Zahltag für die Rechtspopulisten

Bei den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern haben es die Protestwähler «denen da oben» gezeigt. Die wahre Gefahr aufgrund der Erfolge der Rechtspopulisten ist, dass die Mitte-Parteien sich auch nach rechts verschieben.

Top candidate Leif-Erik Holm of the anti-immigration party Alternative for Germany (AfD) waves from a boat after first exit polls during the Mecklenburg-Vorpommern state election at the party post election venue in Schwerin, Germany, September 4, 2016. REUTERS/Joachim Herrmann

(Bild: Reuters/JOACHIM HERRMANN)

Bei den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern haben es die Protestwähler «denen da oben» gezeigt. Die wahre Gefahr aufgrund der Erfolge der Rechtspopulisten ist, dass die Mitte-Parteien sich auch nach rechts verschieben.

Eine Geistesgrösse, wahrscheinlich wars Friedrich Hölderlin, hat einmal gesagt, dass nur unerwartetes Unglück schrecklich sei. Das am letzten Wochenende im deutschen Bundesland Mecklenburg-Vorpommern eingetretene Abstimmungsunglück war vorauszusehen. Von den Medien wurde es trotzdem als Mega-Sache eingestuft, weil die grosse Kanzlerin – «mächtigste Frau Europas» – in diesem kleinen Land abgestraft wurde, ihrer eigenen Urheimat. 

Die Alternative für Deutschland (AfD) hat die CDU um 1,8 hochgerechnete Prozent Wählerinnenstimmen überrundet. Die Sensationsmeldung fusst einerseits auf der Tatsache, dass die CDU wegen gut 14’000 Stimmen vom zweiten auf den dritten Platz abgerutscht ist, und zum anderen darauf, dass die rechtspopulistische Bewegung von null auf 20,8 Prozent katapultiert wurde und jetzt hinter der SPD zweitstärkste Kraft im Land ist. Das eine ist kein Problem, das andere schon. 

Für die gleichgesinnte Marine Le Pen vom französischen Front National war der Sieg der AfD eine gute Gelegenheit, per Twitter zum Sieg über die bürgerliche CDU zu gratulieren und internationale Verbundenheit zu markieren. Für die österreichischen Rechtsnationalen ist es ein Hoffnungszeichen, dass sie am 2. Oktober mit Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer das Rennen machen könnten.

Grosse Aufregung, wenig Änderungen

Die für Dramatisierung schnell zu habenden Medien diagnostizierten für die Kanzlerin Debakel, Desaster und Demütigung bis ins Mark. Angela Merkels einigermassen gelassene Reaktion aus dem fernen China, wo sie am G-20-Gipfel teilnahm: Sie übernehme die Verantwortung, werde aber «weiterarbeiten». Sie bleibt sich also treu – und auf Kurs. Das ist nicht einfach «Augen zu und durch». Im kleinen Land im Nordosten Deutschlands selber wird das Resultat vom vergangenen Sonntag wenig ändern: Die grosse Koalition zwischen SPD, CDU und allfälligen Ergänzungskräften wird bestehen bleiben. 

Die Hauptgefahr, die von Erfolgen der Rechtspopulisten ausgeht, besteht darin, dass die Mitte-Rechts-Kräfte meinen, selber nach rechts rücken zu müssen.

Die Hauptgefahr, die von Erfolgen der Rechtspopulisten ausgeht, besteht darin, dass die Mitte-Rechts-Kräfte meinen, entweder aus politischem Kalkül oder längst vorhandener innerer Neigung selber nach rechts rücken zu müssen. Dieser Effekt ist in der CDU bis jetzt erfreulicherweise weitgehend ausgeblieben. Wenigstens gegen aussen stellt man sich vor die Kanzlerin. 

Erwartungsgemäss hat hingegen die CSU (Kollege Horst Seehofer) den Moment sogleich genutzt, um gegen die Parteischwester zu sticheln. Besonders peinlich war aber der Seitenhieb, der von der SPD kam, von Regierungspartner und Vizekanzler Sigmar Gabriel. Dieser bemerkte vor laufender Kamera in Richtung Merkel, es reiche eben nicht, nur zu sagen: «Wir schaffen das», und dann die anderen machen zu lassen.

Was hat denn die SPD selber gemacht? Ihr «Machen» besteht im Verlust von 5 Prozent Wähleranteil, derweil die CDU «bloss» 4 Prozent Minus zu beklagen hat. Und die ganz linke Linke? Sie musste gar 5,3 Prozent Verlust hinnehmen – und dies in einem ostdeutschen Bundesland.

Die traditionell linke Wählerschaft ist in Fragen der Migrationspolitik und der nationalen Politik durchaus anfällig für rechten Populismus.

Es mag erstaunen, dass sich die Rechte nicht nur auf Kosten der Mitte ausgedehnt hat, sondern in noch höherem Masse auf Kosten der Halb- und der Ganzlinken gewachsen ist. Doch die traditionell linke Wählerschaft ist in Fragen der Migrationspolitik und der nationalen Politik durchaus anfällig für rechten Populismus. Das hat man in der Schweiz in der Überfremdungsbewegung der 1970er-Jahre oder in der Frage der UNO-Mitgliedschaft in den Achtzigern gesehen. Und es erklärt teilweise die gegenwärtigen Erfolge der SVP. 

Es gibt die Vorstellung, dass sich eine Gesellschaft nach vorgegebenen politischen Segmenten gliedere und es ein Anhängerspektrum in stets einigermassen stabiler Verteilung gebe. Wenn unter diesen Umständen die Merkel-Partei ihr ursprüngliches Feld verlasse oder «verrate» und zu sehr in die Mitte und nach links rutsche, dann würde sie ihre frühere Wählerschaft den Rechtspopulisten gleichsam überlassen, so der Schluss. 

Nur falsch ist diese Deutung nicht. Zugleich ist aber die Preisgabe gewisser alter Positionen kein Fehler, sondern angebracht, zum Beispiel in der Frage der Energiewende oder der Frauenquote, und sollte deshalb von der Wählerschaft eigentlich honoriert werden. Es ist nicht Aufgabe einer Mitte-Rechts-Regierung, unter Preisgabe von Reformpolitik so weit nach rechts zu rutschen, dass dort kein Platz für eine Rechtsaussenpartei bleibt. Diese Strategie forderte in früheren Zeiten der bayrische Ministerpräsident Franz Josef Strauss (1978–1988), um so seine aus ureigenem Bedürfnis rechtslastige Politik zu rechtfertigen.

Wie reagieren?

Wie auf die rechtsnationale Herausforderung reagieren? Diese Frage stellt sich in vermehrtem Mass bereits seit Jahren und nicht nur in «Meck-Pomm». Soll man für die beanspruchten «Sorgen» Verständnis zeigen oder soll man erklären, dass es falsche Sorgen sind? Muss man Politik einfach besser erklären, dies an die Adresse von Leuten, die sie grundsätzlich nicht verstehen und sich die Gründe für ihre Vorwürfe nicht nehmen lassen wollen? Denn eine Eigenheit mancher Protestbewegungen besteht darin: Sie wollen die Welt gar nicht besser haben, weil es sie selber überflüssig machen würde.

Oder soll man ganz einfach unbeirrt den anfallenden Tagesgeschäften nachgehen? Einen 20-Prozent-Anteil der Rechtspopulisten kann man ja hinnehmen, das gehört heute eben zur normalen Ausstattung unserer Gesellschaften. Was aber, wenn er wächst? Die nötige Warnung kam von Charlotte Knobloch, der ehemaligen Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland: «Dass eine rechtsextreme Partei, die unverblümt widerlich gegen Minderheiten hetzt und mobilisiert, in unserem Land ungebremst aufsteigen kann, ist ein wahr gewordener Albtraum.» Eine Frau musste dies sagen.

Rechnungen, die am Wahltag dem Zahltag zugrunde gelegt werden, lassen sich je nach politischer Einstellung selbstverständlich unterschiedlich anstellen.

Wahltag, heisst es, ist Zahltag. Der Wahltag ist in der heutigen Politkultur aber auch Gelegenheit, es «denen da oben» heimzuzahlen. In diesen Landtagswahlen ging es weniger darum, die Politik zu beurteilen, die in der vergangenen Legislatur im Land und für das Land betrieben worden ist, sondern vielmehr darum, wieder einmal «ein Zeichen» nach der fernen Bundeshauptstadt zu senden.

Rechnungen, die am Wahltag dem Zahltag zu Grund gelegt werden, lassen sich je nach politischer Einstellung selbstverständlich unterschiedlich anstellen. Ein zu grosser Teil dieser Wählerschaft prüft und rechnet aber überhaupt nicht, sondern macht nur einer Stimmung Luft. Empörungsbereite sehen sich gerne als «Haufen von Niemanden», um sich im Vergleich zu Flüchtlingen als Benachteiligte zu fühlen und ihre Feindseligkeit kultivieren zu können. Dabei machen nicht nur sozial Schwache, sondern auch gutsituierte Wählerinnen und Wähler mit.

Die AfD ist wie ihre Pegida-Schwester ein Musterbeispiel des Rechtspopulismus. Sie lebt von der Bewirtschaftung zweier verschärfter Kontraste: von der groben Gegenüberstellung von draussen und drinnen sowie von oben und unten. Die aktuelle Flüchtlingspolitik ist für das «Meck-Pomm»-Land, das fast keine Flüchtlinge hat, Politik von oben für die von draussen. Das wurde aber bereits lange vor dem «Flüchtlingssommer» von 2015 so gesehen. Und jetzt nutzt die AfD Merkels Haltung als willkommenes Geschenk.

Und in Basel?

Wahltag-Zahltag auch in Basel? Bevor wir in unserer schnelllebigen Zeit einen kleinen Zwischenfall vergessen, sei er nochmals kurz vergegenwärtigt: Zum Wahlauftakt hat sich ein SVP-Grossratskandidat über Facebook Beachtung verschafft und zu einer Regierungsratskandidatin bemerkt: «Na, die würde nicht einmal ein Blinder vergewaltigen wollen.»

Hat sich dieser Mann, wie er bemerkte, bloss «im Ton» vergriffen oder auch inhaltlich etwas Ungeheuerliches von sich gegeben? Das Maximum, was der SVP-Präsident an Distanzierung zustande brachte, war: Der Kandidat habe etwas auf Facebook geschrieben, «was er nicht hätte schreiben sollen». 

Der «Ausrutscher» wurde schnell gelöscht, weil er sich, wäre er länger online geblieben, für den Kandidaten und seine Partei wohl eher negativ ausgewirkt hätte. Ich hätte mir gewünscht, er wäre nicht gelöscht worden, damit man unzensuriert sehen könnte, wessen Geistes Kinder sich in dieser Partei tummeln. 

Eine Wette: In keiner anderen Partei gibt es Kandidaten, die solche Sprüche ins Netz stellen würden. Nicht nur aus Political Correctness und zur Vermeidung von Reputationsschäden, sondern weil die dazugehörige Mentalität nicht gegeben ist. Bei der nochmaligen Abklärung dieses Zwischenfalls bin ich auf eine Dokumentation gestossen, die man ebenfalls im Netz finden kann. Sie beginnt mit dem Hinweis auf die – inzwischen auch gelöschten – bekannten frauenfeindlichen Auslassungen von SVP-Nationalrat Glarner. Sie sei jedoch bis zum Schluss der aufmerksamen Lektüre empfohlen.

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