Wir dürfen den Retter nicht zum Schlepper machen

Engagierte Flüchtlingshelfer landen heute im Gefängnis, weil sie unmenschliche Gesetze brechen. Dabei sind sie die Helden der Geschichtsschreibung von morgen.

Superhelden stehen oft am Rande der Legalität, aber das schmälert ihr Verdienst nicht, meint Knackeboul.

(Bild: Hans-Jörg Walter)

Engagierte Flüchtlingshelfer landen heute im Gefängnis, weil sie unmenschliche Gesetze brechen. Dabei sind sie die Helden der Geschichtsschreibung von morgen.

Nils Fiechter von der Jungen SVP hat Tamara Funiciello von der Juso angezeigt. Fiechter ist der Witzbold, der neulich vor dem Bundeshaus mit Burka verkleidet und mit umgehängter Sprengstoffgürtel-Attrappe für das Verhüllungsverbot warb, der aber trotzdem nach wie vor als Politiker ernst genommen werden möchte.

Was hat Frau Funiciello getan, damit sie sichs mit diesem Hüter von Recht und Ordnung verspielt hat? Sie hat sich für die Tessiner SP-Kantonsrätin Lisa Bosia Mirra ausgesprochen, die letzte Woche in die Schlagzeilen geriet.

Lisa Bosia Mirra wurde verhaftet und von gewissen Medien als Schlepperin bezeichnet, weil sie vier UMA geholfen hat, unerlaubterweise über die Schweizer Grenze zu gelangen. UMA steht für unbegleitete minderjährige Asylbewerber. UMA sind also Kinder und Jugendliche, die alleine auf monatelanger Flucht vor Krieg und Chaos sind.

Helden landen im Gefängnis

Jeder, der einmal ein solches Kind getroffen und ihm zugehört hat, wird das nie mehr vergessen. Unvorstellbare seelische und körperliche Qualen mussten und müssen diese Menschen durchmachen. Dabei schauen sie einem mutig in die Augen und fangen erst an zu weinen, wenn sie nicht von sich, sondern von den zurückgelassenen und vermissten Eltern, Brüdern und Schwestern erzählen. Lisa Mirra hat gegen das Gesetz verstossen, weil sie nicht mehr mitansehen konnte, wie diese Menschen nach ihrer schrecklichen Reise nun an der Grenze dahinvegetieren und niemand Verantwortung für sie übernimmt.

Dieses Szenario weckt bei mir folgende Erinnerung: Letztes Jahr war ich für ein paar Tage auf Lesbos, wo ich die kleine Schweizer Hilfsorganisation Schwizerchrüz bei ihrer Arbeit mit dort gestrandeten Flüchtlingen begleitete. Ich wurde Zeuge mehrerer dramatischer Szenen, bei denen Frauen und Kinder zu ertrinken drohten, aber auch von herzerwärmenden Rettungsaktionen und von Solidarität.

Unter anderem waren da diese bewundernswerten Rettungsschwimmer, die sich immer wieder freiwillig ins Wasser stürzten, um Boote zu bergen und Menschen vor dem Ertrinken zu retten. Manchmal zogen sie die in Not geratenen Boote an Land. Dies wurde ihnen später zum Verhängnis. Sie wurden deswegen, wie Lisa Bosia Mirra, der Schlepperei bezichtigt und verhaftet.

Länder wie die Schweiz, die 20-mal mehr Millionäre als aufgenommene Flüchtlinge vorweisen kann, verweigern sich der aktiven Hilfe für Flüchtende.

Würde man einen Film über diese Rettungsschwimmer drehen, sie würden vom Publikum euphorisch als Helden gefeiert. Nur haben die geretteten Frauen und Kinder in der Realität eben oft eine dunkle Hautfarbe und tragen vereinzelt Schleier. Oder sehr selten sogar diese Burkas, die der Witzbold Fiechter für seine fehlgeleitete Polit-Aktion missbrauchte. Als hätten wir in der Schweiz ein wirkliches Problem mit verhüllten Frauen (oder gar mit solchen, die sich in die Luft sprengen).

Die viel grössere Gefahr geht von Männern wie Fiechter aus, die eine unbegründete Panik vor Asylbewerbern schüren und somit das vernünftige und empathische Handeln der Bevölkerung zu ersticken drohen.

Europa versagt kläglich im Umgang mit der Flüchtlingsfrage. Eine unmenschliche, egoistische und unlogische Politik führt dazu, dass Tausende von Menschen ertrinken und Hunderttausende an Grenzen und in Lagen hungern und dahinvegetieren. Das Ganze ist so himmelschreiend ungerecht, dass jeder errötet und verzweifelt, der sich ein bisschen über das Thema informiert. Gerade Länder wie die Schweiz, die 20-mal mehr Millionäre als aufgenommene Flüchtlinge vorweisen kann, verweigern sich der aktiven Hilfe für Flüchtende.

Unter diesen Umständen werden eben solche Gesetzesübertretungen wie die von Lisa Bosia Mirra legitim und im Nachhinein, historisch betrachtet, vielleicht sogar zur Heldentat.

Früher wurden «Hexen» verbrannt

Nach diesem letzten Satz musste ich kurz meinen Kollegen Michael Räber von Schwizerchrüz nach seiner Meinung fragen. Er ist ein ehemaliger Militär und kein sogenannter Linker. Nachdem er aber vor etwas mehr als einem Jahr auf Geschäftsreise in Griechenland das Elend der dort gestrandeten Flüchtenden sah, hat er sich entschlossen zu helfen.

Er setzt sich seit über einem Jahr mit seinem Team aufopfernd für diese Menschen ein. Als Antwort auf die Frage, ob Lisa Bosia Mirra bei ihrer «Schmuggel-Aktion» mit den UMA seiner Meinung nach richtig gehandelt habe, schickte er einen Screenshot von einem Facebook-Post, den er zu diesem Thema gemacht hat. Der erste Satz lautet: «Nur faschistische Regimes kriminalisieren Menschen, die Kindern in Not helfen.»

Tamara Funiciello, die jetzt von Witzbold Fiechter angezeigt wurde, weil sie die Leute zur Nachahmung von Mirras Fluchthilfe-Aktion ermutigt, zitierte im gleichen Zusammenhang Bertolt Brecht: «Wenn Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht!»

Es gäbe eine Alternative zum Brechen unmenschlicher Gesetze: deren Abschaffung.

Ich sage es immer und immer wieder: Die Weltlage ist beunruhigend. Aber das Beunruhigende sind nicht nur die Millionen Menschen auf der Flucht, sondern vor allem auch der Unwille des Westens, dieses Elend zu lindern. Anstatt die zur Verfügung stehenden Mittel wie Wohlstand, Bildung und Infrastruktur zur Bekämpfung der Missstände einzusetzen, verschliesst man sich und wählt Populisten in führende Positionen, die für genau die Missstände mitverantwortlich sind.

Deshalb ist das Brecht-Zitat von Funiciello mehr als angebracht. Es gäbe übrigens eine Alternative zum Brechen unmenschlicher Gesetze: deren Abschaffung. Denn es war auch mal gesetzlich verankert, dass Schwarze nicht mit dem Bus fahren, Juden keinen Handel treiben, Frauen nicht abstimmen und sich zwei Männer nicht küssen dürfen. Oder dass man Verbrecher hängt und «Hexen» verbrennt.

Unmenschliche Gesetze zu überwinden ist ein Teil des menschlichen Fortschritts. Deshalb danke ich allen Menschen, die ihren Ruf, ihre Freiheit oder gar ihr Leben für eine gerechtere Gesellschaft aufs Spiel setzen!

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