Wutbürger ficken das System

Schluss mit Abstimmungen über Nonsens: Knackeboul hat keinen Bock mehr, mit Wutbürgern über Forderungen zu diskutieren, die jeder Vernunft spotten.

Wer lässt schon ein brennendes Ölfass im Wohnzimmer stehen? Genau das tun wir derzeit mit unserer Demokratie.

(Bild: Nils Fisch)

Schluss mit Abstimmungen über Nonsens: Knackeboul hat keinen Bock mehr, mit Wutbürgern über Forderungen zu diskutieren, die jeder Vernunft spotten.

Letztens habe ich auf meinem Facebook-Profil einen Post platziert:

«Wenn man gemeinsam eine Wohnung einrichtet, diskutiert man darüber, welches Möbel warum wo stehen sollte. Trägt aber jemand ein brennendes Fass herein, schmeisst man es sofort mit vereinten Kräften raus. Keine Diskussion!»

Das war als Metapher gedacht. Zum Absichern lieferte ich die Erklärung gleich nach:

«Die Wohnung ist unsere Demokratie, die Möbel sind politische Themen. Das Fass ist die Durchsetzungsinitiative.»

Trotzdem verstanden scheinbar nicht alle, was ich damit sagen wollte. Deshalb hier in aller Deutlichkeit:

Ich bin es leid, über Nonsens abzustimmen. Themen zu diskutieren, die mit einem Wort aus der Welt geschafft wären. Zum Beispiel mit dem Wort Humanismus. Oder Aufklärung. Menschenrechte, Gerechtigkeit, Gleichberechtigung, Ko-Existenz oder ganz einfach: Vernunft.

Rechte Bünzlis benehmen sich wie Punks. Nur dass Punks sich gern für Gerechtigkeit, gegen Sexismus und manche sogar für Veganismus einsetzen.

Das Wort Vernunft wirkt irgendwie verstaubt. Es mutet mich eher konservativ an. Wäre das nicht ein gutes Wort für die Rechte? Aber was sehen wir? Ausgerechnet die konservativste und grösste Partei unseres perfekten, sauberen, pünktlichen, höflichen Landes kokettiert mit dem puren Gegenteil von Vernunft. Ihre Plakate und Parolen strotzen vor Unvernunft, Grössenwahn, Ignoranz, Trotz und Obszönität und stehen so in faulig befruchtender Wechselwirkung mit den Parolen von Wutbürgern, Stammtisch-Proleten und Kommentarspalten-Vergewaltigern*.

Und wie reagiert die Linke? Sie beruhigt, startet Deeskalationsversuche, weist auf gute Manieren hin und empört sich ob der Tonalität der rechten Haudegen, die sich irgendwie den Weg ins Bundeshaus freigeknüppelt haben. Was ist da los? War es nicht einst die Paradedisziplin von Linksaussen, einen Fick aufs System zu geben? Da hat ein krasser Paradigmen-Wechsel stattgefunden.

Dieser ist nicht nur in der Schweiz zu beobachten, sondern weltweit. Berlusconi und Sarkozy haben es vorgemacht. Erdogan, Putin, Trump! Alles rechtskonservative Bünzlis, die sich benehmen wie die letzten Punks. Nur dass Punks sich gern für mehr Gerechtigkeit, gegen Sexismus und manche sogar für Veganismus einsetzen, und die Wutbürger diesen edlen Wilden die Schamesröte ins Gesicht treiben würden.

Die Wutbürger sehen sich trotz ihrer vor Rassismus und Gewalt strotzenden Äusserungen als Hüter von Sitte und Ordnung.

Dieser verwirrende Paradigmenwechsel ist überall zu beobachten. Immer wieder geht mir beim Zeitunglesen der Satz durch den Kopf: «Die Superreichen sind die neuen Anarchisten.» Sie scheissen auf die Regeln der modernen Gesellschaft. (Bitte entschuldigen Sie meine Fäkalsprache, aber ich versuche hier gerade die Provokation wieder dahin zu ziehen, wo sie hingehört. – Im Ernst, Knack? Zum Lieblings-Schwiegersohn-Rapper der Nation?! Na, egal!)

Auf jeden Fall geht die Liste der Widersprüche noch weiter: Die Wutbürger sehen sich trotz vor Rassismus und Gewalt strotzenden Äusserungen als Hüter von Sitte und Ordnung in unserer guten alten Schweiz. Gleichzeitig glauben ein paar Trend-Terroristen mit Bärten, mit Köpfen von Ungläubigen und Vergewaltigungen einen Gottesstaat errichten zu können.

Ich bin abgeschweift. Aber in diese Welt der Widersprüche passt die Durchsetzungsinitiative wie die Faust aufs rechte, blinde Auge. Sie fordert, dass Menschen, die sich nicht benehmen können, von hier verschwinden müssen. Dabei können sich die Initianten selber nicht benehmen und agieren an der Grenze zur Gesetzeswidrigkeit.

Gestandene Politiker, Intellektuelle und Experten müssen in öffentlichen Diskussionen mit zwängelnden Lümmeln streiten.

Und dann wollen uns landesweit bekannte Musiker und Komiker in 20-Minuten-Kommentaren weismachen, das Ziel der Demokratie sei nicht Gerechtigkeit, sondern die Durchsetzung des Volkswillens oder einfach die Wahrung des inneren Friedens. Aber was ist die trotzige Wahrung des inneren Friedens in Zeiten der Globalisierung anderes als eine Diktatur einer Interessengruppe?

Kein Wunder musste Simonetta Sommaruga in ihrer sonst differenzierten Rede gegen die Durchsetzungsinitiative beschwichtigend betonen, dass ja alle Anliegen der rechten Polterer mit dem Gesetz zur Ausschaffungsinitiative bereits umgesetzt seien, obwohl die ursprüngliche Initiative fast gleich unmenschlich und dumm war wie die jetzige. Gestandene Politiker, Intellektuelle und Experten müssen in öffentlichen Diskussionen und Fernsehsendungen mit zwängelnden Lümmeln streiten. Obwohl jeder nur ansatzweise kritisch denkende Mensch die Menschenverachtung und Unvernunft ihrer Initiativen und Vorstösse auf Anhieb entlarvt.

So wird der aufgeklärte Teil der Menschheit auf ihrem Weg in die Mündigkeit, zu mehr Gerechtigkeit und Chancen für alle, immer wieder aufgehalten von stupiden pseudo-politischen Vorstössen, die man an sich gar nicht diskutieren müsste. So wie man nicht darüber diskutieren muss, wie man denn Mord, Folter oder Vergewaltigung in die Gesellschaft integrieren könnte. Die Antwort lautet: Gar nicht! Keine Diskussion. Diese Grausamkeiten haben in einer modernen Gesellschaft nichts zu suchen. Dasselbe gilt für Rassismus und Diskriminierung und darum auch für die Durchsetzungsinitiative.

*PS: Falls Sie sich fragen, wer denn eigentlich mit «Kommentarspalten-Vergewaltiger» gemeint ist: Damit bezeichne ich jene Wutbürger, die jede gesellschaftliche Diskussion mit plumpen Parolen zumüllen. Vor allem die, die zum Beispiel jedem DSI-Nein-Stimmer mit Beispielen ausländischer Vergewaltiger kommen.
Diese Durchsetzungs-Diskussion ist derart von ausländischen Vergewaltigern geprägt, dass man fast vergessen könnte, dass ein grosser Teil der sexuellen Missbräuche in Familien, Vereinen, Kirchen und anderen sehr inländischen Institutionen passiert. Oder man vergisst, dass es in der Schweiz bis vor einigen Jahrzehnten noch Verding-Kinder gab, die ganz schweizerisch versklavt, misshandelt und auch vergewaltigt wurden. Vergewaltigung muss man mit allen Mitteln bekämpfen, aber der Irrglaube, dass man sexuelle Gewalt ausschaffen kann, wird sich hoffentlich nicht durchsetzen.

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