Wie der Weltkrieg die Region Basel teilte

Die Grenzen waren offen, die Ausländer willkommen, ja, so lief das früher. Dann begann der 1. Weltkrieg – und die Kontrollen begannen. Die Folgen spüren wir bis heute.

Zoll Otterbach (Bild: UB Basel)

Die Grenzen waren offen, die Ausländer willkommen, ja, so lief das früher. Dann begann der 1. Weltkrieg – und die Kontrollen begannen. Die Folgen spüren wir bis heute.

Basel, Elsass und Baden als eine gemeinsame Region, über die Landesgrenze hinweg. Davon wird in der Politik heutzutage gerne geredet. Irgendwie verstehen sich die Entscheidunsträger aus den verschiedenen Ländern dann aber doch nicht so ganz, wenn es wieder mal darauf ankäme.

Bis zum 1. Weltkrieg war das ganz anders. Damals wurde über die eine gemeinsame Region Basel nicht geredet; man lebte sie einfach. Personenkontrollen gab es an der Grenze keine, wer wollte, kam auch ohne Papiere in die Schweiz. Und es wollten einige. Um 1900 gab es in Basel 38 Prozent Ausländer (heute 35), Deutsche vor allem. Diskussionen gab es wegen des hohen Anteils schon damals. Im Gegensatz zu heute wurden aber keine härteren Zulassungsbedingungen und schärferen Grenzkontrollen gefordert, sondern eine Erleichterung der Einbürgerung und damit der «Assimilation», wie man es damals nannte. Die Einwanderer sollten möglichst bald die gleichen Rechte und Pflichten (ein wichtiger Punkt war der Militärdienst) erhalten wie der Rest der Bevölkerung, so die Überlegung. Die Basler Regierung reagierte um 1900 mit der Vorlage eines entsprechenden Bürgerrechtsgesetzes.

Grenzenloses Wirtschaften

Zu diesem Zeitpunkt war es auch noch selbstverständlich, dass Basler Unternehmer ennet der Grenze ihre Fabrik oder zumindest einen Zweitsitz hatten, dass das Tram nach St.Louis (damals noch deutsch, darum Sankt Ludwig) und Hüningen fuhr und die Gemüsehändler aus dem Sundgau mit dem Trämli zum Basler Markt fuhren.

Bei Kriegsbeginn gingen die Grenzen auch in der Region Basel zu. Wer rüber wollte, musste nun Papiere vorweisen können und sich kontrollieren lassen. Die Ausfuhr von Lebensmitteln und anderen Produkten (wie zum Beispiel Zeitungen) wurden verboten, die Einfuhr überlebenswichtiger Grundnahrungsmittel und Rohstoffe argwöhnisch beobachtet und entsprechend überwacht – einerseits von Deutschland und andererseits von den Entente-Mächten.

Spezielle Führung durch 1.Weltkriegs-Ausstellung für TagesWoche-Leserinnen und Leser. Unsere Serie über Basel und die Schweiz in der Zeit des 1. Weltkrieges basiert auf den vier Alben des Basler Hauptmanns Victor Haller. Seine Bücher werden in der Universitätsbibliothek aufbewahrt und sind dort nun Teil der sehenswerten Ausstellung «Der Erste Weltkrieg in der Region Basel». Unsere Leserinnen und Leser erhalten die exklusive Gelegenheit einer rund einstündigen Führung: Historiker David Tréfás wird am Donnerstag, 3. Juli, und am Donnerstag, 28. August, die interessantesten Ausstellungsstücke ab 17.30 Uhr präsentieren und erklären. Danach gibt es einen Apéro. Ihre Anmeldung können Sie an community@tageswoche.ch oder an TagesWoche, Gerbergasse 30, 4001 Basel schicken (bitte Personenanzahl angeben).

Grenzen gehen zu

Möglichst konsequent ging auch die neu formierte Fremdenpolizei vor. «Würde sich die Zentralstelle der Fremdenpolizei Fremden gegenüber entgegenkommend zeigen, so (…) hätte das eine Überschwemmung der Schweiz mit Tausenden solcher unglücklicher Flüchtlinge zur Folge», hiess es dazu im Neutralitätsbericht des Bundesrates von 1920. Mit der genau gleichen Argumentation hätte sich auch die Schweizer Flüchtlingspolitik im 2. Weltkrieg rechtfertigen lassen, die unzähligen Juden das Leben kostete. Und auch die entscheidende Figur war zu diesem Zeitpunkt noch immer die gleiche wie 1919 bei der formellen Gründung der Fremdenpolizei: Heinrich Rothmund, der erste Leiter der entsprechenden Zentralstelle, der 1929 Leiter der neuen Polizeiabteilung wurde und in dieser Funktion 1942 die Grenzsperre für «nichtpolitische Flüchtlinge» erliess, aus Angst davor, dass die Schweiz als «Insel in Europa» nicht imstande wäre, hunderttausende von verfolgten Juden aufzunehmen.

Es ist nicht die einzige Kontinuität in der Geschichte. Eine weniger dramatische, aber anhaltende ist die Zwei- beziehungsweise Dreiteilung der Region Basel, die sich bis heute – trotz des ganzen Geredes in der Politik – nicht wieder rückgängig machen liess.

Die Grenze in den Köpfen

Unserem Chronisten Hauptmann Victor Haller schien 1914 offenbar gleich klar zu sein, dass da an der Grenze etwas ganz Besonderes vor sich geht. Er klebte in sein Album jedenfalls eine ganze Reihe von Fotos der Grenzübergänge rund um Basel. Grenzübergang Lysbüchel, Grenzübergang Otterbach, Grenzügergang Riehen, Grenzübergang Weilstrasse, Grenzübergang Hegenheimerstrasse, Grenzübergang Grenzacherstrasse – sie alle waren plötzlich zu. Und sie alle sind verewigt bei Haller. 

Die abgebildeten Kontrollstellen wirken noch recht improvisiert mit ihren rasch zusammengezimmerten Bretterbuden und den teilweise noch handgreschriebenen Informationstafeln. Es ist erst der Anfang eines Kontrollsystems, das die Bürokratie in der Schweiz und im benachbarten Ausland in der Folge noch soweit perfektionieren sollte, bis die Grenze auch in den Köpfen der Menschen drin war. Dort, wo sie bis heute nicht mehr verschwunden ist.

Literatur zum Thema: Georg Kreis, Insel der unsicheren Geborgenheit, die Schweiz in den Kriegsjahren 1914-1918, Zürich, 2013. Robert Labhardt, Krieg und Krise, Basel 1914 -1918, Basel, 2014.

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