Mit einer Kampagne der Einschüchterung hat die Regierung in Riad auf die Pläne von saudischen Frauen reagiert, sich am Samstag und den folgenden Tagen ans Steuer zu setzen. Die Webseite der Aktivistinnen wurde gehackt.
Sie sind einige Dutzend oder wenige Hundert; aber genug, um den Zorn der saudischen Behörden heraus zu fordern. Saudische Frauen haben sich am Samstag wieder ans Steuer gesetzt und ihre verbotenen Fahrten ins Internet gestellt. Das Königreich ist das einzige Land der Welt, das den Frauen verbietet, selbst ein Auto zu lenken.
Das Innenministerium hatte im Vorfeld gewarnt, man würde jeden Versuch, den «öffentlichen Frieden zu stören» bestrafen und sogar gedroht, es genüge, im Internet die Kampagne «oct26.driving» zu unterstützen. Die war in den letzten Wochen von mehr als 16 600 Frauen unterstützt worden. Seit Freitag ist die Internetseite aber gehackt. Der Hacker bekundete dort, er sei gegen die Führung der Frauen im Land der Heiligen Schreine. Weiterhin verbreitet werden die Videos über den Twitter-Account zur Kampagne.
Eines der zahlreichen Videos, veröffentlicht am 26. Oktober auf YouTube.
Dritter Anlauf in 20 Jahren
Es war der dritte Anlauf in über 20 Jahren. Die letzten beiden Male war das internationale Umfeld ungünstig. 1990 war der Golfkrieg, 2011 der arabische Frühling und das konservative Königreich musste befürchten, der Ruf nach Freiheit könnte überschwappen. Diese Voraussetzungen waren diesmal besser, aber der Widerstand dennoch extrem.
Die Shoura, ein beratendes Organ, wollte das Thema auf Antrag von drei Parlamentarierinnen nicht einmal auf die Tagesordnung setzen. Der Vorsitzende sprach von Zeitverschwendung. Grossen Spott hatte ein Geistlicher ausgelöst, der zu bedenken gegeben hatte, dass Frauen nicht Autofahren sollen, weil es ihren Eierstöcken schaden könnte. 100 Kleriker hatten in den letzten Tagen sogar den königlichen Hof besucht, um gegen die «Verschwörung der Frauen» zu warnen.
Religiöse oder rechtliche Gründe gibt es nicht
Die Situation ist ziemlich absurd. Eine religiöse Begründung, um den Frauen das Autofahren zu verbieten, gibt es nicht. Juristisch ist die Lage auch verworren. Frauen erhalten keinen Führerschein, obwohl dies nirgends verboten ist. Die Fahrerinnen vom Samstag besassen deshalb die meisten einen ausländischen Führerschein.
Es sind kulturelle und gesellschaftliche Motive, die hinter dem Verbot stehen. Die Geistlichen mischen sich dennoch massiv ein und wehren sich dagegen, dass sich Frauen mit fremden Männern treffen. Dabei sind genau die ausländischen Chauffeure die fremden Männer, mit denen die Frauen gezwungen werden, sich ins Auto zu setzen, weil sie ihr Fahrzeug nicht alleine chauffieren können.
Das Problem, auf einen Chauffeur angewiesen zu sein, ist auch im reichen Saudi-Arabien kein Luxusproblem. Viele Familien können sich die Kosten für einen Fahrer – rund 450 Franken im Monat – nicht leisten. Frauen sind deshalb in ihrer Bewegungsfreiheit oder in ihren beruflichen Möglichkeiten eingeschränkt.
Wette verloren
Die gesellschaftlichen Veränderungen – Massstab ist der grössere Freiraum für Frauen – gehen in Saudi-Arabien extrem langsam vor sich. Schon vor zehn Jahren zeigte sich ein führender Journalist in Jeddah im Gespräch überzeugt, dass Frauen in wenigen Jahren am Steuer sitzen würden. Er hat seine Wette verloren. Unangetastet blieb bisher auch das Vormundsystem. Frauen sind nicht alleine handlungsfähig. Ohne einen männlichen Vormund können sie nicht reisen, nicht heiraten, kein Geschäft eröffnen, keinen Pass beantragen oder gewisse medizinische Operationen machen.
Mehr Rechte für Frauen kommen in Mini-Schritten. Vor wenigen Tagen hat das Justizministerium erstmals Anwältinnen erlaubt, selbst bei Gericht zu arbeiten. Bisher mussten sie sich mit beratenden Funktionen begnügen. Seit Januar sitzen in dem 150-köpfigen Shoura-Rat erstmals Frauen und wenn 2015 das nächste Mal die Lokalparlamente gewählt werden, werden Frauen zum ersten Mal das aktive und das passive Wahlrecht haben.
Rütteln an patriarchalen Strukturen
«Geduld und Weisheit» seien die Waffen der saudischen Frauen hatte vor einiger Zeit eine der 47-Autofahrerinnen der Aktion von 1990 im Gespräch gemeint. Sie musste damals eine Erklärung unterschreiben, so etwas niemals mehr zu tun. Dasselbe galt für ihren Vormund. Mit diesem Vorgehen werden die Frauen eingeschüchtert. Jeder ihrer Schritte hat auch Konsequenzen für den Rest der Familie.
Sich mit legalen Protesten für Frauenrechte einzusetzen, ist in Saudi-Arabien nicht möglich. Öffentliche Kundgebungen sind verboten und Nichtregierungsorganisationen können sich nicht offen für Menschenrechte stark machen. Die Regierung hat offensichtlich immer noch Bedenken am Verbot des Autofahrens für Frauen zu rütteln. Dabei fürchtet sie weniger den Streit mit den Geistlichen als die unabsehbaren Folgen, wenn an den extrem patriarchalen Strukturen gerüttelt wird. Diesmal gab es in der staatlich gelenkten, saudischen Presse aber immerhin zahlreiche Kommentare für den Tabu-Bruch, auch von Männern.