Wochenendlich in Madrid

In Spaniens Hauptstadt rückt man im Winter zusammen. Man hat Zeit – und Warten gehört hier zum Leben.

In Spaniens Hauptstadt rückt man im Winter zusammen. Man hat Zeit – und Warten gehört hier zum Leben.

Madrid fängt so an, dass sich ein brauner Mischling vor einen an die Parkbank setzt, seine Ohren aufstellt und einen bohrenden Blick aufsetzt. «El perro», sagt der Besitzer, ein freundlicher alter Mann, «siempre quiere descansar aqui». Der Alte fordert uns auf, Platz zu machen für seinen Hund, der hier seit Jahr und Tag eine Pause einlegt. Also schön, Madrid hat nicht auf uns gewartet.

Als Tourist mischt man sich immer ein bisschen ein in das Leben einer fremden Stadt. Madrid lässt sich davon nicht aus dem Rhythmus bringen.
Die als Touristenfallen verschrienen Tapasbars in den Huertas sind abends rappelvoll. Für den im Reistopf in Tomatensauce schmorenden Pulpo, für die in grobem Salz gewendeten und gebratenen grünen ­Paprikaschoten, die mit Knoblauchöl servier­ten deftigen Schweinswürste im «Maceira» stehen auch die Madrilenen Schlange.

Wobei das wiederum nichts heissen muss: Madrilenen macht das Warten anders als ihren Hunden nicht viel aus. Sie stehen am grossen Boulevard Paseo del Prado um drei Häuserblocks, zu Hunderten. «Tag der offenen Tür im Parlament», erklärt Javier, der es fast vor den Eingang geschafft hat. «Für uns ist das etwas Besonderes.»

Das institutionelle Madrid war über Jahrzehnte sehr verschlossen, Franco, ETA-Terror, zuletzt die Islamisten. Die Zeiten sind endlich vorbei. Die Stadt atmet ihre Freiheit in vollen Zügen. Überwältigende Massen wälzen sich von der Puerta del Sol in die Einkaufsstrassen. Vor der gigantischen Disco Joy Eslava stehen wieder Hunderte. Diesmal Teenager, die bereits zwei Stunden vor Öffnung anstehen. Vor dem Eingang einer Kapelle lassen sie rücksichtsvoll eine Lücke, damit die Kirchgänger passieren können.

Alle rücken zusammen in Madrid im Dezember, in der Kälte des kastilischen Winters und im Frost der Rezession. Im Inka­restaurant El Inti de Oro wird gerade der Kaffee serviert. Pedro aus Lima, vom Lokal bezahlter Barde, hat einen guten Tag. «Es ist Zeit für den Condor», verkündet er feierlich. Eingeweihte bestellen nochmals nach. Für den Condor muss man sich Zeit nehmen: Die Nummer dauert 20 Minuten.

Madrid wartet – Madrid lässt warten. Näher ist man nie am Takt einer Stadt. Und Madrid erwartet – ein bisschen Geduld nur. Dann gibts ein ganz schönes Wochenende. Eines, für das man eigentlich zwei braucht.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 09/12/11

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