Widerstand gegen den Nordsee-Strom für die Schweiz

Windstrom vom Meer wird in Europa immer mehr zum Standard. Auch die Schweiz investiert kräftig in Windmühlen auf See. Doch dafür brauchts neue Stromleitungen, gegen die der Widerstand in Deutschland wächst.

Ausfahrt zum Windpark: Der Hafen von Havneby-Krug ist ein Treffpunkt für Offshore-Firmen. (Bild: Oliver Ristau)

Windstrom vom Meer wird in Europa immer mehr zum Standard. Auch die Schweiz investiert kräftig in Windmühlen auf See. Doch dafür brauchts neue Stromleitungen, gegen die der Widerstand in Deutschland wächst.

Der kleine Nordseehafen schläft schon fast. Die kalte Märzluft streicht über die leeren Kais, wo die ersten Seevögel ihre Köpfe ins Gefieder stecken. Ein kleiner Hase verschwindet in einem dunklen Schuppen.

Im Havneby-Krug, einem alten Gasthof in Sichtweite der Kais, herrscht dagegen Hochbetrieb. Männer in Fleece-Pullis und dicken Baumwollhemden sitzen an schweren Holztischen, diskutieren, vor sich ein paar Bier und Teller mit Burger. Im Havneby-Krug trifft sich halb Europa: einer telefoniert auf Italienisch, zwei rufen auf Französisch dazwischen, man hört englisch, niederländisch, deutsch und dänisch.

Einst war der Hafen auf der dänischen Nordseeinsel Römö Ausgangspunkt für Walfänger. Heute sind die Männer auf der Jagd nach Wind. Täglich fahren sie raus, um einen weiteren Offshorewindpark in der Nordsee zu bauen, der Europa mit grünem Strom versorgen soll. Butendiek heisst er und wird nach Auskunft der Betreiber ab Sommer so viele Kilowattstunden erzeugen, dass jährlich 350’000 Haushalte komplett mit dem CO2-freiem Strom versorgt werden können.

Auch die Schweiz investiert kräftig

Auch die Schweiz ist an dem 1,2 Milliarden Franken teuren Projekt beteiligt. Energiespezialist ABB liefert Kabel zum Anschluss des Parks. Die Stadtwerke Zürich sind mit fünf Prozent Miteigentümer des gigantischen Windparks. 50 Arbeiter müssen in Havneby mit seinen 300 Einwohnern aufgenommen und versorgt werden.



Alle vor Anker: Die letzten drei Schiffe der Krabbenfischer im Hafen. Der Bau des Windparks in der Nordsee wird vorangetrieben.

Alle vor Anker: Die letzten drei Schiffe der Krabbenfischer im Hafen. Der Bau des Windparks in der Nordsee wird vorangetrieben. (Bild: Oliver Ristau)

Nach Ende der Bauarbeiten bleiben noch 10 bis 15 dauerhafte Jobs übrig. Das lässt die Kassen der örtlichen Gaststätten und Lebensmittelhändler klingeln. «Auch ich habe Mitarbeiter für Küche und Kneipe eingestellt», sagt die Eigentümerin des Havneby-Krugs, Helle Thomsen. «Es ist auch toll und gemütlich mit den Offshoris», wie sie die neuen Bewohner Römös liebevoll nennt.

Doch für die Mittdreissigerin, deren Familie seit Generationen auf der Nordseeinsel lebt, habe sich «das Leben radikal verändert.» Als sie vor zwölf Jahren die ehrwürdige Gaststätte am Hafen übernommen hatte, gab es nur in der Sommersaison viel zu tun. Jetzt kommt sie auch im Winter vor ein Uhr nachts kaum ins Bett. Wo die Wirtin mit Freunden am Wasser jedes Jahr ihr Osterfeuer entfacht hatte, stehen nun die Barracken für internationale Offshorefirmen.

Verdrängung lokaler Erwerbsquellen

Dass sie sich einen neuen Platz für die Feier der Osternacht suchen muss, erzählt Thomsen mit einem Augenzwinkern. Doch es wird klar, dass steigende Umsätze alleine für sie kein Grund zur uneingeschränkten Freude sind. Früher, erzählt Helle Thomsen, gab es auf Römö nur Fischerei und Landwirtschaft. Heute sind von den einst zwei Dutzend Krabbenfischern, die die Schalentiere auf eigene Rechnungen fingen, noch drei übrig.

Sie geben dem Hafen einen nostalgischen Glanz, ein Motiv für die Touristen, die für einen Tagesausflug von der Nachbarinsel Sylt in Deutschland kommen. Von den Touristen können die Menschen hier leben. Die Männer des Grünstroms stören nicht.

Doch gewartet hat niemand auf sie.

Wirtin Helle Thomsen freut sich über die Kundschaft im Hafendorf. Doch sie hat auch Bedenken.

Die Sonne ist kaum aufgegangen, schon herrscht auf den Kais Leben. Die Männer in den grellen Arbeitsanzügen schiffen sich für die 30 Seemeilen-Reise ein. Einen halben Tag werden sie draussen sein, um riesige Windtürme passgenau auf Stahlfundamente zu fügen oder elektrische Anschlüsse zu legen. Im August sollen alle 80 Anlagen betriebsbereit sein – enorme Maschinen mit einem Gesamtgewicht von 2000 Tonnen, in 20 Meter Wassertiefe hineingerammt in den Nordseeboden.

Noch nie so viele ökologische Begleituntersuchungen

Noch nie seien für ein Windenergieprojekt auf See so viele ökologische Begleituntersuchungen durchgeführt worden wie für Butendiek, versichert die Bremer Firma wpd, die Projektentwicklerin, die den Park nach Abschluss betreiben wird. Keiner der bisherigen Nordseeparks habe geringere Lärmbelastungen mit sich gebracht. Die in der Meeresregion lebenden Schweinswale tummelten sich wie je im Baugebiet.

Auch Helle Thomsen stören die Windräder nicht: «Ich sehe sie ja nicht.» Doch sie fragt sich auch: «Was passiert eigentlich, wenn die Windräder in 25 Jahren ausgedient haben? Kommen dann wieder Ingenieure und bauen sie ab oder bleiben die dann einfach stehen?» Und ein bisschen Sorge schwingt mit als sie wissen will: «Was passiert mit dem ganzen Strom der erzeugt wird, wenn er nicht weitergeleitet werden kann?»

Diese Frage beschäftigt auch den Versorger in Zürich. Für die ewz könnte es «künftig eine attraktive Option werden, den Strom aus dem Windpark Butendiek zu übernehmen und unseren heimischen Kunden zu verkaufen» wie Sprecherin Marie Avet sagt. Immerhin hätten die Zürcher Anspruch auf Windstrom aus dem Park für mehr als 15’000 Haushalte.

Allerdings sei das im Moment nicht attraktiv. Die ewz will den Strom deshalb für die nächsten acht Jahre in das deutsche Netz einspeisen und dafür die gesetzliche Vergütung erhalten. Denn auch wenn die Durchleitung grundsätzlich technisch erprobt sei wie Avet sagt: «Wir haben in der Vergangenheit im Rahmen eines Pilotprojektes Strom aus einem Windpark in Niedersachsen bis nach Zürich übertragen.»

Der Haken: Die Netze müssen noch gebaut werden

Die Netze, um so viel Windstrom aus der Nordsee in den Süden zu transportieren, sind noch nicht gebaut. Frühestens Mitte des nächsten Jahrzehnts wird es so weit sein – wenn überhaupt. Denn es sind nicht nur kleine Nordseewale und die Menschen an den Küsten, deren Lebensraum sich durch die Windkraft auf See verändert. Mittlerweile drehen sich über anderthalb tausend Windräder vor den Küsten Nordwesteuropas.

Auch Schweizer Versorger haben – wie bei einem Park vor Borkum – investiert. Der Strom muss ins Innere des Kontinents geschafft werden. Doch gegen neue Netze rebellieren die Menschen.

Widerstand gegen die Freilandleitungen: Der Ottensteiner Bürgermeister Manfred Weiner will nicht zu den Verlierern der Energiewende gehören.

So wie in Ottenstein im Weserbergland, 600 Kilometer südlich von Römö. Dort soll die Stromautobahn Südlink vorbeiführen. Geplant ist sie als Freileitung auf riesigen Masten, die von Anwohnern angstvoll «Monstertrasse» genannt wird. Manfred Weiner ist Bürgermeister des beschaulichen Ortes mit seinen 1000 Einwohnern, den Resten einer alten Burg und einigen Fachwerkhäusern.

In einem davon sitzt der Pensionär an seinem Schreibtisch. «Wir sind nicht gegen den Grünstrom aus der Nordsee», sagt der 70-Jährige, der seit mehr als 35 Jahren ehrenamtlich Bürgermeister der Gemeinde ist. «Wir wollen aber nicht Verlierer der Energiewende sein.» Weiner meint damit die Monstertrasse.

Grün gegen Grün im Mittelgebirge

Das Mittelgebirge, das sich von den Ufern der Weser aus aufwirft, ist die Heimat vieler deutscher Märchen. Auch der Baron von Münchhausen war hier zu Hause. Das Bergland ist strukturschwach. Die Menschen leben vom Tourismus, der die Region Dank Mythen, Fluss und Natur allmählich entdeckt. Grün gegen Grün: «Auch wenn es um Ökostrom geht: Wenn hier neuen Masten hinkommen und die Luft vor Elektrizität wird uns keiner mehr besuchen», befürchtet Heinrich Timmermann.



«Monstertrassen» werden sie im Hinterland genannt: Die Freilandleitungen für die Stromversorgung mit Energie aus den Windparks der Nordsee.

«Monstertrassen» werden sie im Hinterland genannt: Die Freilandleitungen für die Stromversorgung mit Energie aus den Windparks der Nordsee. (Bild: Oliver Ristau)

Der 52-jährige Landwirt bewirtschaftet im Ortsteil Lichtenhagen ein paar Kilometer von Ottenstein entfernt mit seiner Frau einen Hof mit Schweinen und ein paar Äckern. Um über die Runden zu kommen, nehmen sie Städter mit Kindern für Ferien auf dem Bauernhof auf. Doch die würden dann nicht mehr kommen.

«Die Stromtrasse bedroht unsere Existenz», fürchtet Timmermann. Eine Stromleitung gibt es bereits, die vom nahen Weser-Atomkraftwerk Grohnde direkt an ihrem Hof vorbei führt. «Das haben die Menschen akzeptiert», sagt Timmermann. Doch die Masten der neuen Trasse wären doppelt so hoch. Wenn es nicht sogar mehrere Reihen werden. Bürgermeister Weiner hat drei Ordner gesammelt – prall gefüllt mit Schriftverkehr zum Thema Südlink. An die obersten Regierungsstellen in Berlin und Hannover haben die Bürger Ottensteins geschrieben.

Und immer wieder Angst vor «Monstertrassen»

Die Antworten der Politik sind beunruhigend. In einem Brief offenbart Landes-Landwirtschaftsminister Clemes Meyer Vorschläge des zuständigen Netzbetreibers Tennet zum «Bau von drei Freileitungsmastreihen», also drei Monstertrassen nebeneinander, um Ausweichspuren für die Stromautobahn zu schaffen. 

Dieser Vorschlag macht die Ottensteiner fassungslos. «Die Energiewende von Morgen soll mit der Technik von gestern geschehen», sagt Weiner, der stattdessen hofft, dass die Leitungen unter die Erde gelegt würden. Eine Antwort von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel klingt nicht ermutigend. Die Freileitung sei die sicherste weil vielfach erprobte Variante der Stromübertragung.

Mit «der Erdverkabelungstechnologie im Höchstspannungsnetz» gebe es «bislang (auch international) nur sehr wenig Erfahrung.» Das allerdings stimmt zumindest für die Schweiz nicht.

Zürich widerspricht

«Innerhalb der Stadt Zürich verlegen wir nur noch Erdkabel. Es ist praktisch unmöglich, für eine neue Freileitung eine Genehmigung zu erhalten», sagt Marie Avet von der ewz. Und auch das Argument, Erdverkabelung sei deutlich teurer, kann sie nicht bestätigen. «In städtischen Gebieten sind die Kosten über den gesamten Lebenszyklus nicht mehr höher».

Selbst bei Überlandleitungen wie sie der Versorger in Mittelbünden unterhält, hat sich die Kostenwaage in Richtung Erdkabel geneigt. Zwar seien «Freileitungen prinzipiell günstiger zu bewerkstelligen. Wenn man aber den Zeitfaktor und weitere Aufwendungen für die Bewilligung von Freileitungen berücksichtigt, sind Kabel heute schon oft die günstigere und einfachere Lösung», so Avet.

Sollte sich diese Erkenntnis auch in Deutschland durchsetzen, hätten die Menschen in Ottenstein und an den übrigen Orten entlang der Südlink-Trasse einen Grund zu Feiern. Und Schweizer Stromversorger könnten anfangen zu planen, in absehbarer Zeit eine Reihe von Häusern mit grünem Windstrom von der Nordsee zu beliefern.

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