Die Schweiz streitet wieder darüber, ob in Polizeimeldungen und Medien die Nationalität von Kriminellen genannt werden soll oder nicht? Für die einen ist das eine Frage der Transparenz. Doch es gibt Vorbehalte.
Ein altes, offenbar schwer lösbares Problem ist wieder hochgekommen: Sollen Polizeimeldungen und in der Folge auch die Medienberichte bei kriminellen Taten die Nationalitäten der Täter nennen oder nicht? Die Frage ist darum wieder zu einem Diskussionspunkt geworden, weil zwei Zürcher Gemeinderäte (SP/GLP) in einem Postulat forderten, dass die Polizei die Nationalität von Kriminellen und ihren Opfern nur noch in Ausnahmefällen nennen dürfte.
Dankbar, aber mit deutlicher Ablehnung wurde dieser Vorstoss von der Presse aufgegriffen, zum Beispiel vom «Sonntagsblick» (online leider nicht verfügbar), aber auch vom sich gerne oft links-liberal positionierenden, in diesem Fall aber stramm volkstümlich reagierenden «Tages-Anzeiger». Wenige Tage später gab das gleiche Blatt auf der Leserbrief-Seite dann wieder etwas Gegensteuer mit dem Titel «Die Nennung von Nationalität ist reine Hetzerei».
Beide Positionen sind eigentlich bekannt: Die Befürworter von «voller» Information berufen sich auf das Transparenzgebot, verwahren sich gegen Geheimhaltung und gegen Zensur («Blick»); sie nehmen an, dass ein Verschweigen bloss zu übertriebenen Vermutungen führe. Die Gegner von Nennungen der Nationalität relativieren den Zusammenhang zwischen Tat und nationaler Herkunft und sehen in solchen Angaben eine Begünstigung von Fremdenfeindlichkeit. Sie erklären, dass man geradesogut die Augenfarbe angeben könnte.
Nationalität könnte am Rande eine Angabe mit Erklärungscharakter sein. Sie ist aber bei Weitem nicht die wichtigste.
Wem die Angabe der Nationalität unerlässlich erscheint, erliegt einer Fixierung auf einen Eckwert, der in der Regel wenig aussagekräftig ist. Dabei geht es ihm weniger um die Frage, ob jemand Deutscher oder eine Chinesin ist, sondern um die Feststellung, dass es sich um eine nichtschweizerische Person handelt. Dies in einer Gesellschaft, in der bald ein Viertel der Bevölkerung teils sehr gut, teils gewöhnlich, teils auch nicht gut integriert ist – wie übrigens, mehr oder weniger, auch die eingesessenen Ureinwohner dieses Landes.
In der Bekämpfung von abwertenden Klischeevorstellungen ist schon vorgeschlagen worden, nicht von Afrikanern zu sprechen, sondern den fraglichen Personen (wenigstens) eine Staatsbürgerschaft zu geben und sie so ein bisschen aufzuwerten. Damit verschiebt man die Kategorisierung jedoch bloss von einer grösseren in eine kleinere Pauschale. Ist Nigerianer oder Somalier besser? Es entspräche immerhin den Passangaben. Doch was sagen die aus?
Nationalität, dies sei nicht bestritten, könnte am Rande ebenfalls eine Angabe mit Erklärungscharakter sein. Sie ist aber bei Weitem nicht die wichtigste: Strafrechtsprofessor und SP-Nationalrat Daniel Jositsch weist in der jüngsten Debatte zu Recht erneut darauf hin, dass eine bestimmte Kombination von Geschlecht, Alter und sozialem Status eine signifikantere Erfassung abgebe und diese auch für Nichtfremde, also schlecht eingebettete Schweizer Jungmänner gelte.
«Wir» und die «Anderen»
Es sind weniger die konkreten Angaben (Deutsche oder Chinesen), die zu unguten nationalen Stereotypen führen, als die in unseren Köpfen tendenziell bestehenden Allgemeinunterscheidungen zwischen «uns» und den «Anderen». Diese Unterscheidung wird durch Einzelmeldungen bedient – natürlich nur in negativen Fällen – und führt zur Bestätigung negativer Pauschalen. Wird Nationalität in einem positiven Vorgang genannt – etwa: «Jugoslawe rettet Schweizerin aus brennendem Auto» –, kommt es kaum zu einer verallgemeinernden Positivvorstellung von Südosteuropäern.
Kräfte, die einen regelhaften Zusammenhang zwischen Bösem und Fremdem sehen, wollen zusätzlich wissen, ob es sich bei Tätern um Eingebürgerte, offenbar noch halbwegs Fremde handle. In diesem Sinne forderte die SVP, allerdings vergeblich, dass die Kriminalitätsstatistik des Bundes bis fünf Jahre nach der Einbürgerung den «Migrationshintergrund» nachweise.
Es gibt in der Schweiz keine einheitliche Praxis. Im November 2010 verabschiedete die Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten die Empfehlung, in Medienmitteilungen bei Tatverdächtigen und Opfern neben dem Alter stets auch die Nationalität anzugeben und davon nur abzusehen, wenn der Persönlichkeitsschutz dies erfordere. Noch vor wenigen Jahren hatte der Presserat genau diese Regelung als Verletzung des «journalistischen Diskriminierungsverbots» bezeichnet. Von Behörden wie von Medien wird zu Recht erwartet, dass sie Pauschalisierungstendenzen nicht fördern. Für die Tendenzen selber sind aber nicht sie verantwortlich, sondern die Gesellschaft insgesamt und damit jeder Einzelne von uns.
In der Statistik der Ausländerkriminalität wird oft nicht unterschieden, ob es sich um niedergelassene oder durchreisende Nichtschweizer handelt.
Im Kanton Solothurn, den man nicht mit dem antiislamistischen Motorradfahrer Wobmann gleichsetzen sollte, hat die Vox populi im März 2012 die Behörden gezwungen, jeweils Angaben zur Nationalität zu machen. Noch strenger ist St. Gallen, Kanton der famosen ehemaligen Vorsteherin des Sicherheits- und Justizdepartements Karin Keller-Sutter: Hier darf die Polizei sogar das ehemalige Heimatland von eingebürgerten Tätern bekannt geben. Basel-Stadt ist eher zurückhaltend. Nennung von Nationalitäten erfolgt, wenn man einen tatsächlichen Mehrwert erwartet.
Die in Zürich angestrebte Restriktion hätte nichts gegen Nationalitätendifferenzierung in Jahresstatistiken. Da sind allerdings ebenfalls zwei Vorbehalte am Platz: In der Statistik der Ausländerkriminalität wird oft nicht unterschieden, ob es sich um niedergelassene oder durchreisende Nichtschweizer handelt. Naheliegend ist, dass diese Pauschalkategorie dann 1:1 ganz auf die einheimischen Ausländer bezogen wird.
Der zweite Vorbehalt gilt dem problematischen Effekt, dass es als Folge von Erfahrungswerten zu einer speziellen Beargwöhnung eines Bevölkerungsteils und darum zu entsprechenden Registrierungen von Vergehen kommt. Dafür gibt es den Namen «racial profiling». Zugespitzt kann man zudem erklären, dass solche Statistiken nur über erfasste, vielleicht nicht einmal bis zu einer Verurteilung gelangte Taten etwas aussagt und nichts über gar nicht erfasste Taten, die es ebenfalls gibt. Wäre diesbezüglich ebenfalls eine Nationalitätendifferenz möglich?
Walliser Schirmherr Freysinger
Die Unterscheidung zwischen «uns» und den «Anderen» gibt es abgeschwächt auch innerhalb der Schweiz. Nicht überraschend hat der Walliser SVP-Sicherheitsdirektor Oskar Freysinger dies im März 2015 praktiziert, indem er seinen Kanton aufgrund des Quotienten «Straftaten pro Einwohner» mit dem besten Wert der westschweizerischen Kantone rühmte, um dann das wenig urbane Oberwallis als besonders vorbildlich zu präsentieren (Walliser Bote vom 23. März 2015).
Eine Frage stellt sich Freysinger allerdings nicht: Sind gute Sicherheitsverhältnisse das Resultat guter Polizeiarbeit und sind schlechtere Verhältnisse zum Beispiel im Unterwallis mit rund 80 Prozent der Walliser Straftaten die Folge des Umstands, dass dort mehr böse Kerle ihr Unwesen treiben? Für einmal nicht in nationaler, sondern lokalpatriotischer Manier ruft Freysinger via Medien den Kriminellen im schweizerischen Ausland zu, besser nicht ins Wallis «zu kommen».
Kriminalität und Nichtkriminalität verteilt sich offenbar unterschiedlich auf die Binnenverhältnisse. Lokalpatron Freysinger muss sein Wallis vor Kriminellen anderer Kantone (ob mit schweizerischer oder nichtschweizerischer Staatsbürgerschaft) schützen. Konsequenterweise müsste man bei jeder Untat eines Schweizers dessen kantonale Zugehörigkeit angeben, damit das gute Gesamtvolk weiss, woran es ist, wenn es mit einem Angehörigen dieses Kantons zu tun hat.
Dass es wesentliche Unterschiede zwischen uns Guten und den anderen Unguten gibt, ist primär eine Sache unserer Vorstellungswelt.
Der Walliser Staatsrat verwies stolz darauf, dass sein Kanton einen Sicherheitsindikator von niedrigen 4,23 Prozent im Vergleich zum hohen gesamtschweizerischen Durchschnitt von 6,46 Prozent habe. Allerdings musste er auch einräumen, dass es in der Schweiz noch besser Zonen gibt: Appenzell Innerrhoden mit 2,46 Prozent und Uri mit nur 2, 87 Prozent Untaten pro 100 Einwohner. Müssten die Polizeidirektoren dieser Kantone nicht unter anderem vor den Wallisern warnen?
Dass es wesentliche Unterschiede zwischen uns Guten und den anderen Unguten gibt, ist primär eine Sache unserer Vorstellungswelt. Wenn diese uns sagt, dass es wichtig sei, Ausländer als solche zu erkennen, haben wir ein Problem. Denn heutzutage ist nicht einmal mehr die Hautfarbe oder der Augenschnitt ein sicherer Indikator, um wen es sich handelt. Vielleicht würden da obligatorische Abzeichen abhelfen. Diese müssten ja nicht unbedingt gelb sein.