Für Staudämme wurde das im Süden Ägyptens ansässige Volk der Nubier vertrieben. Die neue Verfassung gibt ihnen das Recht, auf ihr historisches Land zurückzukehren. Doch Präsident al-Sisi interessiert das nur bedingt.
Die Nillandschaften in der Region von Assuan sind traumhaft, die Dörfer malerisch, doch die Idylle täuscht. Die einheimischen Nubier sind aufgebracht. So auch Youssri von der Nubier Union in Assuan. «Wir sollen unser eigenes Land zurückkaufen», ereiferte er sich kürzlich im Gespräch.
Genau das hatte die Regierung in Kairo vorgeschlagen. Als Reaktion auf Proteste, welche die Nubier unter dem Motto «Recht auf Rückkehr» durchführten, und die Mitte November ihren Höhepunkt erreicht hatten, mit einem (von den Sicherheitskräften verhinderten) symbolischen Marsch in die alte Heimat und einem Sit-in auf der Strasse nach Abu Simbel.
Jetzt hat sich die Regierung ein kleines Stück bewegt. Das zeigte vor einigen Tagen der Besuch von Präsident Abdelfattah al-Sisi in Assuan. Dort erklärte er: Das Dorf Forkund, das zum historischen Land der Nubier gehört, werde vom sogenannten Toshka-Projekt ausgeklammert – von jenem Grossprojekt der Regierung, das mit Wasser aus dem Nasser-Stausee die südägyptische Wüste in ein landwirtschaftlich nutzbares Gebiet verwandeln soll. Für das Dorf Forkund, so al-Sisi weiter, werde im Laufe von drei Monaten ein Plan für seine Entwicklung ausgearbeitet.
Bei gleicher Gelegenheit warnte der Präsident aber auch vor den «Leuten des Bösen». Vor Leuten, die Streit anzetteln und dem Staat Probleme bereiten würden. Sprich: Er warnte vor weiteren Protestmärschen der Nubier. Er spielte zudem die Zahl dieser ethnischen Minderheit herunter, sprach von nur 150’000 bis 200’000 Nubiern. Offizielle Zählungen gibt es nicht, Aktivisten gehen aber von Millionen aus.
Diskriminierung anerkannt
Die Forderung der Nubier, in die Reste ihrer alten Heimat zurückzukehren, ist nicht neu. Aber in der Verfassung von 2014 wurde dieses Recht zum ersten Mal verbrieft. Artikel 236 verpflichtet die Regierung, den Nubiern zu helfen, in die Dörfer zurückzukehren, aus denen ihre Vorfahren in den 1960er-Jahren umgesiedelt worden waren. Dieses Gebiet bildet einen Streifen entlang des Nasser-Stausees.
Zehn Jahre lang baute Ägypten am Assuan-Staudamm für den heute 500 Kilometer langen Nassersee. Der Bau vertrieb in den 1960er-Jahren viele Nubier aus ihrem Land. (Bild: Keystone/Mike Nelson)
Solche Umsiedlungen gab es in der Geschichte in mehreren Wellen. Angefangen vom Bau des ersten Staudammes durch die Engländer im Jahr 1902 und danach bei verschiedenen Erweiterungen. Infolge der Überflutung durch den Nasser-Dammbau wurden viele Vertriebene in der Stadt Kom Ombo nördlich von Assuan angesiedelt.
Die Nubier als ein indigenes afrikanisches Volk im Süden Ägyptens haben nicht erreicht, dass sie im Grundgesetz offiziell als staatsbildende Minderheit mit kulturellen Rechten anerkannt wurden. Sie mussten sich damit begnügen, dass die Zugehörigkeit Ägyptens zu Afrika erwähnt wird und dass in entlegenen Gegenden wie Nubien die Entwicklung in Absprache mit den Bewohnern dieser Regionen erfolgen soll.
Zudem wurde im Grundgesetz ein Diskriminierungsartikel aufgenommen, der auch die Diskriminierung nach Hautfarbe und Rasse kriminalisiert. Unter beidem haben die Nubier in Ägypten traditionell zu leiden. Das Stereotyp des Nubiers ist für viele Ägypter der «Bawab» – der schwarzhäutige Concierge, der mit weissem Turban und in langer Galabiya vor Kairoer Häusern steht.
Landverkauf als Zündfunke
Mit dem Erlass zweier neuer Dekrete von Präsident al–Sisi mussten die Nubier befürchten, dass die Versprechen in der Verfassung für immer toter Buchstabe bleiben würden. Mit dem einen Dekret vom August 2016 wurden 922 Feddan (387 Hektaren) Land in Staatsbesitz dem Toshka-Projekt zugeschlagen, das Land sollte an private Investoren verkauft werden. Ein Teil dieses Bodens, das Dorf Forkund, gehört zum historischen Gebiet, das die Nubier beanspruchen. Zuvor hatte al-Sisi ein Dekret verabschiedet, das Grenzregionen zu militärischen Zonen erklärt, die nicht bewohnt werden dürfen. 16 historische, nubische Dörfer waren davon betroffen.
Dass Teile ihres historisches Landes verkauft werden sollten, war der zündende Funke für die Proteste der Nubier. «Schon immer war es so, dass die Nubier auswandern mussten, weil es für uns keine Arbeit gibt», sagt Protest-Teilnehmer Mido. Bei Entwicklungsprojekten wie Toshka kämen die Arbeiter aus dem Norden.
Höhlenmalereien wie diese belegen die Jahrtausende alte Kultur der Nubier. (Bild: Astrid Frefel)
Laut Youssri von der Nubier Union wurden die Proteste so organisiert, dass sie möglichst keine Angriffsfläche boten. «Wir wollten verhindern, dass der Kampf um unsere Rechte mit der aktuellen wirtschaftlichen Lage und den Preissteigerungen in Verbindung gebracht wird», betont Youssri. Die Region von Assuan leidet wirtschaftlich schwer unter dem Einbruch des Tourismus. Der Marsch in die alte Heimat sollte auch eher symbolisch sein – mit je einem Bus aus den insgesamt 44 historischen Dörfern.
Der Landverkauf der historischen Gebiete wurde gemäss al-Sisi jetzt zwar zurückgenommen. Über die Militärzonen hat er aber kein Wort verloren. Und auch nicht über die Möglichkeiten einer Rückkehr, dem zentralen Anliegen der Nubier. Dafür setzt sich seit der Revolution von 2011 eine junge Generation von Aktivisten ein, die den Kampf um die Rechte dieser Minderheit führen.
Von Optimismus ist nichts zu spüren
In der lokalen Bevölkerung ist wenig Optimismus zu spüren. «Es wird viel geredet und nichts wird geschehen. So wie das schon seit Nassers Zeiten war», ist der Besitzer eines kleinen Hotels auf einer der malerischen Nilinseln überzeugt. Offizielle aus der Stadtverwaltung werben um Geduld. Veränderungen brauchten Zeit, sagen sie. Die «Zuwanderer aus dem Norden», die viele der gut bezahlten Jobs in Assuans Tourismusbranche bekleiden, zeigen wenig Verständnis und pochen auf Ruhe. Sie fürchten, ein Wiederaufschwung des Fremdenverkehrs würde gefährdet.
Die schönsten nubischen Häuser stehen heute im Museum. (Bild: Astrid Frefel)
Saber, ebenfalls von der Nubier Union, umschreibt die schwierige Ausgangslage so: «Unsere Gegner sind Armee, Präsident und Regierung.» Er wollte mit einer NGO auf privater Basis Kindern die Geschichte, Kultur und Sprache Nubiens näherbringen. Die Behörden haben seine Initiative untersagt.
Die Aktivisten müssen immer wieder der Kritik entgegentreten, sie seien Sezessionisten. Diese Vorwürfe treffen sie besonders schwer, denn die Idee von einem eigenständigen Nubien ist noch nie formuliert worden. «Wir sind Teil Ägyptens und seiner Kultur», betont Saber dezidiert.
Vorerst werden sich die Aktivisten in Assuan weiter in Geduld üben müssen und abwarten, ob mindestens al-Sisis minimale Zugeständnisse umgesetzt werden.