Wie Erdogan vor aller Augen kritische Journalisten zum Schweigen bringt

Verfolgt, verprügelt, verhaftet – kritische Journalisten geraten in der Türkei unter immer grösseren Druck. Unnachsichtig verfolgt Präsident Tayyip Erdogan missliebige Journalisten. Kritik aus Europa lässt ihn kalt. Erdogan weiss: Die EU braucht ihn in der Flüchtlingskrise.

FILE - In this Feb. 4, 2016 file picture German Chancellor Angela Merkel, right, listens as Turkey's Prime Minister Recep Tayyip Erdogan, left, speaks during a joint press conference after a meeting at the chancellery in Berlin. The German government on Friday April 15, 2016 granted a Turkish request to allow the possible prosecution of German TV comedian Jan Boehmermann who wrote a crude poem about Turkey�s president, an awkward decision for Chancellor Angela Merkel as she seeks Ankara�s help in reducing Europe�s migrant influx. (AP Photo/Axel Schmidt,file)

(Bild: AP Photo/Axel Schmidt)

Verfolgt, verprügelt, verhaftet – kritische Journalisten geraten in der Türkei unter immer grösseren Druck. Unnachsichtig verfolgt Präsident Tayyip Erdogan missliebige Journalisten. Kritik aus Europa lässt ihn kalt. Erdogan weiss: Die EU braucht ihn in der Flüchtlingskrise.

Wenn an diesem Dienstag der Internationale Tag der Pressefreiheit begangen wird, gibt es in der Türkei keinen Grund zum Feiern. Erst am Samstag wurde ein weiterer prominenter Journalist festgenommen, der Chefredakteur des regierungskritischen Senders IMC-TV.

Es steht schlecht um die Meinungsfreiheit im Land des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Unnachsichtig verfolgt er missliebige Journalisten. Kritik aus Europa lässt Erdogan kalt. Er weiss: Die EU braucht ihn in der Flüchtlingskrise.

Weit unten auf internationaler Rangliste

Die Türkei habe die freieste Presse der Welt, brüstet sich Erdogan. Can Dündar macht eine andere Erfahrung. Seit Ende März steht der Chefredakteur der oppositionsnahen Zeitung «Cumhuriyet» gemeinsam mit dem Ankara-Bürochef des Blattes, Erdem Gül, in Istanbul vor Gericht. Sie hatten vergangenes Jahr Dokumente publiziert, die Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes an islamistische Extremisten in Syrien zu belegen scheinen. Auf Anzeige Erdogans wurden Dündar und Gül der Spionage, des Umsturzversuchs und der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung angeklagt. Ihnen droht lebenslange Haft.

Erdogan scheint seine Vorstellungen von Pressefreiheit ins Ausland exportieren zu wollen.

Im jüngsten Jahresbericht der Organisation Reporter ohne Grenzen (RoG) liegt die Türkei in der Rangliste der Pressefreiheit unter 180 Staaten auf Platz 151. Gegenüber 2015 ist sie damit weitere zwei Plätze zurückgefallen und rangiert sogar hinter Russland, Äthiopien und Venezuela. Auch der US-Think-Tank Freedom House attestierte der Türkei eine «alarmierende Verschlechterung» bei der Meinungs- und Pressefreiheit.

» Wie steht es um die Pressefreiheit in dieser Welt? Zur interaktiven Karte von Freedom House

Nicht nur einheimische Journalisten lässt Erdogan verfolgen. Zunehmend bekommen auch Ausländer den Zorn des türkischen Präsidenten zu spüren, wie der Fall Böhmermann zeigt. Erdogan scheint seine Vorstellungen von Pressefreiheit ins Ausland exportieren zu wollen. So wies das türkische Konsulat in Rotterdam dort lebende Türken an, Beleidigungen gegen Erdogan, etwa in sozialen Netzwerken, unverzüglich zu melden.

Vor zehn Tagen wurde die türkisch-niederländische Journalistin Ebru Umar während ihres Urlaubs in Kusadasi wegen angeblich beleidigender Äusserungen über Erdogan festgenommen. Sie ist inzwischen wieder auf freiem Fuss, darf die Türkei aber nicht verlassen.

Immer mehr «wie Nordkorea»

Mehreren ausländischen Journalisten verweigerte die Türkei jüngst die Einreise, darunter einem ARD-Korrespondenten. Nachdem bereits im vergangenen Jahr die niederländische Reporterin Frederike Geerdink aus der Türkei abgeschoben wurde, droht jetzt der finnischen Buchautorin Taina Niemelä das gleiche Schicksal. Die Türkei werde immer mehr «wie Nordkorea», klagt ihr Anwalt Mahmut Kacan. Der «Spiegel»-Korrespondent Hasnain Kazim musste im März das Land verlassen, nachdem die türkischen Behörden ihm eine Erneuerung seiner Akkreditierung verweigerten.

Kritische Journalisten müssen nicht nur um ihren Job und ihre Freiheit, sondern um ihr Leben fürchten.

Die Pressefreiheit in der Türkei sei «de facto vollständig aufgehoben», klagt Ismail Topcuoglu, Vorsitzender der Mediengewerkschaft Pak Medya Is. Noch nie in der jüngeren Geschichte des Landes habe die türkische Presse so unter Druck gestanden wie jetzt. Missliebige Medienunternehmen werden gleichgeschaltet, wie der Zeitungsverlag Feza Gazetecilik und die Koza Ipek-Mediengruppe, die unter staatliche Zwangsverwaltung gestellt und auf Regierungslinie gebracht wurden.

Kritische Journalisten müssen nicht nur um ihren Job und ihre Freiheit, sondern um ihr Leben fürchten. Der «Hürriyet»-Kolumnist Ahmet Hakan wurde vor seinem Haus von Anhängern der Regierungspartei krankenhausreif geschlagen.

Dündar und Gül warten unterdessen auf die Fortsetzung ihres Prozesses. Die nächste Verhandlung soll an diesem Freitag stattfinden – hinter verschlossenen Türen. Seit zum Prozessbeginn mehrere EU-Diplomaten als Beobachter erschienen waren, verhandelt das Gericht unter Ausschluss der Öffentlichkeit gegen die beiden Journalisten. Wie der Geheimprozess ausgehen wird, ist zu ahnen. Erdogan hat den Richtern eine harte Linie vorgegeben: Man dürfe den Journalisten ihre Veröffentlichung «nicht durchgehen lassen», sie müssten «einen hohen Preis bezahlen».

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