Wochenendlich in Venedig

In Venedig ist wieder Karneval. Noch schöner aber ist die Stadt dort, wo es ruhig bleibt.

La Dolce Vita: Aperol-Spritz, das Stadtgetränk Venedigs, und Gondeln im Nebel. (Bild: zVg/iStock)

In Venedig ist wieder Karneval. Noch schöner aber ist die Stadt dort, wo es ruhig bleibt.

In Venedig entscheidet die Masse, in welche Richtung man gespült wird – bis zu 20 Millionen Menschen besuchen die Stadt pro Jahr. Sie hetzen durch die Gassen, kippen auf der Piazza San Marco einen Cappuccino für acht Euro und reisen weiter. Nur während ein paar Wochen, wenn die Biennale und das Filmfestival, die Hipster und die Schauspieler abgezogen sind, wenn die Reisecars nicht kommen, weil der Karneval noch nicht begonnen hat und das Wetter zu kalt, zu feucht, zu neblig ist, herrscht hier Ruhe. Es ist dann so leise, dass man den Regen und die Bäume rauschen hört.

Im Nebel verirren

An einem solchen Wochenende sollten Sie idealerweise Venedig besuchen oder jetzt, während des Karnevals, unsere Tipps nutzen, um dem Rummel zu entgehen. Werfen Sie als Erstes den Stadtplan weg. Was soll Ihnen schon passieren? Drögeler und Bewaffnete gibt es hier nicht. Geniessen Sie es, dass Sie sich im Nebel verirren und stundenlang in den Sestiere (so nennt man die sechs Viertel, also «Sechstel») umherlaufen können, ohne von Autos überfahren zu werden.

Wagen Sie sich etwa ins Sestiere Castello. Dort, wo jetzt die Pavillons der Biennale und die Giardini still und verlassen herumstehen. Spazieren Sie der Via Garibaldi entlang, eine hübsche Strasse mit Pasticcerie, Krämerläden und Bars, wo die alten Fischer und reichen Gondoliere das Stadtgetränk Aperol-Spritz trinken. Die kleinen Hintersträsschen der Via Garibaldi sind, wenn die Sonne scheint, übrigens auch im Winter wahre Betttuch-Paraden.
An der Via Garibaldi befindet sich auch die Osteria Al Garanghelo (Via Garibaldi 1621), wo traditionelle venezianische Speisen serviert werden – süss-saure Sardinen, gefüllte Oliven, Stockfisch.

Im Bacari schlemmen

Allgemein gilt hier in Sachen Restaurants: sich auf die typischen Bacari (Osterien) konzentrieren und ausprobieren. Dass Ihnen die Venezianer ein gutes Restaurant verraten, können Sie vergessen. Die wenigen Orte, wo sie unter sich sein können, behalten sie für sich. Sollten Sie in einem schlechten Lokal landen – es gibt einfach zu viele «pseudo-authentische» Restaurants – streichen Sie es für immer von der Liste. Oder aber Sie betrinken Ihren Frust in der Enoteca Mascareta. In der geselligen Weinbar von Mauro Lorenzon mitten in der Stadt, in der man auch kleine Speisen zu sich nehmen kann, betrinken sich Touristen und Einheimische.

Falls Sie danach noch gerade laufen können, bummeln Sie durch die Calle Stretta, die engste Strasse der Stadt, deren nur 65 Zentimeter Breite auch sommers garantiert frei von amerikanischen Touristen sind. Geniessen Sie die Totenstille auf dem schönen Campo Bandiera e Moro. Hier steht eine der wenigen unverschnörkelten Kirchen der Stadt, die spätgotische Kirche San Giovanni in Bragora.

Wenn Sie das klassische Venedig immer noch reizt, bestellen Sie einen Drink in der berühmten Harry’s Bar oder besuchen Sie ohne Warteschlangen die Galleria d’Acca­demia. Dann hauchen Sie der Stadt ein leises Ciao zu. Das Wort ist wohl das berühmteste Souvenir von Venedig, wenn nicht von ganz Italien. Es leitet sich vom venezianischen Ausdruck s-chiàvo (Sklave) ab und ist eine Verkürzung des Ausdrucks «servo suo, sono vostro schiavo» («Herr, ich bin Ihr Sklave»). Kein Wunder, bleiben wir, die Touristen-Sklaven, ein Leben lang Venedig verfallen.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 03.02.12

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