Die Durchsetzungsinitiative zielt auf Mörder, Vergewaltiger, Schläger. Aber nicht nur. Fünf fiktive Beispiele, bei denen geringe Vergehen zu einer Ausweisung führen würden.
Die Durchsetzungsinitiative richte sich gegen «kriminelle Ausländer». So formuliert es die SVP, die mit der Initiative bei der Ausweisung von Personen ohne Schweizer Pass nachdoppeln will (alle Details zur Durchsetzungsinitiative).
Mörder, Vergewaltiger und Schläger sollen das Land verlassen, so wiederholen es SVP-Vertreter. 2011 wären bei Delikten wie Mord, Sexualstraftaten, schwere Körperverletzung, Raub und Diebstahl etwa 1000 Personen ohne Schweizer Pass betroffen gewesen. Diese Delikte machen jedoch nur einen Teil der Vergehen aus, infolge derer Personen das Land verlassen müssten.
Bagatelldelikte im SVP-Katalog
Wenn die Durchsetzungsinitiative angenommen wird, werden es pro Jahr rund 10’000 Personen sein, die die Schweiz verlassen müssten – so viele hätte die Initiative 2014 betroffen. Ein grosser Teil der Personen, die ausgewiesen werden sollen, haben also andere Delikte als die oben genannten begangen.
Im Katalog, den die SVP in der Durchsetzungsinitiative formuliert, finden sich neben schweren Straftaten auch Delikte wie Hausfriedensbruch oder Gewalt und Drohung gegen Beamte.
Fünf fiktive Beispiele und die Folgen:
(Bild: Nils Fisch)
Der Sanitär, der in seinen Lehrlingsbetrieb einbrach
Mit sechs Jahren kam Sander aus Norwegen in die Schweiz. In Reinach besuchte er die Schule und später absolvierte er die Ausbildung zum Sanitär.
Ein Jahr nach Lehrabschluss trifft sich Sander mit zwei ehemaligen Lehrlingskollegen, die beide einen Schweizer Pass besitzen. Sie trinken Bier in einer Reinacher Dorfkneipe. Als das Lokal schliesst, sind sie betrunken. Sie beschliessen, ihren Lehrlingsbetrieb aufzusuchen.
Ein Wort gibt das nächste. Sie brechen gewaltsam in die alte Wirkungsstätte ein, bedienen sich aus dem Kühlschrank, treiben Scherze. Zur allgemeinen Erheiterung uriniert einer der drei in einen Farbeimer.
Der Lehrmeister ahnt, wer die Täter waren. Nach einem Telefonanruf hat er das Geständnis von einem der drei. Er erstattet Anzeige. Für die zwei Schweizer bleibt es bei einer Geldstrafe. Für Sander hat die Tat weitere Konsequenzen.
Nach Umsetzungsgesetz zur Ausschaffungsinitiative: Ausweisung vorgesehen. Der Richter kann gegebenenfalls auf Härtefall entscheiden, Sander dürfte dann in der Schweiz bleiben.
Nach Durchsetzungsinitiative: Automatische Ausweisung.
(Bild: Nils Fisch)
Die Serviceangestellte, die einen Kontrolleur bedrohte
Sarah ist Deutsche und wohnt seit zwei Jahren in der Schweiz. Sie pendelt zwischen Basel und Liestal, wo sie in einem Restaurant arbeitet. Ab und zu fährt sie die Strecke mit dem Auto. An einem Morgen übersieht sie eine rote Ampel und wird dabei geblitzt. Der Fall wird als grobe Verkehrsregelverletzung gewertet. Sarah muss fünf Tagessätze gemeinnützige Arbeit verrichten. Damit ist die Sache vorerst abgehakt.
Ein Jahr später fährt sie nach einem Apéro nach Hause. Im Tram wird sie kontrolliert. Sie hat kein Billett gelöst und will sich aus der Affäre reden. Ein Kontrolleur stellt sich neben sie und rückt näher an sie heran. Sarah verliert die Nerven und sagt: «Kommen Sie mir nicht näher, sonst setzts was.»
Diesen Satz hätte sie besser nicht gesagt. Denn die Aussage kommt nach der Auseinandersetzung zur Anzeige. Ein Gericht wertet ihre Worte als Androhung von Gewalt gegen Beamte – wozu auch BVB-Kontrolleure zählen – und spricht Sarah schuldig. Welche aufenthaltsrechtlichen Folgen hat das für sie in Verbindung mit der Vorstrafe?
Nach Umsetzungsgesetz Ausschaffungsinitiative: Keine Konsequenzen.
Nach Durchsetzungsinitiative: Automatische Ausweisung.
(Bild: Nils Fisch)
Der Assistenzarzt, der den Urlaub seines Sohnes nicht meldete
Akin ist in der Elfenbeinküste geboren, hat in Paris studiert und arbeitet seit 2007 als Assistenzarzt am Universitätsspital Basel. Sein 19-jähriger Sohn studiert Psychologie an der Universität Basel. Akin erhält dafür Ausbildungszulagen: 250 Franken pro Monat.
Nach dem zweiten Semester unterbricht der Sohn das Studium für ein Jahr und reist mit seiner Freundin nach Australien und Südamerika. Während dieser Zeit hat Akin keinen Anspruch auf Ausbildungszulagen. Das Geld fliesst jedoch weiter auf sein Konto. Akin verschweigt gegenüber der Behörde, dass sich sein Sohn auf Weltreise befindet.
Das Schweigen wird später als vorsätzlicher Sozialmissbrauch gewertet. Mit welcher Folge?
Nach Umsetzungsgesetz zur Ausschaffungsinitiative: Ausweisung vorgesehen. Gegebenenfalls Härtefall.
Nach Durchsetzungsinitiative: Automatische Ausweisung.
(Bild: Nils Fisch)
Der Finanzanalyst, der seinen Kontoauszug fälschte
John wuchs in den USA auf, lebte einige Jahre in London und Schanghai. Seit 2009 wohnt er in Basel und arbeitet bei einem Pharmakonzern als Finanzanalyst.
Mit seinem C-Aufenthaltsstatus muss er in Basel-Stadt jedes Jahr eine Steuererklärung ausfüllen. Sein Privatvermögen, das er auf einer Londoner Bank bunkert, gab er zwei Jahre lang nicht an. Dann wurde die Steuerverwaltung darauf aufmerksam und forderte ihn auf, einen Kontoauszug vorzulegen.
Der Amerikaner sah nicht ein, warum er neben seinen Einkommenssteuern auch Vermögenssteuern zahlen sollte und schritt zur Fälschung. Er bestellte den Kontoauszug aus London und liess ihn von einem Bekannten so manipulieren, dass sein Vermögen etwas über 100’000 Franken betrug.
Der Sachbearbeiter in der Steuerverwaltung geht dem Fall nach und kann John Urkundenfälschung nachweisen. Die Staatsanwaltschaft übernimmt den Fall, John wird wegen Urkundenfälschung und Steuerbetrug schuldig gesprochen.
Die Tat hat für John weitere Konsequenzen – jedoch nur nach dem Umsetzungsgesetz zur Ausschaffungsinitiative. Nach Annahme der Durchsetzungsinitiative dürfte John in der Schweiz bleiben.
Nach Umsetzungsgesetz zur Ausschaffungsinitiative: Ausweisung vorgesehen. Gegebenenfalls Härtefall.
Nach Durchsetzungsinitiative: Keine Konsequenzen.
(Bild: Nils Fisch)
Die Reinigungskraft, die die Arztrechnung falsch abrechnete
Karimas Eltern kommen aus Afghanistan, sie ist in der Schweiz geboren, hat jedoch keinen Schweizer Pass. Nach Abbruch einer Ausbildung zur Fachfrau Gesundheit jobbt sie als Reinigungskraft in Basel und Umgebung.
Beim Joggen macht Karima einen Fehltritt und verknackst sich dabei den Knöchel. Sie schreibt in die Unfallmeldung, sie sei über eine Baumwurzel gestolpert. Somit übernimmt die Unfallversicherung die Kosten für den Arzt und die Untersuchungen in Höhe von 400 Franken.
Nun fragt die Versicherung bei Karima nach, wie der Unfall genau erfolgte. Karima verplappert sich und erzählt schliesslich die Wahrheit. Sie habe bloss einen Fehltritt gemacht. Also hätte sie die Kosten über die Krankenkasse selbst bezahlen müssen, da sie eine Franchise von 2500 Franken hat.
In der Konsequenz hat sie die Unfallversicherung vorsätzlich um 400 Franken geschädigt. Welche Folgen hat das für Karima?
Nach Umsetzungsgesetz zur Ausschaffungsinitiative: Ausweisung vorgesehen. Gegebenenfalls Härtefall.
Nach Durchsetzungsinitiative: Automatische Ausweisung.
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Die Beispiele sind fiktiv. Einige davon wurden in leicht abgeänderter Form von der Zeitschrift P.S. sowie matthiasbertschinger.ch übernommen. Dort finden Sie auch weitere Fallbeispiele.
– Was die Durchsetzungsinitiative will – und was die Folgen wären
– Die Wirtschaft schweigt – bis auf den Pharmalobbyisten Thomas Cueni
– Georg Kreis: Ein Anschlag auf unsere Institutionen und auf unsere Verfassung
– Matthias Bertschinger: Einzelkämpfer im Kampf gegen die Durchsetzungsinitiative
Artikelgeschichte
– Lead wurde am 7.1.2015, 11.00 präzisiert: Statt «Die Durchsetzungsinitiative trifft Mörder, Vergewaltiger, Schläger» heisst es nun «Die Durchsetzungsinitiative zielt auf Mörder, Vergewaltiger, Schläger».