Wochenendlich auf Dürrenmatts Spuren

Wo Dürrenmatt lebte, lässt es sich herrlich wandern. Der Genussmensch mochte es, von Reben und Wald umgeben die Aussicht auf Neuchâtel und Bielersee zu geniessen. Die Region machte er auch zum Tatort in seinem Krimi «Der Richter und sein Henker».

(Bild: Marc Krebs)

Wo Dürrenmatt lebte, lässt es sich herrlich wandern. Der Genussmensch mochte es, von Reben und Wald umgeben die Aussicht auf Neuchâtel und Bielersee zu geniessen. Die Region machte er auch zum Tatort in seinem Krimi «Der Richter und sein Henker».

Man sah es ihm an, Friedrich Dürrenmatt, dass er ein Genussmensch war. Er ass und trank nicht nur gern, er genoss auch die Weitsicht. So verbrachte er den grössten Teil seines Lebens in Neuchâtel in einem Haus über der Stadt, mit Blick auf den See. Hier fand er die Privatsphäre und Rückzugsmöglichkeit, die er sich als Familienvater und Denker wünschte. 

Man kann sich heute noch ein Bild davon machen, wo er 38 Jahre lang lebte. Denn Jahre nach seinem Tod wurde das alte Familienhaus von Stararchitekt Mario Botta erweitert und als Bundesmuseum für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht: als Centre Dürrenmatt.

Ein ganzes Museum für Dürrenmatt 

Hier starten wir unser Wochenende auf seinen Spuren, schauen uns seine Bilder an – er malte ebenso gerne wie er schrieb – und auch Memorabilia wie sein Teleskop, mit dem er manchmal sogar die Spiele von Neuchâtel Xamax im Maladière-Stadion mitverfolgt haben soll.

Im Centre Dürrenmatt.

Im Centre Dürrenmatt. (Bild: Marc Krebs)

Für den Besuch im Reich Dürrenmatts empfiehlt es sich, vorgängig einige Bücher von ihm gelesen zu haben, denn Vorwissen erleichtert das Verständnis der Notizen, Zeitungsausschnitte, der Zusammenhänge seines künstlerischen Lebens, die hinter zahlreichen Vitrinen mit Informationen ergänzt werden.

Die museale Auseinandersetzung ist weitgehend stiller Natur, ein besonderes Vergnügen ist der Zugang zu seiner privaten Bibliothek, den man uns auf Wunsch gewährt. Hier soll er gerne Gäste empfangen haben.

Dürrenmatts private Bibliothek. (Bild: Marc Krebs)

Wir streifen mit den Augen durch die Regale, da liegt Goethes gesammeltes Werk, gleich darunter jenes von Karl May. Wie sympathisch: Dürrenmatt kannte keine literarischen Berührungsängste.

Dürrenmatt kannte keine Berührungsängste: Er las Goethe wie auch Karl May.  (Bild: Marc Krebs)

Die Natur als Heimat

Danach spazieren wir hinauf, zum Rocher de l’Ermitage, einem Fels mit Ausblick über Stadt und See, zu dem uns der Waldweg von seinem Haus führt. Hier fühlte er sich zu Hause. «Das Tal, worin ich wohne, vermittelt mir Heimatgefühle. Der Wald, in dem ich spazieren gehe. Neuchâtel aber ist mir fremd», sagte Dürrenmatt einst.

So lassen auch wir Neuchâtel südlich liegen und fahren weiter zum Bielersee, zu den Dörfern, die Dürrenmatt in seinem Kriminalroman «Der Richter und sein Henker» verewigt hat: Lamboing alias Lamlingen wird im Buch als gottverlassenes Dorf beschrieben. Und tatsächlich bietet es wenig, ein Durchgangsort, wo wir ein bisschen enttäuscht zur Kenntnis nehmen, dass ein Stück «Hamme» (Berner Schinken) wie zu Dürrenmatts Zeiten nicht mehr auf der Speisekarte der Dorfbeiz zu finden ist. Wurst-Käsesalat, immerhin. Vielleicht ändert sich das ja im nächsten Jahr, wenn in dieser Region «Der Richter und sein Henker» an den literarischen Tatorten zur Aufführung gebracht werden soll.

Ist das etwa die Mordwaffe aus Dürrenmatts Krimi? (Bild: Marc Krebs)

Am nächsten Morgen starten wir in Magglingen. Man kennt das Dorf aus den Sportnachrichten: Hier werden Schweizer Spitzensportler ausgebildet und ihre Trainingsmethoden verfeinert, hier liegt auch das «End der Welt» (wo man sich auch im gleichnamigen Restaurant verpflegen kann).

Wandern über dem Bielersee, bis ans End der Welt. (Bild: Marc Krebs)

Ein Waldweg und später eine grosse Lichtung, vorbei an saftigen Wiesen, führt uns Richtung Twannbachschlucht. «Die Tannen schoben sich ihnen entgegen, endlose Säulen im Licht», schreibt Dürrenmatt im Krimi und erwähnt das Wasser, das Kommissar Bärlach in der Tiefe rauschen hört, als er zum Tatort fährt. 

Ziemlich magisch: die Twannbachschlucht. (Bild: Marc Krebs)

In der tiefen Schlucht

Wir tauchen ein in die Schlucht, die einen die Zivilisation auf wunderbare Weise vergessen lässt, stechen in die Tiefe, die kein Ende zu nehmen scheint, bis wir oberhalb des idyllischen Winzerdörfchens Twann in der Sonne herauskommen.

Im Rebbaugebiet von Twann. Schön! (Bild: Marc Krebs)

Nach einem Zwischenstopp bei der örtlichen Vinothek, wo wir uns nach drei Stunden mit einem lokalen Chasselas-Weisswein belohnen, ehe wir – es ist noch sommerlich heiss bei unserem Besuch –, ein Bad im See nehmen. Und jetzt? 

Dass die Welt nicht zu berechnen ist, der Zufall eine Rolle spielt, das ist der Hintergrund in einem anderen Krimi von Dürrenmatt: «Das Versprechen», auch bekannt unter dem Filmtitel: «Es geschah am hellichten Tag» (mit Gert Fröbe in der Rolle eines Unholds). Und dass auch in einer von Google geprägten Welt nicht alles zu berechnen ist, zeigt sich jetzt. Wir entscheiden uns spontan, noch weiter zu gehen, den Wandertag im Restaurant «Aux 3 Amis» in Schernelz zu beenden, jenem Dorf, in dem Dürrenmatt einige Jahre gelebt hat.

Der steile Aufstieg

Allerdings ziehen sich diese letzten Kilometer, zunächst dem See entlang Richtung Ligerz, dann gefolgt von einem steilen Aufstieg in den Rebberg. Mit einem Baby am Rücken geht dieses Finale an die Substanz. Der Kraftakt lohnt sich dennoch, allein der Anblick der prächtigen kleinen Kapelle von Ligerz ist pittoresk, am Ende kommen wir in der Höhe von Schernelz an, belohnen uns mit einem herrlichen Abendessen unter einer Pergola und geniessen das fantastische Panorama. Wie beschrieb Dürrenmatt doch die abendliche Aussicht in «Der Richter und sein Henker»:

«Über der Petersinsel standen einige Sterne. Im Wasser spiegelten sich die Lichter, und über den See raste ein Motorboot. Vor ihnen in der Tiefe lag Twann und dahinter Ligerz.» 

Momoll, man versteht gut, warum der grosse Fritz die Aussichten auf Neuenburger- und Bielersee dem Leben in der Stadt vorgezogen hat. 

 

Erkunden: Dürrenmatts Bilder, Zuhause und Leben im Centre Dürrenmatt (74, chemin du Pertuis-du-Sault) über Neuenburg.

Erwandern: Die Twannbachschlucht. Mit dem Bähnlein von Biel nach Magglingen rauf und dann dem Twannbach entlang an den See runter. Elf traumhafte Kilometer!

Degustieren: Die Vinothek Viniterra liegt am Fusse der Rebberge von Twann. Hier, im restaurierten Pfropfhüsli, findet sich eine grosse Auswahl an lokalen Weinen. 

Verpflegen: Im «Aux 3 Amis» in Schernelz gibts Felchenfilet aus dem Bielersee. Am schönsten auf der wunderbaren Terrasse mit Blick auf See, Petersinsel – und bei bestem Wetter gar Eiger, Mönch und Jungfrau.

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