Griechenland ist vorläufig gerettet. Doch die Vorwürfe an die Adresse Deutschlands hallen nach und wärmen ein altes Klischee wieder auf.
Inzwischen ist es wieder etwas ruhiger geworden. Dennoch können antideutsche Ressentiments bei passender und unpassender Gelegenheit wieder hochkommen. Als die Eurogruppe am 17. Juli im Verhältnis von 18:1 gegenüber Griechenland die geltenden Regeln der Währungsunion durchsetzte, wurde dieser harte Entscheid ganz und gar Deutschland und da vor allem dem deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble angelastet. Dies nicht ohne die Frage aufzuwerfen, ob Deutschland wieder einmal zu mächtig geworden sei.
Griechenland ist vorläufig gerettet, doch das Bild des «hässlichen Deutschen» ist wiedererstanden. Vielleicht hängen sie noch immer irgendwo in Griechenland, die Bilder der Angela Merkel mit Hitler-Schnäuzchen und SS-Uniform, Wolfgang Schäuble mit Hakenkreuzen. Diese Form von Protest disqualifiziert sich selber, so sehr die Empörung, aus der er hervorgegangen ist, verständlich ist. Die heftigste Kritik kam aber, wenn man vom Aufschrei in Griechenland absieht, aus Deutschland selber. Das müsste eigentlich die Bedenken wegen unreflektierter Machtanmassung etwas relativieren.
Deutschland ist in der Frage, wie mit der griechischen Schuldenproblematik umzugehen sei, keine kompakte Grösse: Auf der rechten Seite gibt es die Kräfte, die im Bundestag gegen das neue Hilfspaket gestimmt haben; auf der linken Seite gibt es die Stimmen, die sich für Schuldenerlass starkmachen. Und in der Mitte stehen etwa eingeklemmt die Kanzlerin Angela Merkel und die ebenfalls gespaltene SPD.
Schäubles angebliche Härte
Aus dem rechten Lager liess sich Thomas Strobel, stellvertretender CDU-Vorsitzender, vernehmen: «Der Grieche hat jetzt lang genug genervt.» Aus dem linken Lager meldeten sich Joschka Fischer oder Sahra Wagenknecht mit dem Vorwurf, die Regierung habe dafür gesorgt, dass das alte Bild vom «hässlichen Deutschen» wieder hochgekommen sei. Das war aber keine Selbstkritik, sondern Kritik an anderen – eben Parteikritik.
Der Vorwurf, gegenüber einem EU-Mitglied uneuropäische Härte zu praktizieren, richtet sich in erster Linie gegen den deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble. Dieser hatte den Vorschlag eines Grexit auf Zeit in der Tasche: Griechenland solle, wenn es die harten Sparauflagen nicht erfüllen wolle, doch für fünf Jahre «von sich aus» den Euro verlassen und so einen Schuldenschnitt möglich machen, den die geltenden Regeln bei einem Verbleiben nicht zulassen. Dabei soll die EU selbstverständlich mit verschiedenen Hilfsmassnahmen Griechenland zur Seite stehen.
Dieser vertrauliche Plan B wurde – von wem ist unklar – in die Öffentlichkeit gespielt. Italien und Frankreich reagierten ungehalten, nicht nur wegen der B-Variante an sich, sondern wegen des deutschen Alleingangs. Widersprüchlich sind die Aussagen, ob die Kanzlerin informiert war oder nicht. Es zeigen sich in dieser Sache auch bestehende Spannungen zwischen der eher technokratisch eingestellten Runde der Finanzminister und den für die ganz hohe Politik zuständigen Akteuren (Merkel, Tusk, Juncker).
Zur Zurückhaltung verpflichtet
Der klassische Vorwurf an deutsche Adressen gilt bezeichnenderweise weniger der Substanz des Entscheids – was schwieriger gewesen wäre – als der Art der Vermittlung. Es ist von überheblicher und belehrender Haltung die Rede. Dies nach dem bekannten Muster: Wenn einem der Inhalt Mühe bereitet, verlegt man seine Kritik gerne auf die Form.
Überheblich und belehrend? Wer im Namen Deutschlands auftritt, muss wegen der Last der Geschichte ständig besonders zurückhaltend sein. Normales Auftreten in sonst üblicher Bandbreite, wie man es etwa von französischen oder britischen Politikern erlebt, wird im Fall Deutschlands schnell als arrogant verurteilt. Dieser Zurückhaltungszwang ist gar nicht schlecht, muss aber nicht so weit gehen, eine falsche Haltung einzunehmen.
Deutschland hat – zusammen mit anderen – vor allem in früheren Jahren Fehler gemacht. Dies geschah aber nicht wegen zu rigorosem Auftreten. Auf Drängen Frankreichs stimmte es im Mai 2010 der Schaffung des ersten Rettungsschirms (EFSF) und im September 2012 der Schaffung eines zweiten Rettungsschirms (ESM) zu. Damit liess es die Währungsunion teilweise zu dem werden, was sie nach den etablierten Regeln gar nicht sein durfte, nämlich eine Transferunion mit solidarischer Haftung für Schulden souveräner Staaten. Jetzt ging es und geht es mit der wiederum härteren Haltung darum, den alten Fehler zu korrigieren. Es wäre indessen nicht das erste Mal in der Geschichte, dass man neue Fehler macht, weil man alte vermeiden will.
Die Eurogruppe-Mitglieder sind keineswegs zu blindem Gehorsam verpflichtet. In der Mitverantwortung stehen sie alle in gleicher Weise.
Wie weit das dritte Hilfspaket Griechenland tatsächlich rettet oder, wie einige sagen, «zu Tode» rettet und wie weit obendrein die 86 Milliarden Euro verlocht sind, steht auf einem anderen Blatt. Deutschland hat oder hätte das aber nicht allein zu verantworten. Der ehemalige griechische Finanzminister Varoufakis, der im deutschen Finanzminister Schäuble offensichtlich den Hauptkontrahenten hatte, tat die 17 Eurostaaten (neben Griechenland und Deutschland) als gefügige Statisten auf der von Schäuble geschaffenen Spielwiese ab. Insbesondere Finnland, Holland, Belgien, Österreich seien bloss Satelliten eines vierten Reichs. Die Eurogruppen-Mitglieder waren und sind aber keineswegs zu blindem Gehorsam verpflichtet; in der Mitverantwortung stehen sie jedenfalls alle in gleicher Weise.
Deutschland hat eine gewisse Sonderposition im Verein der 28 grundsätzlich gleichgestellten EU-Mitglieder. Die Einbindung des deutschen – zunächst auch nur westdeutschen – Potenzials war von Anfang an ein zentrales Motiv des europäischen Vergemeinschaftungsprojekts. Naheliegenderweise waren die nichtdeutschen Europäer, und da in erster Linie der französische Nachbar, an dieser sichernden Einbindung besonders interessiert. Es war aber auch stets Deutschland selber, das diese Einbindung im Sinne eines Zwangs zur Selbstbegrenzung wünschte.
In verpflichtender Kooperation konnte man bedenkenloser stark sein denn als völlig souveräner Nationalstaat. In zwei bekannten Bildern ausgedrückt: Als riesiger Gulliver kann man die von andern angelegten Stricke leicht zerreissen, als Odysseus dagegen lässt man sich freiwillig an den Mast binden, um nicht den Sirenenklängen (in unserem Fall der ungebändigten Machtpolitik) zu erliegen.
Keine kollektive Haftung vorgesehen
Die unzufriedenen Reaktionen auf den Umgang mit Griechenland zeigten eine Ungehaltenheit gegenüber Deutschland als dem herrischen Hegemon. Aber nicht nur. Es war auch Enttäuschung gegenüber dem europäischen Gemeinschaftsprojekt an sich, die da zum Ausdruck kam. Diese Reaktion beruht aber auf einem Missverständnis und offenbart eine neue Variante der Tendenz, «Europa» als Projektionsfläche für negative Gefühle zu verwenden.
Europa ist, wie jeder Staat oder jedes staatsähnliche Konstrukt, keine grenzenlose Spenderin milder Gaben. Gewiss waren die beiden hauptsächlichen Zweckbestimmungen der Gemeinschaft von Anfang an: Friedenssicherung und Wohlstandshebung. Man ging davon aus, dass man eine Schicksalsgemeinschaft bilde und es von allgemeinem Interesse sei, dass schwächere Regionen unterstützt würden. Darum die Ausgleichszahlungen und unterschiedlichen Beitragsleistungen an den gemeinsamen Haushalt – ähnlich wie in der Schweiz.
Dazu gehört aber nicht kollektive Haftung für Schulden von Bundesmitgliedern, die zugleich gerne Souveränität beanspruchen. Auch hier verhält es sich gleich wie in der Schweiz: Obwohl mit der bundesstaatlichen Struktur die Integration noch weiter fortgeschritten ist als in der EU, käme niemand auf die Idee, dass Bürgerinnen und Bürger eines Kantons für Schulden anderer Kantone aufkommen müssten.
Antideutsche Ressentiments in der Schweiz
Europa ist zwar vielen Idealen verpflichtet, es darf und muss sich in Kreditfragen aber verhalten, wie es Gläubiger eben tun: zunächst auf eine Rückbezahlung pochen und, wenn das zu nichts führt, Abschreibungen vornehmen. Das Beharren läuft nach dem Muster: Kredite gegen Reformen, wobei die Reformen so bemessen sein sollen, dass sie dem Schuldner im allseitigen Interesse ermöglichen, wieder auf die berühmten grünen Zweige zu kommen.
Auch in der Schweiz – zuweilen sogar speziell in der deutschen Schweiz – gibt es antideutsche Ressentiments. Diese sind aber gepaart mit der starken Erwartung, dass der mächtige Nachbar sich in der EU für den schweizerischen Standpunkt einsetze. Dann ist deutsche Stärke sehr willkommen. Nicht aber, wenn sie sich in Fragen etwa des Bankgeheimnisses oder der Anflüge in Kloten bemerkbar macht. Diese Ambivalenz dürfte sich in Kommentaren zum Besuch der Kanzlerin Merkel erneut gezeigt haben.