Er ass mit General Wille Saumon du Rhin Grillé, interessierte sich aber auch für die Nöte des einfachen Volkes: Das macht den Basler Hauptmann Victor Haller zu einem wunderbaren Chronisten der 1.Weltkriegszeit in der Schweiz. Hier ein erster Blick in seine Alben.
1914 bis 1918. Vier Jahre Krieg, vier Jahre Angst, Schrecken und Tod, nicht nur in den Schützengräben an der Front, sondern auch daheim im Vaterland. Neben zehn Millionen Soldaten verloren auch sieben Millionen Zivilisten ihr Leben infolge des 1. Weltkrieges.
100 Jahre sind seit Beginn des grossen Krieges nun vergangen. Ein guter Zeitpunkt, um zurückzuschauen und die vielen noch immer offenen Fragen aus der Distanz nochmals anzugehen.
Wer trägt die Schuld? Tatsächlich das aggressive Deutschland mit Österreich-Ungarn in seinem Gefolge? Oder liegt die Ursache vielmehr in einem kollektiven Versagen der entscheidenden Machthaber in Europa, die, «Schlafwandlern» gleich, in die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts schlitterten, wie es Christopher Clark in seiner viel beachteten Abhandlung darstellt?
Das ist die grosse Frage, mit der sich die Historiker, die Medien und die Öffentlichkeit zu Beginn dieses Gedenkjahres auseinandersetzten.
Nun kann man sich allen anderen Fragen zuwenden, die möglicherweise nicht ganz so gross, aber genauso interessant sind: Welche Auswirkungen hatte der Krieg auf das Leben der ganz normalen Menschen? Wer hatte welche Interessen? Wo verliefen die Brüche in der Gesellschaft, auch in einem Land wie der Schweiz, das in den Krieg nicht involviert war – und doch betroffen war.
Mit diesen Fragen setzt sich nun auch in der Region eine ganze Reihe von Ausstellungen auseinander.
Bei den Vorbereitungen auf die Ausstellung in der Universitätsbibliothek Basel erhielten wir von der TagesWoche die Gelegenheit, die entsprechenden Bestände genauer anzuschauen. Ganz besonders interessierten wir uns dabei für die Alben des Basler Hauptmanns Victor Haller, vier Bände, 30 auf 46 Zentimeter gross, die Seiten teils liebevoll verziert mit Kantonswappen und vollgeklebt mit Fotos, Dokumenten, Bekanntmachungen, Zeichnungen, Zeitungsartikeln und Karikaturen aus der Zeit von 1914 bis 1918.
Mit General Wille zum Diner
Den ersten Weltkrieg aus der Perspektive eines heute weitgehend unbekannten Baslers zu betrachten – ist das nicht etwas willkürlich? Doch, selbstverständlich. Und trotzdem ist Haller eine spannende Figur, gerade, weil er sich selbst so zurücknahm. In den vier Bänden gibt es nur eine einzige Foto von ihm, kaum grösser als eine Briefmarke. Zu seiner Person ist nur zu erfahren, dass er an der Engelgasse 93 wohnte, verheiratet war, eine Weinhandlung führte (Haller und Söhne) und zwei Pferde besass.
Den Rest muss man sich zusammenreimen:
- Dass Haller ein respektierter Vertreter des Basler Bürgertums war. Sonst hätte er in der damaligen Armee, in der Namen mehr zählten als das Talent, nicht Karriere machen können. Und sonst wäre er im April 1915 auch kaum beim Empfang von General Wille in Basel inklusive Diner im Stadt-Casino mit dabei gewesen.
- Dass Haller das Leben in der feinen Gesellschaft genoss. Sonst hätte er kaum die Menü- und Getränkekarten aus den guten Restaurants mitgehen lassen, damit er sie nachher in seine Alben einkleben konnte. (Im Casino zum Beispiel gab es: Hors d’oeuvres Russe, gefolgt von Saumon du Rhin Grillé an einer Sauce Ravigote und Tournedos Casino; schliesslich: eine Bombe Helvétique und, als der Appetit kaum mehr sehr gross war, noch was Gesundes – eine Früchteschale).
- Dass Haller trotzdem nie abhob und immer ein feines Gespür für die Stimmungen im Volk behielt (sonst hätte er kaum Berichte über den stupiden Drill in der Armee aufbehalten und sich auch kaum für die Nahrungsmittelknappheit interessiert, unter der vor allem die Arbeiter litten)
Diese Eigenschaften und diese Möglichkeiten machen Haller zu einem wunderbaren Chronisten, der offen ist für alles Wichtige, was um ihn herum geschieht und es darum auch wie selbstverständlich schafft, inmitten von Zeitungsberichten über neue Rationierungsmassnahmen eine Karte aus einem vornehmen Restaurant mit dem teuren Champagner einzukleben. Für Haller war das offenbar kein störender Widerspruch. Er wertete nicht, sammelte dafür umso eifriger. Das macht seine Alben zu einem Schatz, den wir unseren Leserinnen und Lesern in unserer Wochenausgabe vom 20. Juni und in den kommenden Tagen im Rahmen einer Online-Serie präsentieren möchten.
Ein Band Hallers sowie eine ganze Reihe weiterer interessanter Zeugnisse aus der 1.Weltkrieg-Zeit ist zudem in der Ausstellung «Der Erste Weltkrieg in der Region Basel» in der Universitätsbibliothek Basel zu sehen. Vernissage ist am Freitag, 20. Juni, 18.15 Uhr.