Für Friedensnobelpreisträger José Ramos-Horta ist der Wille zum Dialog der Schlüssel für eine Konfliktlösung. Nötig sind nach seinen Worten weiter die Bereitschaft zu Kompromissen und oft auch Vermittler. Im Interview spricht er über die mögliche Rolle der Schweiz in der Ukraine, Fehler in Ägypten und die Rolle der USA.
Herr Ramos-Horta, wie können bewaffnete Konflikte vermieden und Kriege beendet werden?
José Ramos-Horta: Mein grösster Wunsch wäre eine aktive Konfliktprävention, denn die ist leichter, als einen Krieg zu beenden. Leider gibt es aber nur wenig Aufmerksamkeit und Unterstützung für die Prävention. Im Uno-System befasst sich die Politische Abteilung damit, sie verfügt jedoch nicht über einen Zehntel des Budgets, das der Abteilung Friedenserhaltung zur Verfügung steht, die mit ihren Blauhelm-Soldaten bei Kriegen zuständig ist. Auch die internationalen Medien berichten kaum über politische, ethnische oder religiöse Spannungen und die Prävention von bewaffneten Konflikten.
Was raten Sie politisch zerstrittenen Parteien zur Lösung ihrer Differenzen?
Der Schlüssel dazu ist der Wille zum Dialog. In Thailand etwa kann eine Eskaltation immer noch vermieden werden. Seit über einem Jahr gibt es Zusammenstösse in den Strassen, Demonstrationen und Gegendemonstrationen. Eine Regierung wurde gewählt und zum Rücktritt gezwungen. Regierung und Opposition wären weise, wenn sie sich an eine Drittpartei wenden würden, die zwischen beiden Seiten vermittelt.
Kann ein Bürgerkrieg in der Ukraine noch verhindert werden?
Der gestürzte ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch war sehr arrogant. Er liess beispielsweise die frühere Regierungschefin Julia Timoschenko inhaftieren und unmenschlich behandeln. Die heutige Übergangsregierung in Kiew ist sehr antirussisch eingestellt. Sie machte den Fehler, den Schutz der russischen Sprache aufzuheben [Anm. der Redaktion: Nach dem Sturz von Janukowitsch kippte das Parlament zuerst ein Gesetz zum Schutz der russischen Sprache. Aufgrund von Protesten nahm die Führung in Kiew den Entscheid zwar zurück. Bei der russischsprachigen Bevölkerung wurde dennoch die Angst vor Diskriminierung geschürt]. Die Forderung Russlands, dass die Ukraine ein föderalistischer Staat werden soll, hat einige Berechtigung. Ein solches System gibt es in vielen Ländern, etwa in den USA, in Brasilien oder Indien. Dass Millionen Russen in den Ländern der früheren Sowjetunion leben, ist ein Folge der russischen Revolution und des Zweiten Weltkrieges. Russland sorgt sich zurecht über deren Sicherheit. Ein Verbot der russischen Sprache in der Ukraine wäre dasselbe, wie wenn in den USA Spanisch verboten würde, das von 30 Prozent der Einwohner gesprochen wird. Der Westen hat im Übrigen nicht sehr klug gehandelt, als er nach dem Kalten Krieg die Nato nach Osten expandieren liess, und auch nicht mit der beabsichtigten Stationierung von Nato-Raketen in Polen und Tschechien.
Also keine Chance auf eine friedliche Lösung?
Doch, in der Ukraine kann ein Bürgerkrieg noch vermieden werden. Doch da die EU für die eine Seite Partei ergriffen hat, eignet sie sich nicht als Vermittler. Möglicherweise könnten aber die Schweiz, Norwegen oder die Uno mit einer Vermittlung beauftragt werden, vielleicht unter Beiteiligung Deutschlands, das zwar der EU angehört, aber eine gemässigte Position hat.
«Möglicherweise könnten die Schweiz, Norwegen oder die Uno in der Ukraine mit einer Vermittlung beauftragt werden und einen Bürgerkrieg verhindern.»
Könnte beispielsweise auch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa OSZE vermitteln?
Die OSZE ist eine grosse Organisation. Für eine Vermittlung braucht es jedoch eine kleine Zahl glaubwürdiger Unterhändler.
In Syrien hat die Vermittlung der USA, Russlands und der Uno keinen Frieden gebracht.
Alle Seiten hätten vom ersten Tag an einen Dialog akzeptieren sollen, als vor drei Jahren Zehntausende Menschen gegen Präsident Baschar al-Assad demonstrierten. Der Konflikt begann, als Assad sich weigerte, mit der Opposition zu verhandeln. Und die Opposition hatte Maximalforderungen und verlangte, dass Assad gehe. Heute kritisieren alle das Veto Russlands und Chinas gegen eine internationale Intervention. Man kann sich aber fragen, was der Uno-Sicherheitsrat beschlossen hätte, wenn Russland und China ihr Veto aufgehoben hätten. Hätte er eine Flugverbotszone beschlossen? Syrien verfügt über ein hochentwickeltes Flugabwehrsystem. Die USA und die europäischen Staaten waren daher zu Recht vorsichtig. Ich habe vor zwei Jahren in einem Artikel im US-Medium «Daily Beast/Newsweek» geschrieben, für die syrische Opposition sei es selbstmörderisch, gegen Assads gut gerüstete Armee zu kämpfen. Ich habe der Opposition geraten, den Friedensfahrplan von Kofi Annan vom Juni 2012 zu akzeptieren und weiter zu verhandeln.
Assad ist heute in einer besseren Situation.
Ja, inzwischen konnte er militärische Gewinne verzeichnen, wenn er auch nicht das Land für sich gewonnen hat. Assad sollte heute aus seiner Position der Stärke verhandlungsbereit sein. Auch die Opposition sollte Kompromisse ins Auge fassen. Wenn Assad bleibt, ist eine grosse internationale Präsenz nötig zur Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen und von Kriegsverbrechen.
Ist ein Ende des Bürgerkrieges in Syrien überhaupt noch möglich?
Wir dürfen Syrien nicht aufgeben, auch wenn die Lage fast hoffnungslos ist. Die USA müssen mit den wichtigen arabischen Staaten, mit Russland und China sowie mit Assad und gesondert mit der syrischen Opposition verhandeln, um beide Seiten zusammenzubringen, damit ein Handlungsplan skizziert werden kann. Ich denke, das ist möglich, denn die Folgen des Bürgerkriegs sind für alle Seiten schwerwiegend. An Syrien-Verhandlungen muss neben Saudiarabien, Jordanien und der Türkei auch der Iran beteiligt werden. Wenn man Akteure ignoriert, schafft man Probleme. Ägypten dagegen ist zurzeit mit internen Problemen beschäftigt.
Wie können Kriege beendet werden?
Vor allem die USA können sich einschalten. Im Südsudan hatten sie kürzlich grossen Einfluss, als es darum ging, eine Waffenruhe einzurichten, weil sie mit dem Ansatz von Zuckerbrot uns Peitsche vorgehen können, also mit Anreizen und Sanktionen. Die USA können selbst da vermitteln, wo sie Partei ergreifen, wie im Nahostkonflikt, wo sie völlig auf der Seite Israels stehen. Denn die Palästinenser und die arabischen Staaten vertrauen auf die USA, weil sie als einzige Weltmacht Einfluss auf Israel nehmen können.
«Die USA können selbst da vermitteln, wo sie Partei ergreifen, wie im Nahostkonflikt, wo sie völlig auf der Seite Israels stehen.»
Sie sind seit Januar 2013 Sondergesandter der Uno für Guinea-Bissau. Mitte April wurden Parlaments- und die erste Runde der Präsidentschaftswahlen abgehalten und am Sonntag fand die Stichwahl für die Präsidentschaft statt. Wie konnte nach dem Militärputsch 2012 wieder eine gewisse Stabilität erreicht werden?
Als ich Anfang 2013 in Guinea-Bissau ankam, herrschte eine gespannte Lage und die Bevölkerung lebte in Angst. Die internationale Gemeinschaft war uneinig, wie mit der Situation umgegangen werden soll. Ich hielt die Lage für ein politisches Problem. Für eine Lösung war ein geduldiger Dialog nötig. Ich sprach zunächst mit dem Militär und der Übergangsregierung, dann mit den regionalen Mächten, darunter mit Senegal und Côte d’Ivoire. Weiter arbeitete ich mit religiösen Guppen zusammen, mit Imamen und Kirchenvertretern. Schliesslich kamen wieder Vertrauen und Hoffnung auf. Bei den Wahlen im April gab es keinen einzigen gewalttätigen Zwischenfall.
Es gibt weiterhin viele Staaten, wo die Stabilität fehlt und gleichzeitig Wahlen anstehen – etwa in Ägypten.
Das wäre auch in der Zentralafrikanischen Republik möglich gewesen und in Ägypten, wenn die Berater von Mohammed Mursi nach dessen Wahl zum Präsidenten ihm geraten hätten, nicht zu versuchen, sein Programm denjenigen Bürgern aufzudrängen, die nicht für ihn gestimmt hatten. Die aktuelle Regierung in Ägypten sollte nicht denselben Fehler von Mursi machen.
José Ramos-Horta wurde 1949 in Dili, im damaligen Portugiesisch-Timor geboren. 1996 wurde er für seine Bemühungen, eine friedliche Lösung im Osttimorkonflikt zu finden, zusammen mit Bischof Carlos Belo mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Von Mai 2007 bis Mai 2012 war Ramos-Horta Präsident Osttimors. Im Januar 2013 wurde er zum Uno-Sondergesandten für Guinea-Bissau ernannt.
Anfang 2006 zog der Uno-Sicherheitsrat Ramos-Horta als Nachfolger von Kofi Annan in Betracht. Als Ramos-Horta im Sommer 2006 das Amt des Ministerpräsidenten von Osttimor antrat, erklärte er jedoch, vorerst nicht Uno-Generalsekretär werden zu wollen. 2008 war er als Kandidat für das Amt des Uno-Hochkommissars für Menschenrechte im Gespräch. Er verzichtete aber darauf, da er neue Unruhen in Osttimor befürchtete.
Ramos-Horta war diese Woche auf Einladung der Stiftung Sergio Vieira de Mello in Genf, wo er einen Vortrag über Konfliktprävention und -lösung am International Graduate Institute hielt.