«Wir dienen als Symbol für Kritik»

Andreas Kressler verwaltet als Leiter von Immobilien Basel-Stadt über die Hälfte des kantonalen Finanzvermögens. Dabei gerät er mit seiner Amtstelle von links bis rechts immer wieder in Kritik.

Andreas Kressler wechselt vom Staat zu Hilfswerk HEKS. (Bild: Nils Fisch)

Andreas Kressler verwaltet als Leiter von Immobilien Basel-Stadt über die Hälfte des kantonalen Finanzvermögens. Dabei gerät er mit seiner Amtstelle von ilnks bis rechts immer wieder in Kritik.

Keine andere Amtsstelle verwaltet mehr Geld als Immobilien Basel-Stadt (IBS). Andreas Kressler ist verantwortlich für 1,5 Milliarden Franken. Das entspricht 56 Prozent des kantonalen Finanzvermögens. Das Amt muss unterschiedlichsten Ansprüchen gerecht werden und gerät dabei immer wieder in die Kritik. Die Linken sorgen sich um die Interessen der Mieter, die Bürgerlichen um die Rendite. Und auch autonome Gruppierungen haben das Thema für sich entdeckt und besetzen regelmässig leer stehende Gebäude von IBS. Dabei müsste man vermehrt auch private Eigentümer in die Verantwortung nehmen, sagt Andreas Kressler.

Herr Kressler, wohnen Sie selber in einem Gebäude von Immobilien Basel-Stadt?

Nein, ich wohne nicht bei Immobilien Basel-Stadt. Ich finde es aber spannend, selber als Mieter den Vergleich zu haben. Ich bin bei meiner Arbeit mit vielen Mietern konfrontiert, und gleichzeitig bin ich selber Mieter und kenne diese Rolle seit Langem. Für meine Arbeit finde ich das äusserst wertvoll.

Beneiden Sie manchmal auch die Vermieter im privatwirtschaftlichen Sektor, weil diese nicht so sehr im ­öffentlichen Fokus stehen wie Sie?

Nein, beneiden nicht. Ich bin mir ­bewusst, dass wir eine andere Rolle und einen anderen Auftrag haben. Ich bedaure aber, dass die Besorgnis um steigende Mieten und den knappen Wohnraum etwas einseitig anhand der Arbeit unserer Dienststelle diskutiert wird. Dabei haben die Liegenschaften der öffentlichen Hand nur einen ganz kleinen Einfluss auf den gesamten Wohnungsmarkt, denn sie machen nur etwa zwei Prozent der Wohnungen in Basel aus. Wenn man an der Gesamtsituation etwas verbessern möchte, dann muss man in der Menge etwas verändern. Da kommt man um private Eigentümer nicht herum.

Das heisst, private Eigentümer haben es einfacher zu wirtschaften als Sie? 

Das ist sicher so.

Sie haben mit verschiedensten Herausforderungen zu tun. Am Petersgraben wurde vor einigen Monaten erneut eine Ihrer Liegenschaften besetzt. Wann werden Sie diese räumen?

Wir versuchen mit Besetzungen adäquat und verhältnismässig umzugehen. Unser Vorgehen besprechen wir mit der Polizei, es hängt immer auch von der konkreten Situation ab. Im Fall Petersgraben 20 dulden wir die Besetzung bis auf Weiteres, da wir mit dem Bauprojekt noch nicht ganz bereit sind. Aber auch diese Besetzung wird ein Ende haben. Es ist wichtig, dass im Umgang mit Besetzungen im konkreten Einzelfall mit Augenmass geurteilt wird.

In den vergangenen Jahren wurden Gebäude von Immobilien Basel-Stadt immer wieder das Ziel von Besetzern. Wo s­ehen Sie die Gründe dafür?

Das hat sicher mit der öffentlichen Wahrnehmung zu tun, denn als ­öffentlicher Immobilieneigentümer sind wir stark exponiert. Sicher ist, dass Fragen nach Freiraum im städtischen Raum an Bedeutung gewinnen. Diese Themen werden zurzeit politisch und gesellschaftlich stark diskutiert, und die Diskussionen bringen als Randerscheinung manchmal auch Besetzungen mit sich. Als öffentlicher Immobilien­eigentümer dienen wir auch als Symbol für Kritik und Widerstand gegenüber Staat und Gesellschaft.

Ein weiteres Konfliktfeld sind die verschiedenen Ansprüche, denen Immobilien Basel-Stadt gerecht werden muss. Auf der einen Seite die Rendite, auf der ­anderen die sozialen Aspekte. Bürgerliche Politiker kritisieren zuweilen, IBS sei zu wenig renditeorientiert. Ein berechtigter Vorwurf?

Nein, wir legen unsere Zahlen offen und haben eine gute Wirtschaftlichkeit. Die Wirtschaftlichkeit ist die Basis unseres Handelns. Auf dieser Basis versuchen wir öffentliche Interessen wahrzunehmen und Nutzungen voranzutreiben, die im Interesse der Stadt sind. Ich erlebe häufig, dass Kritik sehr pauschal ausfällt, komme sie von der einen oder der anderen Seite.

Wir nehmen bei vielen Projekten öffentliche Interessen wahr, und wir können dies auch aufzeigen.

Zu den hartnäckigsten Kritikern gehört der Basler Mieterverband. Der wiederkehrende ­Vorwurf lautet, bei Immobilien Basel-Stadt sei der Mieter einzig Renditeobjekt.

Von dieser Aussage distanziere ich mich klar. Wir sind eine faire Vermieterin und legen jedes Jahr ­Rechenschaft über unser Geschäft ab. Ja, wir müssen eine Rendite ­erwirtschaften. Aber wir nehmen bei vielen Projekten öffentliche Interessen wahr, und wir können dies auch aufzeigen.

Dennoch hat der Unmut in der Bevölkerung zugenommen. Worauf führen Sie das zurück?

Einen allgemeinen Unmut gegen Immobilien Basel-Stadt können wir ­unter unseren Mieterinnen und Mietern und auch in der Öffentlichkeit nicht feststellen. Aber zweifellos besteht eine allgemeine Besorgnis über die steigenden Mieten, und das wird teilweise uns zum Vorwurf gemacht. Dabei haben wir sinkende Hypothekarzinsen, die den Referenzzinssatz bestimmen, und im vergangenen Jahr haben wir zwei Mal Mietzinssenkungen weitergegeben. Das heisst, es gibt viele Mieterinnen und Mieter, bei denen die Miete günstiger ist als noch einige Jahre zuvor.

Den Referenzzinssatz legt aber nicht Immobilien Basel-Stadt fest, sondern er wird von der Nationalbank erhoben.

Das ist richtig. Aber wir sind eine Vermieterin, welche die Zinsreduktion seit vielen Jahren unaufgefordert weitergibt.

Der Wert Ihrer Immobilien steigt seit Jahren kontinuierlich, während die Anzahl der Immobilien etwa gleich geblieben ist. Woran liegt das?

Wir haben im vergangenen Jahr zahlreiche Zukäufe gemacht. Das hat auch den Wert unseres Portfolios vergrössert. Wie sich Zukäufe auf den Wert des Portfolios auswirken können, kann ich mit einem einfachen aktuellen Beispiel illustrieren: Wenn der Kanton grosse Areale wie beispielsweise das Ex-Frigo-Areal am Dreispitz oder gemeinsam mit der Stiftung Habitat das Areal von Coop auf dem Lysbüchel-Areal übernimmt und gleichzeitig einige kleine Parzellen abgibt, bleibt die Zahl der Objekte gleich, aber der Wert des Portfolios steigt.

Im Jahresbericht begründen Sie die Zunahme des Gesamtwertes vor allem mit hohen Investitionen. Bedeutet das, dass zunehmend mehr Wohnungen auf­gewertet und dadurch teurer werden?

Wenn wir sanieren, entstehen hohe Kosten, und der Wert steigt kurzfristig an. Entsprechend müssen wir auch die Mietzinse gemäss Mietrecht anpassen. Das gibt einen Anstieg, der sich nicht wegdiskutieren lässt. Aktuell haben wir eine hohe Sanierungsquote. Als Bewirtschafter der staatlichen Immobilien sind wir dazu verpflichtet, die Liegenschaften zu pflegen und in deren Unterhalt und Erhalt auch im Interesse der Umwelt zu investieren. Würden wir dies unterlassen, würde der Wohnraum in der Stadt veralten.

Das gibt einen Anstieg, der sich nicht wegdiskutieren lässt

Momentan ist oft zu hören, dass es in Basel praktisch keine günstigen Wohnungen mehr gibt. Würden Sie die IBS als günstige Vermieterin bezeichnen?

Nein. Ich sehe uns als faire Vermieterin. Wir verlangen die üblichen Marktpreise und versuchen darüber hinaus eine gute Kundendienstleistung zu erbringen.

Die Bewirtschaftung wurde in letzter Zeit teilweise ausgelagert. War die Immobilien Basel-Stadt überfordert?

Wir wollen wissen, wie der Markt arbeitet. Zudem gibt es immer wieder Schwankungen in unserem Liegenschaftsbestand. Es macht in solchen Fällen wenig Sinn, kurzfristig neue Mitarbeiter einzustellen und diese dann wieder zu entlassen. Wir beobachten aber genau, wie die von uns beauftragten Firmen arbeiten und stehen auch bei teilweise ausgelagerter Bewirtschaftung für unsere Dienstleistung ein.

Sind Sie der Ansicht, dass Immobilien Basel-Stadt ein guter Vermieter ist? Und wie gehen Sie mit Kritik um?

Wir haben insgesamt zufriedene Mieter. Wir bemühen uns, eine gute Beziehung zu unseren Mietern aufzubauen und für sie eine professionelle Leistung zu erbringen. Vor ein paar Jahren landeten mehr Fälle unzufriedener Mieter bei mir auf dem Tisch als heute. Das hat mittlerweile massiv abgenommen. Es gibt unterschiedlichste Anforderungen an uns, und wir werden nie in der Lage sein, alle zufrieden zu stellen. Wenn aber Kritik an uns herangetragen wird, nehmen wir das sehr ernst. Die eigene Leistung sollte man immer wieder in Frage stellen.

Keine gute Figur machte Immobilien Basel-Stadt beim Fussballverein US Olympia. Zuerst wurde der Verein von Ihnen aus dem Lokal im Brückenpfeiler neben dem Bahnhof St. Johann rausgeworfen, dann suchten Ihre Mitarbeitenden eine Zwischennutzung für das Lokal – und landeten schliesslich wieder bei US Olympia. Das wirkt schon sehr unprofessionell. 

Ich sage nicht, dass wir keine Fehler machen. Diese Zwischennutzung lief tatsächlich nicht optimal ab, ist aber ein Einzelfall. Wir hatten das Areal von den SBB gekauft und kannten die Vorgeschichte nicht gut genug. Wir bewirtschaften über 10 000 ­Objekte und insbesondere bei Arealen in Entwicklung ist die Bewirtschaftung sehr anspruchsvoll.

Die Aufgaben für Immobilien Basel-Stadt werden also zunehmend anspruchsvoller. Inwiefern denn genau?

Das ist so. Wir haben heute viel mehr Projekte als vor ein paar Jahren. Der Kanton ist nun aktiver bei Sanierungen und Akquisitionen von Arealen. Gerade Arealtransformationen sind für uns sehr anspruchsvoll – und auch am schwierigsten zu ­bewältigen. Sie bringen politische Komponenten und Verschiebungen von Nutzungsinteressen mit sich. Es prallen verschiedenste Interessen aufeinander. In einer solchen Phase keine Fehler zu machen und die Übersicht zu bewahren, ist eine Herausforderung.

 Es prallen verschiedenste Interessen aufeinander. In einer solchen Phase keine Fehler zu machen ist eine Herausforderung.

Sollte das Wohnraumfördergesetz am 22. September angenommen werden, sind Sie noch mehr gefordert.

Das stimmt, wir haben eine wichtige Aufgabe, um die aktive Wohnpolitik des Kantons umzusetzen. Allerdings sind wir bereits heute in diesem ­Bereich sehr aktiv. So fördert der Kanton seit einigen Jahren die Wohngenossenschaften durch ­gezielte Abgabe von Land im Baurecht. Auch hat der Kanton vor ein paar Monaten gemeinsam mit der Stiftung Habitat die Parzelle von Coop auf dem Lysbüchel-Areal übernommen.

Wo sehen Sie bei Immobilien Basel-Stadt Handlungsbedarf?

Ich würde mir wünschen, dass unsere Projekte rascher realisiert werden. Es dauert heute relativ lange, bis eine Idee umgesetzt werden kann. Dies hängt aber auch mit dem öffentlichen Umfeld und dem Einbezug von Anspruchsgruppen zusammen, die für die Realisierung unverzichtbar sind.

An welches Projekt denken Sie?

Den Petersgraben etwa. Die Sanierung des Gebäudes hatte sich verzögert, da die Denkmalpflege während ihrer Arbeit unerwartete und wichtige neue Erkenntnisse über das ­Gebäude gewann, welche die Planungszeit stark verlängerten. Wir müssen lernen, die unterschiedlichen Interessen rascher zu bündeln. Mein Ziel ist es, dass Projekte künftig schneller zum Ziel geführt werden.

Damit die Objekte schneller Rendite abwerfen?

Damit die Objekte schneller wieder genutzt werden können.

Über die Renditeziele von Immobilien Basel-Stadt weiss man ziemlich wenig.

Wir informieren sehr transparent über unsere Renditezahlen und die Entwicklung des Portfolios. Ein Immobilienportfolio generiert stabile Erträge, weil Mieten und Baurechte wenig Veränderungen erfahren. ­Hinzu kommt aber noch die Bewertung der Liegenschaften, die für die Rendite einen entscheidenden Faktor spielt: Ist eine Liegenschaft noch gleich viel wert wie letztes Jahr? Hat es Investitionen gegeben? Sind Leerstände gesunken? Hat es infolge Indexanpassung Mietzinssenkungen gegeben? Diese Faktoren fliessen ebenfalls in die Rendite und stehen erst Ende Jahr fest.

Gemäss kantonaler Immobilienstrategie müsste die Regierung Zielvorgaben festlegen. Diese Vorgabe wurde in Bezug auf die Rendite allerdings nie umgesetzt. Weshalb?

Es ist schwierig und nicht sinnvoll, eine verbindliche Zielrendite im Voraus zu definieren.

Weshalb?

Weil die Rendite nicht voraussehbar ist. Man kann nicht Anfang Jahr festlegen, welche Rendite man Ende Jahr haben will. Den Cashflow ­können wir nicht ändern, denn wir können ja nicht von unseren Mieterinnen und Mietern mehr Miete ­verlangen, nur weil die Regierung mehr Rendite sehen will. Die Rendite unterliegt aber noch anderen ­Einflüssen wie Investitionen, Transaktionen oder Bewertung. Am Ende des Jahres müssen wir unser Port­folio so bewerten, wie es ist – und nicht so, wie jemand es haben möchte.

«Es ist verrückt, über welche Probleme wir uns Sorgen machen. Wir sind hier sehr privilegiert.»

Verlassen wir Basel: Sie waren vor einiger Zeit mehrere Jahre in Tansania. Inwiefern hat diese Zeit Sie geprägt?

Diese viereinhalb Jahre haben mich sehr geprägt und meinen Horizont erweitert. Ich will nicht überheblich sein, aber es ist manchmal schon verrückt, über welche Probleme wir uns hier Sorgen machen – Dienstleistung einer Firma oder Standard von Wohnungen. Es war spannend und lehrreich, ein anderes Land und eine andere Dimension von Problemen zu erleben – mir hilft dies, die Situation und ­Probleme hier bei uns ein bisschen relativieren zu können. Ich will ­damit aber nicht sagen, dass ich die ­Probleme hier nicht ernst nehme. Aber die Zeit in Tansania hat mir ­geholfen, eine neue Perspektive zu erhalten.

Was war in dieser Zeit für Sie ­besonders eindrücklich?

Die Substanz der Probleme und die Lebensfreude der Menschen. In Tansania hatte ich als Finanzverwalter einer Kirche laufend zu wenig Geld. Wenn wir Ende Monat die Löhne nicht zahlen konnten, war die Frage: Wie finanzieren unsere Mitarbeiter und ihre Familien im nächsten Monat ihr Leben? Wie gehen ihre Kinder zur Schule? Die Auswirkungen der Probleme waren existenzieller als bei uns. Wir sind hier sehr privilegiert.

Andreas Kressler: Andreas Kressler ist seit acht Jahren Leiter der Dienststelle Immobilien Basel-Stadt (ehemals Zentralstelle für staatlichen Liegenschaftenverkehr), die rund 600 Baurechtsparzellen und 250 Liegenschaften verwaltet sowie 70 Mitarbeitende zählt. Von 2000 bis 2005 war Kressler Departementssekretär beim Finanzdepartement. Von 1992 bis 1995 arbeitete er bei der Basler Staatskanzlei und ging danach für mehrere Jahre nach Tansania, wo er bei der «Moravian Church» als Finanzverwalter tätig war. Kressler studierte an der Universität Basel Jus und bildete sich 2002/03 zum Master of Business Administration weiter. Der 49-Jährige ist verheiratet und Vater zweier Töchter. Er lebt in der Nähe des Spalentors.

Artikelgeschichte

Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 23.08.13

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