietsansprüche der Nubier im Süden weitere Gründe für die massive Zerstörung von archäologisch wertvollen Gebieten.
Gold lockt Schatzsucher
Unter Zahi Hawass, dem langjährigen Leiter der Antikenbehörde, wurde damit begonnen, die Antikengebiete systematisch zu kartografieren und damit auch die Grenzen des unantastbaren staatlichen Besitzes festzuschreiben. Das Projekt ist aber noch nicht abgeschlossen. Objekte von unschätzbarem Wert sind deshalb in Gefahr, zum Beispiel in Assuan, wo eine mehrere Kilometer langen Mauer um den Katarakt steht, die 3500 Jahre alt ist. Inspiriert werden die Diebe von den bekannten Goldschätzen wie jenen aus Tanis. Sie sind immer auf der Suche nach Gold. Finden sie «nur» Keramik, wird die oft einfach zerstört.
In Assuan hat vor wenigen Monaten ein schwer bewaffneter nubischer Clan die bisher unbekannten Gräber der Gouverneure von Elephantine gefunden, die als archäologische Sensation gelten. Die Nubier lassen niemanden in die Nähe. Hier überlagern sich Sicherheitsprobleme und der politische Kampf der nubischen Minderheit, die die Rückgabe ihres ehemaligen Landes verlangen.
Im Frühjahr haben Vandalen und Plünderer die Nekropolis von Dahshour, 40 Kilometer südlich von Kairo heimgesucht. Sie haben 600 Gräber geleert und dann damit begonnen, einen eigenen Friedhof zu errichten. Hier wurden vor allem Gräber in Mitleidenschaft gezogen, die noch nicht exploriert sind.
Das bedeutet einen immensen wissenschaftlichen Schaden, weil der gesamte Kontext zerstört wurde. Die Objekte sind zudem viel schwieriger zu finden, weil sie nicht registriert sind. Um weltweit nach den bekannten gestohlenen Altertümern zu suchen, gibt es seit über zehn Jahren in Kairo eine eigene Abteilung in der Altertümerverwaltung.
Menschen sind der beste Schutz
Trotz der Gefahr und Unsicherheit sind die meisten ausländischen Missionen in Ägypten geblieben, ausser auf dem Sinai, wo alle Grabungen eingestellt werden mussten. Sie stehen in einer Art Wettlauf mit den Dieben, um das antike Erbe zu sichern. Einige können jetzt allerdings nicht mit der neuen Saison beginnen, weil Studenten und Mitarbeiter wegen der Reisewarnungen nicht ins Nilland fahren dürfen.
Die Rückendeckung durch ausländische Missionen stärkt in jedem Fall die lokalen Behörden. Der zuständige Minister Mohammed Ibrahim gibt aber offen zu, dass die Behörden mit dem Schutz der vielen tausend historischen Stätten überfordert sind.
Das Ausbleiben der Touristen hat auch zu einschneidenden finanziellen Problemen geführt. Als Beispiel nannte Ibrahim den Juli 2012, als 12 Millionen Pfund ( etwa 1,7 Millionen Franken) an Einnahmen den Löhnen gegenüberstanden, die allen 50 Millionen verschlangen. Noch vor der jüngsten Gewaltexplosion hat er deshalb angekündigt, strategische Pläne für alle historischen Monumente ausarbeiten zu lassen.
Der beste Schutz für die archäologischen Stätten sind in jedem Fall Menschen; seien es Archäologen oder Touristen. Aber die werden in grösseren Scharen wohl noch für längere Zeit ausbleiben.