Wie das U-Abo den ÖV in der Nordwestschweiz in Schwung brachte

Die Einführung des U-Abos katapultierte ab 1984 den öffentlichen Verkehr in der Nordwestschweiz an die nationale Spitze. Von einer Fusion von BVB und BLT erhoffen sich nun viele wieder neuen Schwung.

Am 1. März wird das U-Abo 30 Jahre alt. Mit dessen Einführung explodierten die Passagierzahlen und der motorisierte Verkehr ging zurück. (Bild: Anthony Bertschi)

Die Einführung des U-Abos katapultierte ab 1984 den öffentlichen Verkehr in der Nordwestschweiz an die nationale Spitze. Von einer Fusion von BVB und BLT erhoffen sich nun viele wieder neuen Schwung.

Schneeweisses Haar, Spitzbart und um den Hemdkragen eine Cowboykrawatte aus Gold und Platin: Paul Messmer, der ehemalige Direktor der Baselland Transport AG (BLT), wartet bei der Tramhaltestelle Spengler, auf halbem Weg zwischen dem Bahnhof SBB und Münchenstein. Die Erfolgsgeschichte des Umweltschutzabonnements beginnt bei ihm. Mit seiner Idee verhalf er dem ­öffentlichen Verkehr in der Nordwestschweiz zum grossen Durchbruch, in wenigen Tagen jährt sich sein grösster Erfolg zum 30. Mal. Als Messmer anfängt zu erzählen, kommt das Tram in Richtung Stadt.

Am 1. März 1984 lancierten die beiden Basel mit ihrem Umweltschutzabonnement einen auch national ­beachteten Grosserfolg. Die Region wurde zum Pionier im öffentlichen Nahverkehr. Von der Idee bis zur ­Einführung dauerte es gerade einmal drei Monate. Diese Geschichte erzählt Messmer gerne: Wie er als damaliger BLT-­Direktor in den Weihnachtsferien in Sörenberg rechnete, wie viel ein Einheitsabonnement kosten müsste, um erschwinglich und rentabel zugleich zu sein. Zurück im Flachland schritt er zur Umsetzung.

Am 12. Januar 1984 hatte er den Baselbieter Regierungsrat und BLT-Verwaltungsratspräsidenten Paul Nyffeler von der Idee überzeugt. Dann besuchte er gemeinsam mit der BVB-Leitung den Basler Regierungsrat ­Edmund Wyss. «Ich erklärte Mundi meine Berechnungen, zeichnete ihm alles auf. Und als ich fertig war, sagte er: ‹Das gefällt mir, aber ich möchte es gerne noch einmal hören.› Am Ende waren alle Beteiligten überzeugt und willens das Umweltschutz-Abo einzuführen.»

Eine Erfolgsgeschichte

Als langjähriger CVP-Landrat und Unternehmer war Messmer bestens vernetzt. Zwei Wochen später standen nach den Regierungen beider Basel auch die Kantonsparlamente hinter der Idee, denen nicht mehr viel übrig blieb als zuzustimmen.

Im ersten Jahr nach der Einführung stieg die Zahl der Fahrgäste bei der BLT und den BVB um 23 Millionen steil nach oben, der Motorfahrzeugverkehr ging nach jahrelanger Zunahme um 2,5 Prozent zurück. Und mit dem U-Abo war auch der Grundstein gelegt für einen weiteren Zusammenschluss: Drei Jahre später entstand der Tarifverbund Nordwestschweiz.
Während Messmer seine Erfolgs­geschichte erzählt, fahren wir mit dem Tram Nummer 11 über den Bahnhof und durch die Innenstadt weiter in Richtung St. Johann. Bei der Einführung des U-Abos passte einfach vieles zusammen.

Zehn Jahre zuvor hatten sich die Baselbieter Vorortsbahnen zur BLT zusammengeschlossen, und das Land ­debattierte über das Waldsterben. Doch auch heute, meinte Messmer, könnte es schneller gehen. Etwa bei der Tramverbindung nach Weil. Da kritisiert Messmer das Verhalten von Basel-Stadt als zu zögerlich und fordert eine andere Gangart. Wenn es in Weil am Geld fehle, dann solle Basel dieses doch einfach vorschiessen.

Der ehemalige BLT-Direktor Paul Messmer unterwegs.

Der ehemalige BLT-Direktor Paul Messmer unterwegs. (Bild: Hans-Jörg Walter)

 

Bei St-Louis-Grenze endet die Fahrt in der Kehrschlaufe. Wir bleiben sitzen und fahren zurück in Richtung Stadtzentrum. Kurz vor dem Voltaplatz tritt der Wagenführer auf die Bremse und lässt einem grünen Tram der BVB den Vortritt. Messmer ist bis heute eng mit seiner BLT verwoben und sagt noch immer «wir», wenn er den Verkehrsbetrieb meint. Als das Gespräch auf die derzeit wieder ­diskutierte Fusion fällt, winkt er ­entschieden ab.

Alle paar Jahre erwacht die Debatte um eine Fusion zwischen der BLT und den BVB aufs Neue. Vor allem von linker Seite wird seit einigen Jahren immer wieder kritisiert, im öffentlichen Verkehr gehe es zu wenig rasch voran.

Vor wenigen Wochen forderte der Landrat in einem Vorstoss, die Regierung müsse eine Fusion prüfen, dagegen war einzig die SVP. In der Wochendebatte der TagesWoche zum Thema schreibt die Initiantin des Vorstosses, Christine Koch (SP): «Veraltete Strukturen und unnötige Grenzen fressen heute Zeit und Geld und behindern eine positive Entwicklung des öffentlichen Verkehrs.» Würden die BLT und BVB fusionieren, sieht sie den Weg frei für ein Einheitsabo ­zwischen «Mulhouse und Olten und zwischen Delémont und Waldshut».

Absurder Machtkampf

Während der vergangenen vier Jahre befand sich das Verhältnis zwischen den BVB und der BLT auf einem historischen Tiefpunkt. Die jahrelange Partnerschaft verwandelte sich in ­einen ebenso verbissenen wie absurden Machtkampf. Nachdem Ende Jahr fast die gesamte BVB-Leitung abtreten musste, fand wieder eine Annäherung statt. Ungelöstes Problem blieb der Margarethenstich. Seit Jahren stritten sich die beiden Verkehrsanbieter, wer die geplante Strecke zwischen dem Leimental und dem Bahnhof SBB betreiben soll. Vor wenigen Wochen löste sich nun auch dieser gordische Knoten, die beiden Regierungen sprachen die Strecke der BLT zu.

Damit wäre der Weg frei für eine weitere Annäherung zwischen den beiden Unternehmen. Regierungsrätin Sabine Pegoraro und ihr Basler Kollege Hans-Peter Wessels kündigten an, den Vorstoss von Koch zu prüfen. «Ich finde den Vorstoss aus dem Baselbiet sehr begrüssenswert», sagt Wessels. So eine Fusion könne aber nicht übers Knie gebrochen werden. Er persönlich steht einem möglichen Zusammenschluss grundsätzlich positiv gegenüber. Vorgängig brauche es jedoch detaillierte Abklärungen über Vor- und Nachteile: Kostenfragen, wo gibt es Synergien, was sind die Vorteile für den Fahrgast? Denn im Zentrum einer Fusion müsse der Kundennutzen stehen.

Und welche weiteren Visionen hat der Regierungsrat für den öffentlichen Nahverkehr? Die grenzüberschreitenden Verbindungen seien eine Riesenchance. «Es ist eine Grundherausforderung der Region, über die Grenzen hinauszuwachsen.» Dabei ist dieses Ziel nicht wirklich ein neues. Bis nach dem Zweiten Weltkrieg fuhr das Basler Tram täglich über die Grenzen, nach Lörrach, Huningue und St-Louis.

Verbesserungspotenzial sieht Wessels auch bei den Strukturen. Als Vorbild nennt er den Zürcher Verkehrsverbund (ZVV). Dort komme alles aus einer Hand, die Kostensteuerung, die Angebotsplanung und die Tarifpolitik. «Eine Stärkung des Tarifverbunds müssen wir als Nächstes angehen, ­unabhängig von einer Fusion von BLT und BVB.»

Paul Messmer fährt zurück in Richtung Münchenstein, und wir wechseln beim Bankverein ins Tram Nummer 10. Zwanzig Minuten später hält das Tram in der Hüslimatt vor dem Hauptsitz der BLT. Direktor Andreas Büttiker kommt mit grossen Schritten in das Sitzungszimmer. Seit 18 Jahren ist er an der Spitze der BLT und war während 15 Jahren zugleich Geschäftsleiter des Tarifverbunds Nordwestschweiz. Zuletzt brachten vor allem der geplatzte Tramdeal mit den BVB und die Streitereien um den Margarethenstich sein Unternehmen in die Schlagzeilen. Jetzt ist die Fusion mit den BVB abermals ein Thema. Was hält Büttiker von der Idee? Er mag die F­rage nicht, bereits im Vorfeld hatte er ­erklärt, er wolle dazu nicht allzu viel ­sagen. Die ­Fusionsfrage müsse er jedes Jahr neu beantworten, seit 18 Jahren.

«Die vergangenen Jahre waren eine Katastrophe.»

Er spricht lieber von dem wieder ­guten Verhältnis zu den BVB. «Die vergangenen vier Jahre waren eine Zäsur, eine Katastrophe.» Jetzt gebe es wieder gemeinsame Mittagessen, Treffen zwischen den Geschäftsleitungen und den Verwaltungsratspräsidenten. «Wissen Sie, einfach normal!» Die gegenseitige Wertschätzung sei wieder zurückgekehrt. «Am Schluss entscheiden die Eigner über eine Fusion. Die Kantone und die Gemeinden.» Aber es seien zwei ­Firmen mit unterschiedlichen Vergangenheiten, Kulturen, Geschäftsmodellen und Kostenniveaus, das müsse man berücksichtigen.

Ihre Zukunft könnten die beiden Verkehrsbetriebe auch ohne Fusion ­gemeinsam gestalten. Grenzüberschreitende Linien, die Erschliessung von neuen Entwicklungsgebieten oder das U-Abo auf dem Handy – es gebe noch viele Entwicklungsmöglichkeiten. ­

Büttiker redet, gestikuliert, steht auf, macht Skizzen auf einem Zeichenbrett an der Wand. Er spricht von den Projekten, die anstehen. Eine zweite Spur ins Leimental bis nach Flüh, eine zweite Spur zwischen Bottmingen und Binningen, wofür eine ganze Häuserzeile abgerissen wird. Die 18 bestellten Tango-Trams, Doppelbildschirm für alle Fahrzeuge, umweltfreundliche ­Antriebstechnologien für Busse. Allein in den vergangenen 30 Jahren hätten die BLT eine halbe Milliarde ins Streckennetz investiert.

Und dann der Margarethenstich: Da gehe es nicht nur um ein paar Minuten für die Pendler. Diese Darstellung ärgert ihn. «Rund um den Bahnhof ist in den vergangenen Jahren ein neues Wirtschaftszentrum mit ­vielen Arbeitsplätzen entstanden.» Zudem könne durch den Margarethenstich die Innenstadt vom Tramverkehr entlastet werden.

Die Botschaft ist klar, die BLT entwickeln sich auch heute weiter, bleiben in Bewegung. «Es besteht noch Potenzial, auch wenn das Wachstum in Zukunft nicht mehr so rasant sein dürfte wie in der Vergangenheit.» Immerhin verkaufte der Tarifverbund im vergangenen Jahr 355’000 U-Abos mehr als noch 13 Jahre zuvor: Insgesamt waren es 2013 2,1 Millionen Stück. «Wir ­haben ein sehr hohes Niveau, und all diese Passagiere zu halten ist bereits eine Herausforderung.» Büttiker geht diese gerne an, Schritt für Schritt.

«Wir fahren Tram»: Im vergangenen Sommer setzte sich die TagesWoche immer wieder ins Tram und fuhr von einer Endstation zur anderen. 30 Jahre U-Abo sind eine gute Gelegenheit, diese Reportagen in Bild und Text wieder nach vorne zu holen. Einsteigen, Platz nehmen:

Mit dem 11er von der Industriebrache über Maisfelder aufs Land.
Mit dem Tram Nummer 16 vom Zauberberg über den Tellplatz ins Bullseye der Stadt.
Mit dem 8er von einer Welt zur nächsten.

Artikelgeschichte

Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 28.02.14

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