Wie die SVP mit der Konkordanz spielt

Während die Schweiz zunächst ihr Parlament wählt, schielt die stärkste Partei bereits auf die Bundesratswahlen. Mit der Parole «Wiederherstellung der arithmetischen Konkordanz» erhebt sie dort Anspruch auf etwas, was sie eigenhändig zerstört hat.

Bundesrat Ueli Maurer hatte als einziger der Bisherigen den Wunsch geäussert, sein Departement zu wechseln.

(Bild: STEFFEN SCHMIDT)

Während die Schweiz zunächst ihr Parlament wählt, schielt die stärkste Partei bereits auf die Bundesratswahlen. Mit der Parole «Wiederherstellung der arithmetischen Konkordanz» erhebt sie dort Anspruch auf etwas, was sie eigenhändig zerstört hat.

Die Bundesratswahlen sind erst im Dezember, hängen aber zum Teil vom Ausgang der Parlamentswahlen ab. Sie werden gerade deswegen schon jetzt immer wieder ins Spiel gebracht. Es geht darum, über die direkten Volkswahlen starke Fraktionen zu bekommen, damit diese dann in der indirekten Bundesratswahl ihr Gewicht ausspielen können.

Mit der vorgezogenen Thematisierung der Bundesratswahlen soll aber auch die parteipolitische Zusammensetzung der Landesregierung diskutiert und sollen erste Nominationen getestet werden. Die SVP als stärkste Fraktion erhebt allein aufgrund ihres numerischen Gewichts einen Anspruch auf eine Zweiervertretung im Bundesrat. Sie beruft sich dabei auf die 1959 etablierte Zauberformel, die im Prinzip den drei stärksten Parteien je zwei Sitze und der nächst kleineren Partei einen Sitz zukommen lässt.

Was die SVP dabei aber übersieht: Die Bundesversammlung übernimmt die personellen Parteivorschläge nicht automatisch. Und wiederholt hat sie – im Dezember 1983 bei der Wahl von Otto Stich für die SP besonders schmerzhaft – zwar den Anspruch grundsätzlich anerkannt, sich aber für eine andere Person entschieden.

Es war die Blocher-SVP, welche die Zauberformel kaputt machte.

Grundsätzliche Anerkennung, aber echte Wahl im Einzelfall: das wiederholte sich im Dezember 2007 mit der Wahl der Bündner SVP-Finanzdirektorin Eveline Widmer-Schlumpf. Es war die Blocher-SVP, welche die Zauberformel kaputt machte. Indem sie der gewählten SVP-Frau die Parteizugehörigkeit entzog. SVP-Parteipräsident Toni Brunner erklärt noch heute, dass diese Magistratin, die ihren «Job» gut und wesentlich besser macht als der derzeitige SVP-Bundesrat, das «grösste Problem der Eidgenossenschaft» sei.

Die über eine starke Propagandamaschine verfügende SVP wollte den Bundesrat vom Volk wählen lassen, kassierte aber 2013 mit ihrer Initiative von diesem Volk mit über 76 Prozent eine deutliche Abfuhr. Trotzdem wollte sie jetzt etwas Volkswind erzeugen, indem sie mit kantonalen Parteiplebisziten Primärwahlen für einen «zweiten» Bundesratssitz durchführte. Auf diese Weise wurde sogar der Baselbieter Thomas de Courten für ein paar Tage Anwärter auf das höchste Regierungsamt.

Dann aber ging das Medienspiel weiter, und es wurde der mit seiner Haltung unwählbare Fraktionschef Adrian Amstutz (Übername: «Kettensäge») vorgeschlagen. In einer weiteren Runde liess die Partei mit gezielter Indiskretion und nicht untypischer Doppelbödigkeit durchsickern (wie immer zuhanden der Sonntagspresse, am 23. August), dass man sich für den Bündner Heinz Brand als zusätzlichen Bundesrat entschieden habe, dies aber erst nach den Wahlen vom 18. Oktober wirklich bekannt geben werde. Heinz Brand? Er hat sich mit einer harten Migrationspolitik einen Namen gemacht, ist SVP-Kantonalpräsident, in seiner Heimat aber im Mai 2014 als Regierungsratskandidat gescheitert.


Rein numerisch soll jetzt etwas wiederhergestellt werden, was die SVP inhaltlich selber mutwillig zerstört hat.

Die SVP setzt sich bewusst darüber hinweg, dass die Zauberformel das Bestehen einer Grundübereinstimmung in wesentlichen Staatsfragen zur Voraussetzung hatte – und noch immer haben sollte. Ein anderes Wort für diese Grundübereinstimmung ist die Konkordanz.

Konkordanz bezeichnet wörtlich übersetzt Übereinstimmung der Herzen. So war es schon immer gemeint. Bis die SVP den Begriff verdrehte und nun mit der Parole «Wiederherstellung der arithmetischen Konkordanz» eine Vielparteienregierung nach Massgabe von Fraktionsstärken fordert. Rein numerisch soll jetzt etwas wiederhergestellt werden, was die SVP inhaltlich selber mutwillig zerstört hat.

In den 1930er-Jahren war die SP weder mit zwei Sitzen noch mit einem Sitz im Bundesrat vertreten, obwohl sie die grösste Fraktion stellte! Man lehnte eine rein arithmetische Konkordanz ab, weil diese Partei in zentralen Punkten (Einstehen für eine Diktatur des Proletariats und Ablehnung der Landesverteidigung) von den anderen Parteien abwich. Analoges wäre bei einer Partei, die ebenfalls in zentralen Punkten abweicht (den Bilateralen und der EMRK), ebenfalls möglich – sofern den übrigen Parteien diese Abweichungen wichtig genug sind.

Für die FDP wäre die Versuchung gross, zusammen mit der SVP je zwei Sitze anzustreben und so eine «bürgerliche» Vierermehrheit in der Landesregierung zu erlangen. Es ist dem FDP-Parteipräsidenten Philipp Müller hoch anzurechnen, dass er nach neuesten Meldungen dieser Versuchung widerstehen will und den zwischen FDP und SVP bestehenden Differenzen in der Aussenpolitik und in der Frage der Menschenrechtscharta entscheidende Bedeutung beimisst. Die Ablehnung der von der SVP angestrebten Listenverbindungen ging bereits in diese Richtung.

Das Schlimmste, was der SVP widerfahren könnte, wäre ein wirklich konkordanter Vertreter im Bundesrat.

Wie dürftig die Konkordanz geworden ist, zeigte sich, als der SVP-Parteipräsident in Anwesenheit von Bundesrat Ueli Maurer (zeitweise mit Plüsch-Wachhund Willy im Arm) an der Delegiertenversammlung von Juli 2015 in der Kernser Turnhalle Bundesrätin Simonetta Sommaruga aufs Übelste verunglimpfte. Zugleich forderte der Präsident immerhin einer Bundesratspartei dazu auf, neue Asylzentren «konsequent» und «systematisch» zu bekämpfen; es brauche «aktiven Widerstand». Was damit gemeint ist, blieb typischerweise offen. Der «aktive Widerstand» dürfte, wenn man von der Tonlage ausgeht, auch die geltende Rechtsordnung betreffen, und gänzlich Unbesonnene könnten darin sogar eine Ermunterung zu konkreten Aktionen gegen bestehende Asylheime sehen. Zu Recht wurde das im Tages-Anzeiger als Brandstiftung bezeichnet.

Die SVP wird ihre markant unkonkordante Haltung nicht aufgeben. Diese macht ihr Wesen und ihre Stärke aus. Unklar ist, mit welchem Zusatzkandidaten sie eine Zweiervertretung erringen will. Beides ist möglich: Dass sie dies mit einem inakzeptablen Kandidaten bewusst erfolglos versucht, um dann als Opfer ihre Gefolgschaft weiter zu vergrössern. Oder dass ihr harter Kandidat akzeptiert wird und die Partei, wie zu Christoph Blochers Amtszeit von 2003–2007, von innen her destruktive Agitation betreibt.

Das Schlimmste, was der SVP widerfahren könnte, wäre ein wirklich konkordanter Vertreter im Bundesrat. Dieser würde von ihr, wie einst im Falle von Samuel Schmid, als bloss «halber Bundesrat» schlechtgeredet.

Im Moment hat die SVP einen zwar ganz im Stil der SVP agierenden, in der eigentlichen Leistung aber tatsächlich nur halben Bundesrat. Ueli Maurer hat die Gripen-Abstimmung vermasselt und kommt mit der Armeereform nicht voran – obwohl er vollmundig nichts weniger als die «beste Armee der Welt» haben will und zugleich die Loyalität eines Teils seiner Wehrmänner anzweifelt, wenn es sich um Secondo-Soldaten handelt.

Das derzeitige Magistratenrating zeigt, dass der Verteidigungsminister den Plüschhund zu seinem eigenen Schutz sehr nötig hat.

Verständlich ist, dass der Basler FDP-Nationalrat Daniel Stolz öffentlich grösste Mühe bekundet, Ueli Maurer seine Stimme zu geben. Stolz würde es begrüssen, wenn die SVP mit einem frischen Doppelvorschlag antreten würde, ohne Maurer. Das derzeitige Magistratenrating – Maurer weit hinter Widmer-Schlumpf – zeigt, dass der Verteidigungsminister den Plüschhund zu seinem eigenen Schutz sehr nötig hat. Aber er gilt als gesetzt und darum als gewählt.

Wie gesagt: Einiges hängt vom Ausgang der Parlamentswahlen vom 18. Oktober ab. Dennoch ist es durchaus möglich, dass alles beim Alten bleibt – sofern Eveline Widmer-Schlumpf sich nicht selbst aus dem Spiel nimmt. Dieser Entscheid hängt von der vorangehenden Verständigung unter den Fraktionen und Untergruppierungen der Bundesversammlung ab. Und diese wiederum, wenn auch in geringem Mass, von den Diskussionen und Meinungsäusserungen, die jetzt landesweit geführt werden. 

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