Am Freitag vermittelten Ella Poljakova und Elena Popova in Basel einen Einblick in die Arbeit der «Soldatenmütter von St. Petersburg». Die Menschenrechtsorganisation setzt sich für die Rechte der Stellungspflichtigen und Armeeangehörigen und für die Stärkung der russischen Zivilgesellschaft ein.
Die russische Verfassung von 1993 garantiert nicht nur eine ganze Reihe von Menschenrechten. Sie gibt in Artikel 59 den Bürgern auch das Recht, statt Militärdienst einen zivilen Ersatzdienst zu leisten. «Allerdings», sagt Elena Popova, die bei den «Soldatenmüttern von St. Petersburg» Stellungspflichtige berät, «wissen das viele gar nicht. Und die Behörden haben kein Interesse daran, sie darüber zu informieren.»
Der Zivildienst dauert 9 Monate länger als der einjährige Militärdienst. Geleistet wird er in der Regel in Krankenhäusern, in Heimen – oder bei der Post. Wer einen Antrag auf Zivildienst stellt, muss dies frühzeitig tun, sonst wird er abgelehnt.
Unter Missachtung der Vorschriften
Es kommt auch immer wieder vor, dass Aushebungen unter Missachtung sämtlicher Vorschriften vorgenommen werden. So erhielt Elena Popova beispielsweise letzten Winter einen Anruf von einer Gruppe Studenten, die auf einen Polizeiposten gebracht worden waren, von wo sie ins Aushebungslokal verfrachtet werden sollten.
Als Elena Popova am Ort des Geschehens eintraf und die Nummern der Polizisten notierte, verzogen sich die Beamten rasch: «Sie wussten, dass sie etwas Unrechtmässiges getan hatten.» Es ging nicht lange, und die Studenten hatten die Ausweispapiere zurück und konnten nach Hause gehen. «Immerhin einer von ihnen hat darauf gegen die Polizisten geklagt; wir hoffen, dass solche Beispiele andere ermuntern, selbst zu handeln und ihre Rechte wahrzunehmen.»
Menschenwürde und Demokratie
Dieselbe Hoffnung motiviert auch Ella Poljakova, die Leiterin der «Soldatenmütter von St. Petersburg». Ihr Engagement für bessere Zustände in der russischen Armee hat seinen Ursprung in der Zeit, als die UdSSR auseinanderfiel und Teile des Militärs den Putsch gegen Gorbatschow unterstützten. Damals wuchs in ihr die Überzeugung, dass Russland nur eine Demokratie werden könne, wenn auch die starrsten Machtapparate wie die Polizei und die Armee verändert würden.
Dazu wollen die «Soldatenmütter von St. Petersburg» beitragen, indem sie Stellungspflichtige und Armeeangehörige beraten und für ihre Anliegen Öffentlichkeit schaffen. Das Selbstverständnis, mit dem sie dabei ans Werk gehen, umschreibt Ella Poljakova mit folgendem Satz: «Wir geben den Leuten Angeln, mit denen sie ihre Fische selber fangen können.» Das Ziel ist eine Demokratie, die die Würde des einzelnen Menschen achtet.
Putzlappen und «ausländische Agenten»
Das soll den «Soldatenmüttern von St. Petersburg» und zahlreichen anderen Organisationen der Zivilgesellschaft erschwert werden. Im vergangenen Jahr verabschiedeten nämlich die beiden Kammern des russischen Parlaments im Schnellverfahren ein Gesetz, das verlangt, dass alle NGOs, die finanzielle Unterstützung aus dem Ausland erhalten und «politisch» tätig sind, sich beim Justizministerium als «ausländische Agenten» registrieren lassen. Für sie gilt eine strenge Finanzkontrolle.
Ella Poljakova findet das absurd: «Wir sind keine ausländischen Agenten!» Die NGOs lehnen es denn auch entschieden ab, sich als solche registrieren zu lassen.
In der Folge sind verschiedene Behörden aktiv geworden. Bei den «Soldatenmüttern» hat vor einiger Zeit die Staatsanwaltschaft angeklopft, fand allerdings keine «ausländischen Agenten», wie Ella Poljakova nicht ohne ironischen Unterton erzählt. Anderes mutet schon fast kafkaesk an: «Bei der Organisation Memorial wurde das Gesundheitsamt vorstellig. Unter anderem wollten die Beamten wissen, wo die Putzlappen aufbewahrt würden. Zudem verlangten sie eine schriftliche Stellungnahme, was Memorial gegen allfällige Ratten im Gebäude unternehmen werde…»
Auch im Gebäude, in dem die «Soldatenmütter von St. Petersburg» ihre Räume haben, gibt es keine Ratten – Putzlappen dagegen schon. Für die scheint sich im Moment allerdings keine der Behörden zu interessieren. Kurz bevor Ella Poljakova und Elena Popova auf Einladung des Ökumenischen Forums für Glauben, Religion und Gesellschaft in Ost und West (G2W) für ein paar Tage in die Schweiz reisten, erhielten aber sie einen Fax von der Staatsanwaltschaft mit 23 Fragen, die sie nach ihrer Rückkehr zu beantworten haben.
Mag der Druck auf die NGOs und die Zivilgesellschaft zurzeit auch grösser werden, der Mut und die Entschlossenheit der beiden Frauen scheint ungebrochen zu sein. «Sehen Sie», sagte Ella Poljakova auf eine Frage an der Veranstaltung an der Uni Basel, «wir stehen in der Tradition der Menschenrechtler der 1960er-Jahre, die auf dem Roten Platz die Einhaltung der Verfassung verlangten. Aber heute sind wir Tausende.»