Es sollte ein sachliches Gespräch zur Unternehmenssteuerreform III werden – und endete im Streit zwischen den Parteikollegen Eva Herzog und Beat Jans. Die Geschichte einer Entzweiung.
Am Ende des Gesprächs sass Beat Jans einfach nur noch da. Eine Stunde lang hatte er gekämpft: mit Argumenten, Zahlen, Emotionen. Gegen Eva Herzog kam er damit nicht an. Sie korrigierte jede Zahl, drehte seine Worte so, dass er selbst daran zu zweifeln begann.
Den Raum betraten die SP-Parteikollegen als Freunde. Das Gespräch endete allerdings im Streit – und sollte nicht publiziert werden. Die TagesWoche veröffentlicht das Gespräch deshalb nur als Video in ganzer Länge und gibt an dieser Stelle die wichtigsten Aussagen und einige exemplarische Passagen wieder.
Die Ausgangslage für ein Doppelinterview war vielversprechend: Herzog und Jans – die beiden Sozialdemokraten sind schweizweit die vielleicht prominentesten Wortführer zur Unternehmenssteuerreform III. Während Jans in Medien von NZZ bis «Telebasel» die Reform bekämpft, tritt Herzog an der Seite von SVP-Bundesrat Ueli Maurer auf, um dieselbe Reform zu promoten.
Wut entlädt sich
Parteipräsident Christian Levrat rügte die SP-Finanzdirektorin deshalb bereits. Jetzt will Jans ihr erklären, dass es eine Alternative zur Reform gibt – etwas, das Herzog der SP stets absprach.
Wir treffen uns also zum Gespräch im Finanzdepartement. Nicht nur deshalb ist es für Herzog ein Heimspiel. Als Vize-Vorsitzende der Kantonalen Finanzdirektoren-Konferenz wirkte Herzog von Anfang an bei der Ausarbeitung mit. Sie kennt die Reform aus dem Effeff.
Die Finanzdirektorin hält beim Gespräch einen Zettel mit Kennzahlen bereit, an ihrer Seite sitzt ihr neuer Generalsekretär Sven Michal, der einspringt, wenn Herzog nachlässt.
SP agiert «verantwortungslos»
Jans hat keine Notizen dabei. Er lässt sich beim Gespräch von seiner Überzeugung leiten. Die Reform kennt der Vizepräsident der SP Schweiz aus dem Parlamentsalltag nicht minder gut wie Herzog. Sie ist eines seiner Kerngeschäfte. Er hat Antrag um Antrag eingereicht – erfolglos. Die SP bekämpfte die Reform mit allen Mitteln im Parlament. Weil das nicht klappte, hat die Partei das Referendum ergriffen, über das am 12. Februar abgestimmt wird.
Herzog spricht deshalb von «ihr», wenn sie die SP meint – so als ob sie selbst nicht Teil der Partei sei. Die Hinhaltetaktik der SP sei «verantwortungslos», sagt sie zum Schluss des Gesprächs.
Man spürt: Bei Herzog hat sich einige Wut angestaut, die sich nun an Jans entlädt. Bei der ersten Frage des Gesprächs scheint noch alles intakt, die beiden sind sich wohlgesinnt.
Herr Jans, nervt es Sie, dass Sie in dieser Sache gegen Ihre Parteikollegen antreten müssen?
Jans: Es ist eine Herausforderung, weil es den Widerstand schwieriger macht. Aber es ändert nichts an meinem Herzblut gegen die Reform.
Wie sieht es bei Ihnen aus, Frau Herzog?
Herzog: Nerven ist das falsche Wort. Ich kämpfe einfach lieber mit der SP als gegen die SP. Ich kämpfe auch nicht gerne gegen Beat Jans, zumal wir vor zwölf Jahren einen sehr erfolgreichen Wahlkampf zusammen geführt haben. Wir haben ein freundschaftliches Verhältnis – und dieses behalten wir auch trotz dieser Auseinandersetzung.
Die Hauptkritik von Herzog am SP-Referendum lautet: Die Reform ist quasi alternativlos, weil sie Probleme löst, die in den nächsten Jahren auf die Schweiz zukommen und die Arbeitsplätze und Steuererträge gefährden. In Basel-Stadt konkret 32’000 Vollzeitstellen und annähernd 500 Millionen Steuererträge pro Jahr.
Für Jans stehen hingegen die Löcher im Vordergrund, die die Reform zulasten von Bund, Kantonen und Gemeinden aufreisst. In der Folge würde dort gekürzt, wo das Geld am dringendsten gebraucht werde: bei Prämienverbilligungen, Ergänzungsleistungen und bei der Bildung.
In einem Punkt sind sich die beiden einig: Es braucht eine Reform, weil die Steuerprivilegien auf Druck der OECD bis spätestens 2019 verschwinden. Dann macht die internationale Gemeinschaft ernst. Falls die Schweiz ihre Firmen weiterhin privilegiert, kommt sie vielleicht auf eine schwarze Liste.
Wahrscheinlicher ist jedoch, dass die betroffenen Firmen von sich aus auf ihre Privilegien verzichten. Ohne die Unternehmenssteuerreform müssten die Kantone ihre Firmen dann regulär besteuern. In Basel-Stadt gibt es zwar eine Zwischenlösung, die die bisher privilegierten Firmen entlasten würde. Der Kanton müsste so allerdings deutlich mehr in den nationalen Finanzausgleich zahlen.
Jans: Dass die Reform nötig ist, haben wir nie bestritten. Wir bieten Hand für eine Lösung. Wir wollen, dass die Unternehmen, die man bis heute in übler Art und Weise privilegiert hat, fair besteuert. Das hätte man aber viel eleganter lösen können. Wenn das Referendum angenommen wird, wird eine Lösung kommen, die Bund und Gemeinden weniger kostet – und die Statusgesellschaften werden trotzdem bei uns bleiben.
Herzog: Und was heisst das konkret? Das höre ich immer wieder. Aber jetzt haben wir eine Vorlage mit ganz konkreten Vorschlägen. Ihr sagt immer, nachher würde eine bessere Vorlage kommen. Aber wie sieht diese konkret aus? Das müsst ihr schon langsam sagen.
Jans: Das haben wir ja schon hundert Mal gesagt, das liegt ja auf der Hand.
Herzog: Bis jetzt ging das an mir vorbei.
Zinsbereinigte Gewinnsteuer – auch bekannt als Notional Interest Deduction (NID): Damit können Unternehmen einen fiktiven Zins auf ihrem Eigenkapital von den Steuern abziehen.
Inputförderung: Diese erlaubt es Unternehmen, ihre Investitionen für Forschung und Entwicklung von den Steuern abzuziehen. Und zwar in grösserer Höhe, als sie tatsächlich dafür ausgaben. Maximal 150 Prozent der Kosten.
Als Jans schliesslich bei seinem Plan B ankommt, ist sein Elan bereits aufgebraucht. Nur zögernd erklärt er seine Idee: Wenn die Stimmbevölkerung am 12. Februar Nein sagt zur Reform, werde das Parlament noch 2017 eine neue Vorlage bringen.
Darin sollen die zinsbereinigte Gewinnsteuer und Inputförderung gestrichen, die Patentbox hingegen leicht abgeändert werden.
Dazu will Jans eine Dividendenbesteuerung von möglichst 100 Prozent und eine Entlastungsbegrenzung, die höher als 20 Prozent liegt. So würden die Steuerausfälle deutlich tiefer ausfallen, so Jans.
Der Bundesrat schätzt die Ausfälle bei der jetzigen Fassung der USR III beim Bund auf mindestens 1,1 Milliarden Franken. Dazu kommen Ausfälle bei Kantonen und Gemeinden, die noch nicht absehbar sind.
Für Herzog ist Jans’ Plan nicht realistisch. Eine neue Vorlage würde die Steuerausfälle beim Bund vielleicht um 500 Millionen Franken verringern, meint Herzog. Mehr sei unrealistisch. Das Risiko, eine neue Vorlage auszuarbeiten, ist für die Finanzdirektorin zu gross, weil bis dahin Unsicherheit entstehe. Es brauche die Reform jetzt, und nicht in ein, zwei Jahren, so Herzog.
Herzog: Zwei Jahre Unsicherheit bei einer Ablehnung – wie kannst du mir garantieren, dass wir in einem Jahr die Reform wieder haben?
Jans: Die Haltung, dass ich hier Ja sagen muss, weil die in Bern sowieso machen, was sie wollen, erinnert mich an die Trump-Wähler, die das Gefühl hatten, um etwas zu ändern, müsse man Trump wählen. Ich muss doch diese Riesenkröte nicht schlucken, solange es bessere Lösungen gibt.
Herzog: Weisst du, an was es mich erinnert? An die Sanders-Befürworter, die nachher nicht Hillary gewählt haben und jetzt Trump bekamen. Deine Punkte bringst du nicht durch.
Jans: Warum weisst du das jetzt schon? Wenn ich nicht daran glauben würde, dass ein Referendum etwas bringt, dann müsste ich es nie mehr machen. Nie mehr. Dann müsste ich auch nicht mehr nach Bern gehen. Dann könnten wir die Politik von vornherein den Bürgerlichen überlassen.
Es ist ein Höhepunkt des Gesprächs, der den Kern des Streits offenbart: Jans will sich nicht mit der überladenen Reform zufrieden geben. Er geht aufs Ganze. Herzog plädiert hingegen für einen Kompromiss. Denn wer zu viel riskiert, erhält am Ende einen Trump.
Man könnte sagen: Konsenspolitik versus Klassenkampf. Auf der einen Seite steht der Erhalt von Arbeitsplätzen, auf der anderen der Kampf gegen die Übermacht der Konzerne.
Interview droht zu scheitern
Das Gespräch zwischen dem Nationalrat und der Finanzdirektorin hat deshalb Konfliktpotenzial. Nach drei einleitenden Fragen streiten sich die Kontrahenten eine Stunde lang. Wahrscheinlich hätten sie noch drei Stunden länger diskutiert.
Nach dem Gespräch geht der Streit aber erst richtig los. Als wir Herzog und Jans die schriftliche Version des Interviews zum Gegenlesen zuschicken, droht die Publikation zu scheitern.
Eva Herzog und Beat Jans sind entzweit – politisch und kollegial. (Bild: Alexander Preobrajenski)
Die Situation eskaliert, weil Herzog das Interview nachträglich zurückziehen will. Mit der Begründung: Jans habe das Gespräch initiiert, es sei deshalb von vornherein gesteuert gewesen. Ausserdem hätten die Journalisten zentrale Elemente der Reform ausgeklammert.
Jans weist den Vorwurf der Manipulation von sich. Er schreibt, es sei richtig, dass er einen Input zur Unternehmenssteuerreform gab. Allerdings war es die TagesWoche, die die Idee zu einem Doppelinterview hatte.
Dass eine interviewte Person ihr Gespräch komplett zurückziehen will, geschieht fast nie. Üblich ist, dass Interviewpartner ihre Aussagen in schriftlicher Form überprüfen und offensichtliche Fehler oder Missverständnisse korrigieren können. Die TagesWoche will das schriftliche Interview deshalb publizieren – mit wenigen Änderungen und einer eingefügten Frage, die laut Herzog fehlte.
«Noch nie so etwas erlebt»
Es folgen weitere E-Mails und Telefonate. Die Vorwürfe der Vorsteherin des Basler Finanzdepartements werden schärfer. Jans verdrehe Fakten, die TagesWoche würde diese nicht korrigieren. Am Ende gibt sie grünes Licht für die Publikation einer Version mit inhaltlichen Ergänzungen.
Für Jans wiederum ist die neue Version nicht akzeptabel. Er sagt, so etwas habe er bei einem Doppelinterview noch nie erlebt, und macht sich daran, die neuen Passagen von Herzog richtigzustellen. Das wiederum kommt bei Herzog nicht gut an – ein Streitgespräch mit Jans sei unmöglich. Die TagesWoche kommt zum Schluss, dass eine Publikation unter diesen Umständen keinen Sinn macht.
Da sich die Interviewpartner nicht auf eine Version einigen können, stellt die TagesWoche das komplette Interview als Video online. So können sich die Nutzer selbst ein Bild vom Streitgespräch machen.
Der Streit zwischen Herzog und Jans wird wohl weitergehen. Am 14. Dezember werden sie vor den Basler SP-Delegierten ihre Positionen erklären. Weiterer Zündstoff ist programmiert. Die beiden sind entzweit, politisch und kollegial – zumindest bis zum Abstimmungstermin am 12. Februar.