«Wir wollen Putins Machtmonopol brechen»

Jekaterina Samutsewitsch von Pussy Riot hat dem «Guardian» aus ihrer Zelle geschrieben. Das Urteil gegen sie und ihre Kolleginnen sieht sie als ein Zeichen für Putins Angst: «Der perfide Plan, uns durch die Inhaftierung zu brechen und mürbe zu machen, ist schon jetzt elendiglich gescheitert.»

Jekaterina Samutsewitsch (30) von Pussy Riot gibt sich weiterhin kämpferisch. (Bild: sda)

Jekaterina Samutsewitsch von Pussy Riot hat dem «Guardian» aus ihrer Zelle geschrieben. Das Urteil gegen sie und ihre Kolleginnen sieht sie als ein Zeichen für Putins Angst: «Der perfide Plan, uns durch die Inhaftierung zu brechen und mürbe zu machen, ist schon jetzt elendiglich gescheitert.»

Das Urteil, das gegen sie und zwei andere Mitglieder der Kreml-kritischen Punkband Pussy Riot verhängt wurde, habe sie nur noch entschlossener gemacht, für eine Ablösung Wladimir Putins zu kämpfen, schreibt Jekaterina Samutsewitsch aus dem Untersuchungsgefängnis. In einem Antwortbrief auf Fragen, die der britische «Guardian» der Band über deren Anwalt hatte zukommen lassen, beschreibt sie zum ersten Mal gegenüber westlichen Medien ihre Haftbedingungen und ihre Reaktion auf das Urteil. Die 30-Jährige sagt, sie habe keine Angst vor der zweijährigen Haftstrafe, die ein Moskauer Gericht gegen sie verhängt hat, weil sie in einer orthodoxen Kirche in Moskau einen Anti-Putin-Song aufgeführt haben. «Natürlich haben wir nicht erwartet, freigesprochen zu werden», schreibt sie. «Du kannst von einem Gericht keine Gerechtigkeit erwarten, das alle deine Einwände ignoriert hat. Deshalb waren wir nicht schockiert und fielen zum Ärger unserer Gegner auch nicht in Ohnmacht, als das Urteil verlesen wurde.»

Das Justizsystem hängt von Putins Macht ab

Samutsewitsch, die 24-jährige Maria Alechina sowie die 22-jährige Nadeschda Tolokonnikowa wurden infolge ihres Auftritts im Februar wegen «Rowdytums aus religiösem Hass» verurteilt, obwohl sie darauf beharrten, es haben sich dabei um eine Form politischen Protestes gehandelt. Der blitzschnelle Prozess, der ihnen gemacht wurde, und der von Verfahrensverstössen und Absurditäten gekennzeichnet war, hat die Aufmerksamkeit des Westens darauf gelenkt, wie in Russland mit Regierungskritikern umgegangen wird.

«Mehr als sonst etwas hat unser Prozess gezeigt, wie stark das Justizsystem von der Macht Putins abhängt, was bei einer Regierung, die sich demokratisch nennt, eindeutig nicht der Fall sein sollte», so Samutsewitsch. Pussy Riot und ihre Unterstützer werfen Putin und der einflussreichen Russisch-orthodoxen Kirche vor, den Fall gegen sie zu inszenieren. «Unser Urteil zeigt, wie sehr Putins Regime jeden fürchtet, der in der Lage ist, seine Legitimität zu untergraben», so Samutsewitsch. Sie äußert sich abfällig über die immer konservativere Politik der Regierung und die durch Betrugsvorwürfe belasteten Parlamentswahlen im Dezember 2011. Nur zwei Monate nach Putins Ankündigung, er werde nach vier Jahren als Premierminister wieder ins Amt des Präsidenten zurückkehren, waren die Wahlen der Auslöser mehrerer Massenproteste, die die Hauptstadt seitdem erlebt hat.

Im schlimmsten Fall droht ihnen Arbeitslager

Die radikal-feministische Band Pussy Riot ist aus den Protesten hervorgegangen. Fast ein Jahr nach ihrer Gründung gehören die drei inhaftierten Mitglieder des anonymen Kollektivs heute zu den bekanntesten politischen Gefangenen Russlands. Zwei weitere Mitglieder der Gruppe sind Berichten zufolge aus Angst vor weiteren Repressalien geflohen. Samutsewitsch, Alechina und Tolokonnikowa befinden sich seit ihrer Verhaftung im März in einem Untersuchungsgefängnis im Süden von Moskau und werden auch weiterhin dort bleiben, solange der Revisionsantrag ihrer Anwälte läuft. Wird der Antrag abgelehnt, werden sie für den Rest ihrer zu verbüssenden Haftzeit in ein Arbeitslager für weibliche Gefangene verbracht, in dem sie leichte Arbeiten zu verrichten haben.

«Wir sind in speziellen Zellen untergebracht, von denen jede für vier Leute vorgesehen ist. Jede von uns in einer anderen, die sich auf verschiedenen Stockwerken befinden», ist dem winzigen Gekritzel Samutsewitschs zu entnehmen. «In meiner Zelle sind noch drei andere Insassinnen, die wegen Wirtschaftsdelikten hier sind. Es sind ruhige, intelligente Leute, die mich und die Ideen unserer Gruppe unterstützen. Das ist nicht überraschend, denn jetzt muss man schon blind sein, um nicht zu sehen, dass Putins Regime seit dem 12. März zu direkt repressiven Maßnahmen übergegangen ist, angefangen mit einer breit angelegten Kampagne gegen alle Oppositionellen, von denen unsere Gruppe zu den ersten gehörte, die zu Fall gebracht wurden.»

Eine besonders schwierige Prüfung

Regierungskritiker sprechen von einer verstärkten Einschüchterungskampagne seit Putins kontroverser Wiederwahl im März. Auch gegen weitere Aktivisten, einschliesslich des Oppositionsführers, Alexei Nawalnj, wurde Anklage erhoben.

«Wir sind mental darauf vorbereitet, ins Gefängnis zu gehen», so Samutsewitsch. «Ich kann nichts Super-Beängstigendes daran finden, eineinhalb Jahre absitzen und arbeiten zu müssen. Ich denke, das wird wie eine Art besonders schwierige Prüfung für uns. Wir haben schon die vergangenen fünf Monate relativ locker genommen und der perfide Plan der Behörden, uns durch die Inhaftierung zu brechen und mürbe zu machen, ist schon jetzt elendiglich gescheitert.»

Die russische Bevölkerung ist gespalten

«Putin hat nun ganz persönlich das Problem, dass die Leute nicht länger seinen starken Arm und seine Autorität sehen, sondern seine Angst und Unsicherheit angesichts der fortschrittlichen Bürger Russlands, die mit jeder Maßnahme wie dem Urteil gegen uns zahlreicher werden“, so Samutsewitsch.

Der Prozess hat die russische Gesellschaft weiter gespalten – die hauptsächlich liberale Stadtbevölkerung auf der einen und die traditioneller orientierten Bewohner des russischen Kernlandes, die sich von der Aktion der Frauen beleidigt fühlten, auf der anderen Seite. Doch die Gegnerschaft zu Putin wächst weiter an. Eine aktuellen Umfrage des Levada Centre zufolge will die Hälfte aller Russen, dass er nach Ende seiner sechsjährigen Amtszeit zurücktritt.

Die Zukunft der Band ist ungewiss

Pussy Riot haben bei ihren Auftritten auf Missstände in der russischen Gesellschaft aufmerksam gemacht, von Putins wachsendem Autoritarismus bis hin zu seinem engen Verhältnis zur orthodoxen Kirche. Samutsewitsch schreibt, die drei würden im Gefängnis nicht an weiteren Songs arbeiten. «Hier im Untersuchungsgefängnis herrscht keine wirklich kreative Atmosphäre. Für die kommenden anderthalb Jahre werden wir in Bezug auf unserer kreative Konzertarbeit wohl weiterhinmüssen.»

Die Zukunft der Frauen in der Gruppe stehe infrage. «Im Augenblick lässt sich schwer voraussagen, was wir machen werden, wenn wir draussen sind. Natürlich würde ich gern mit der gleichen Art von musikalischen Darbietungen weitermachen, mit denen wir angefangen haben. Bislang weiss ich aber nicht, ob die durch unsere Verhaftung veränderten Bedingungen das auch zulassen werden. Was ich aber mit Sicherheit sagen kann, ist, dass wir immer noch begierig darauf sind, Russland in Richtung anti-autoritärer linker Ideen zu verändern. Unsere Leidenschaft und die von vielen Bürgern dieses Landes, Putin das Machtmonopol zu entreissen, brennt sogar noch stärker – jetzt, wo sein Bild nicht länger so total und schrecklich erscheint. Tatsächlich handelt es sich dabei nur um eine Illusion, die von den Meinungsmachern auf den Kanälen des staatlichen Fernsehens erschaffen wurde.»

© Guardian News & Media Ltd 2012; Übersetzung: Holger Hutt

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