Ein Kroate wurde im Sinai von ISIS entführt und wird mit dem Tod bedroht. In Mazedonien kommt es derweil zu Razzien gegen mutmassliche Rückkehrer aus Syrien. Wie konnte der westliche Balkan zur Exportregion für Dschihadisten werden?
Kroatien steht unter Schock. Vergangenen Mittwoch als das zwanzigjährige Jubiläum der Operation Sturm mit einer Militärparade gefeiert wurde, erschien ein Video der Terrormiliz ISIS. Darin zu sehen ist der 31-Jährige Kroate Tomislav Salopek, der bei dem französischen Unternehmen Générale de Géophysique beschäftigt ist und bereits Ende Juni entführt wurde. Salopek wird gezwungen zu sagen, dass er innerhalb von 48 Stunden getötet wird, wenn der Ägyptische Staat nicht auf die Forderungen der Terrormiliz eingeht.
ISIS fordert die Freilassung von in Ägypten inhaftierten Frauen. Am Freitag um 17.35 Uhr lief das Ultimatum an die ägyptischen Behörden ab. Ob Tomislav Salopek noch am Leben ist, ist derzeit nicht bekannt. «Grundsätzlich sind die Chancen in solchen Situationen sehr begrenzt, denn die Behörden wollen mit Terroristen nicht verhandeln. Ich befürchte, dass die ägyptischen Behörden dazu nicht bereit sind», sagte der frühere kroatische Botschafter in Ägypten, Daniel Bucan, im kroatischen Fernsehen.
Entführt wurde Salopek mitten in Kairo, als er in seinem Firmenwagen unterwegs war. Bewaffnete Männer hielten den Wagen an und entführten den Kroaten. Ihr ursprüngliches Ziel war wahrscheinlich, eine französische Geisel zu nehmen. Die Terrorgruppe formierte sich 2011 nach dem Beginn des arabischen Frühlings in Ägypten als Ansar Bait al-Maqdis. Im November 2014 schworen die Mitglieder ihren Eid auf Abu-Bakr al Baghdadi und gelten seitdem als Abspaltung von ISIS auf der Halbinsel Sinai.
Razzien in Mazedonien
Zeitgleich zur Veröffentlichung des Videos wurden in Mazedonien mindestens neun Personen festgenommen, nach 27 weiteren wird derzeit gefahndet. Ein Grossteil davon wird allerdings in Syrien vermutet. Unter den Festgenommenen soll sich laut mazedonischen Medienberichten auch ein Imam aus der Hauptstadt Skopje befinden. Den Festgenommen wird vorgeworfen für die Terrormiliz ISIS gekämpft oder rekrutiert zu haben.
Razzien fanden in Tetovo, Gostivar und Kumaovo statt. In Skopje wurden in den Stadtteilen Cair und Gazi Baba Razzien durchgeführt. Letzteres hat in jüngster Zeit Schlagzeilen gemacht, weil dort Geflüchtete unter unmenschlichen Bedingungen inhaftiert werden, ohne rechtlichen Beistand oder die Möglichkeit einen Asylantrag zu stellen.
Kumanovo indes war vor kurzem in den Schlagzeilen, weil es zu einer mysteriösen «Anti-Terror-Aktion» kam, bei der 18 Menschen starben. Laut der mazedonischen Polizei soll diese Aktion sich allerdings gegen albanische Seperatisten und nicht gegen Dschihadisten gerichtet haben.
Anschlag auf Kosovarische Trinkwasserversorgung vereitelt
Im Kosovo materialisierte sich eine reale Gefahr durch ISIS vor drei Wochen. Fünf Personen wurden festgenommen, weil sie einen Terroranschlag auf die Wasserversorgung von Pristina und dem mehrheitlich von Serben und Roma bewohnten Ort Gracanica geplant haben sollen. Bei den Verdächtigen wurden Waffen und Propagandamaterial von ISIS gefunden. Zwei der Personen sollen sich in Syrien der Terrormiliz angeschlossen haben und daraufhin nach Mazedonien zurückgekehrt sein.
Die Trinkwasserversorgung in Pristina und Gracanica wurde kurzzeitig unterbrochen um Tests durchzuführen und nach kurzer Zeit wieder freigegeben. Laut Angaben des Innenministeriums in Pristina sollen etwa 300 Kosovaren auf der Seite der Terrormiliz ISIS kämpfen. Das Kosovo reagierte auf diese Entwicklung mit einem neuen Gesetz laut dem Rückkehrern bis zu 15 Jahre Haft drohen. Für das Rekrutieren sind bis zu 5 Jahre Haft vorgesehen.
Armin Krzalic, Direktor des bosnischen Zentrums für Sicherheitsstudien, vermutet, dass ein Teil des Problems bei den durchlässigen Grenzen auf dem westlichen Balkan liegt: «Wir brauchen eine bessere Zusammenarbeit der Behörden in den verschiedenen Ländern. Derzeit ist es ganz einfach in das Territorium eines anderen Staates zu gelangen, ohne offiziell die Grenze zu passieren.»
Armin Krzalic, Direktor des Centre for Securtiy Studies in Sarajevo (Bild: Ruben Neugebauer)
Die Islamistenenklave Gornja Maoca in Bosnien
Er nennt das Beispiel von Mevlid Jasarevic, welcher aus dem südserbischen Sandzak in die bosnische Salafistengemeinde von Gornja Maoca ging, bevor er im Oktober 2011 mit einer Kalaschnikow gegen die US-Botschaft in Sarajevo schoss. Von Gornja Maoca aus sind es nur wenige Kilometer nach Kroatien und somit in die EU. Dort kann man an vielen Stellen mit einem Boot über die Save fahren, ohne dabei von Beamten aufgehalten zu werden, und befindet sich dann auf Gebiet der Europäischen Union.
So ähnlich dürfte sich auch Nusret Imamovic aus Bosnien und Herzegowina vorgegangen sein, ohne dass die bosnischen Behörden etwas davon mitbekamen. 2014 tauchte der Führer der Salafistengemeinde von Gornja Maoca dann in einem Video in Syrien auf, wo er sich inzwischen der al-Nusra Front angeschlossen hatte. Imamovic steht weit oben auf der Terrorliste der USA und unterhielt beste Kontakte zu Gessinungsgenossen in Wien, von denen die Islamlistenenklave mutmasslich mitfinanziert wird.
Inzwischen sind die Bewohner aber eher Anhänger von ISIS. Darauf deuten Flaggen in Gornja Maoca hin. Dabei kommt es zu einem Katz- und Mausspiel mit der Polizei. Zweimal die Woche fährt eine Streife durch das Dorf. Der Zeitpunkt ist den Bewohnern bekannt. Dann werden die ISIS-Fahnen runtergenommen. Sobald die Polizei weg ist, werden sie wieder aufgehängt.
Unbekannte Anzahl Dschihadisten vom Balkan
Wieviele Personen aus Bosnien und Herzegowina sich ISIS angeschlossen haben, weiss niemand. Der bosnischen Anti-Terror Einheit der Sipa sind über 150 Personen namentlich bekannt. Der Terrorismusexperte Vlado Azinovic schätzt die Zahl auf rund 200. In Sicherheitskreisen, wo man sich der Schwächen der bosnischen Behörden sehr bewusst ist, wird hinter vorgehaltener Hand geschätzt, dass es deutlich mehr sein könnten.
In den umliegenden Gemeinden werden die Bewohner von Gornja Maoca misstrauisch beäugt. Islamistische Extremisten erfreuen sich bei der Bevölkerung im westlichen Balkan einer ähnlich grossen Beliebtheit wie in der Schweiz.
Doch wie konnte es dazu kommen, dass die säkularen Gesellschaften des westlichen Balkans zu Rekrutierungsstätten für ISIS wurden? In Bosnien und Herzegowina selbst wird diese Entwicklung meist mit dem Krieg der 1990er Jahre erklärt. Tausende Dschihadisten aus aller Welt reisten nach Bosnien und Herzegowina, um dort ihren heiligen Krieg zu führen. Aus Dankbarkeit wurden einigen nach dem Krieg bosnische Pässe gegeben, während andere heirateten und ebenfalls im Land blieben.
Einige Gläubige die diese Moschee in Kacanik, Kosovo besuchten, sind nun bei ISIS im Irak und Syrien (Bild: Ruben Neugebauer)
Aus diesem Personenkreis heraus entwickelten sich kleine salafistische Gemeinden. Diese liessen sich in verlassenen und verarmten Dörfern nieder, wo zuvor Serben vertrieben wurden. Konkret geht es um die Dörfer Gornja Maoca, Osve und Gornja Dubnica. In Bosanska Bojna bei Velika Kladusa soll eine weitere Stätte geplant sein. Dort hat der IS-Symphatisant Bilal Bosnic mehrere Häuser gekauft. Recherchen des bosnischen Wochenmagazins BH-Dani hingegen deuten darauf hin, dass der Ort noch nicht zu einer Islamistenhochburg geworden ist.
Während des Kriegs kamen also Dschihadisten aus aller Welt und verbreiteten ihre Ideologie aus Bosnien und Herzegowina heraus? So plausibel diese Erklärung zunächst wirken mag, sie funktioniert auf den westlichen Balkan übertragen nicht. Die kosovarische UCK verzichtete im Krieg weitestgehend auf die Unterstützung von ausländischen Dschihadisten – und doch hat das Kosovo ein mindestens ebenso grosses Problem mit Personen die sich ISIS anschliessen.
Man muss wohl letztlich dieselben Erklärungsansätze wie in den Ländern Westeuropas suchen. Armin Krzalic sagt: «Die meisten die nach Syrien und in den Irak gehen, kommen nicht aus traditionell islamischen Familien. Zudem ist eine überproportional grosse Anzahl von Konvertiten darunter.»
Auch wenn die Zahlen mit Vorsicht zu geniessen sind, scheint es als würden aus den Staaten des westlichen Balkans gemessen an der Gesamtbevölkerung überdurchschnittlich viele Personen von den Rattenfängern der Terrormiliz rekrutiert werden. Wenn man die Gesamtzahl betrachtet, sind es allerdings immer noch deutlich weniger als aus den Staaten Westeuropas. Vor allem Belgien und Dänemark exportieren eine hohe Zahl an Dschihadisten. Auch Frankreich gehört zu den wichtigsten Exportländern von Rekruten für die Terrormiliz ISIS.