Zerplatzte Ballone und Träume – die Wahlnacht bei den Demokraten

An der Wahlparty der Democrats Abroad Switzerland in Basel hoffte einer insgeheim auf einen Sieg von Donald Trump. Alle anderen hofften auf Hillary. Die Chronik einer nervenaufreibenden Nacht.

(Bild: Gabriel Brönnimann)

An der Wahlparty der Democrats Abroad Switzerland in Basel hoffte einer insgeheim auf einen Sieg von Donald Trump. Alle anderen hofften auf Hillary. Die Chronik einer nervenaufreibenden Nacht.

Am TV über der Bar im O’Neills Irish Pub beim Birsig-Parkplatz hinter der Steine läuft «Sky News». Donald Trump und Hillary Clinton wechseln sich zwischen bunten Bündeln von Ballons ab. Es ist Dienstagabend, kurz vor 22 Uhr, die Bar ist voll. «Kann man das nicht auf CNN umstellen?», fragt ein Mann.



Auch eine Art Blinde Kuh mit Trump gab's – da lachten die Demokraten noch über den Kandidaten der Republikaner.

Auch eine Art Blinde Kuh mit Trump gab’s – da lachten die Demokraten noch über den Kandidaten der Republikaner. (Bild: Gabriel Brönnimann)

«Sky News ist verhext. Remember Brexit», witzelt eine junge Frau über den britischen Sender, auf dem – wie überall auf der Welt und auf jedem Bildschirm im Pub – US-Wahlberichterstattung läuft.

Pizza und Trump-Bingo

Man spricht Englisch. American English: Iren stehen hinter dem Tresen, die Party machen die Democrats Abroad Switzerland – die Vereinigung der Demokraten im Ausland, in 141 Ländern der Welt vertreten.



Trump-Floskel-Bingo mit Bohnen.

Trump-Floskel-Bingo mit Bohnen. (Bild: Gabriel Brönnimann)

Der Abend beginnt einigermassen fröhlich und zuversichtlich. Man vertreibt sich die Zeit bis zu den ersten Hochrechnungen mit Essen (Pizza, mostly) Bier und verschiedenen Spielen – etwa einem Trump-Bingo und einem Wahlkampf-Quiz.

«Er darf nicht gewinnen. Es wäre unvorstellbar»

All die Spiele können nicht über die Anspannung unter den Wahl-Party-Gästen hinwegtäuschen. Einen Sieg des Reality-TV-Stars, Immobilien-Geschäftsmanns ohne politische Erfahrung: undenkbar für die Anwesenden.

«Ich kann meinen Mann doch nicht in Trumps Amerika mitnehmen, das ist unvorstellbar», sagt Alissa Palumbo Högger. Die Amerikanerin aus Pennsylvania lebt seit sieben Jahren in der Schweiz, hat hier geheiratet, ist Anwältin, hat doktoriert und ist nun Lehrbeauftragte an der juristischen Fakultät der Uni Basel.



Anwältin Alissa Palumbo Högger: «Ich kann meinen Mann doch nicht in ein Trump-Amerika mitnehmen».

Anwältin Alissa Palumbo Högger: «Ich kann meinen Mann doch nicht in Trumps Amerika mitnehmen». (Bild: Gabriel Brönnimann)

«Das wäre ein abweisendes Amerika.» Sie sei aus Überzeugung für Hillary, fügt Palumbo Högger an: «Ich mag Hillary. Sie ist sehr intelligent, qualifiziert für den Job – und sie hat alles geopfert für diese Aufgabe.»

«Trump operiert nicht in der Realität»

Es ist mittlerweile kurz vor Mitternacht, es gibt eine T-Shirt-Verlosung. Erste Hochrechnungen von der Ostküste werden bekannt. Es wird noch knapper als erwartet. «Ich kann nicht glauben, wie knapp das ist. Das ist doch einfach kein Vergleich», sagt Susan Stavenhagen, die seit August in der Schweiz lebt.

Stavenhagen schüttelt den Kopf: «Sie hat Erfahrung, ist die geeignetste Person für den Job. Er sollte nicht mal Kandidat sein, er lügt, er betrügt Leute, vor allem die, die für ihn gearbeitet haben – und er operiert ja offenkundig nicht in der Realität», sagt die Amerikanerin aus Washington D.C.



Susan Stavenhagen, aus Washington D.C., lebt seit August 2016 in der Schweiz. «Es gab einmal eine Zeit, da bedeuteten öffentliche Ämter noch etwas.»

Susan Stavenhagen, aus Washington D.C., lebt seit August 2016 in der Schweiz. «Es gab einmal eine Zeit, da bedeuteten öffentliche Ämter noch etwas.» (Bild: Gabriel Brönnimann)

Sie sehne sich zurück in eine Zeit – so lange sei die gar nicht her –, als ein öffentliches Amt noch Würde hatte – «und wer versuchte, eines zu bekleiden, der brachte zumindest ein minimales moralisches Fundament mit».

«Es ist zu schrecklich»

Die Möglichkeit, dass Trump die Wahl schaffen könnte, an die mag ETH-Post-Doc Jackson Cahn gar nicht denken. Der Biochemiker aus dem Bundesstaat Washington könne sich nicht vorstellen, wie einer wie Trump mit irgendjemandem zusammenarbeiten könne.



Biochemiker Jackson Cahn aus dem Bundesstaat Washington: «Ich will mir gar nicht vorstellen müssen, was ein Amerika mit Trump bedeutet. Es will mir nicht gelingen.»

Biochemiker Jackson Cahn aus dem Bundesstaat Washington: «Ich kann mir jetzt nicht mal vorstellen, wie Trumps Amerika sein würde. Schrecklich.» (Bild: Gabriel Brönnimann)

Ausserdem, so Cahn, sei nicht auszudenken, was Trump mit der Machtfülle des Amts alles anstellen könnte, habe Trump doch schon angekündigt, rücksichtlos gegen seine persönlichen Feinde vorzugehen. «Mir macht auch das Ansehen der USA im Ausland sorgen: Ich will doch nicht, dass so einer Amerika repräsentiert.»

«Es ist auch Zeit, dass wir eine Präsidentin bekommen», sagt Melissa Hughes vom Wahl-Party-Organisationskomitee der Democrats Abroad. Ein Präsident Donald Trump mache ihr Angst – er habe «keine Ahnung von praktischer Politik, er ist überhaupt nicht informiert – und er ist ein Mensch, der die Leute spaltet, statt sie zu einen».



Vor Mitternacht war die Party noch eine fröhliche Angelegenheit: Democrats-Abroad-Helferin Melissa Hughes.

Vor Mitternacht war die Party noch eine fröhliche Angelegenheit: Democrats-Abroad-Helferin Melissa Hughes. (Bild: Gabriel Brönnimann)

Nervenflattern und 1000 Pfund

Die knappen Resultate – und die überraschenden, weil so nicht vorhergesehenen Trump-Gewinne – sorgen für Nervenflattern im Raum. Resultat um Resultat, Hochrechnung um Hochrechnung lösen Raunen aus. Nur selten gibt es –verhalten – Applaus und Jubel.

Einzig der Mann hinter dem Tresen bleibt auffällig fröhlich. Es liegt nicht daran, dass viele vom Kaffee wieder auf Stiff Drinks wechseln und er für Umsatz sorgt. Während ein Experte bei CNN gerade erklärt, wie viele Punkte ein weiterer Trump-Staatengewinn die Wirtschaft eben gekostet hat, sagt Barry Enright mit unverkennbarem irischen Akzent: «Wenn Trump gewinnt, verdiene ich 1000 Pfund!»

Der heimliche Trump-Supporter

Wie das? Der junge Barman – er ist vorübergehend als Aushilfe aus Aachen angereist – grinst: «Ich habe schon vor den Primaries auf Trump gewettet und die Wette verlängert. 200 Pfund habe ich auf sicher. Mein Grundeinsatz? Fünf Pfund!» Dabei sei er ja eigentlich gar nicht für Trump. Aber tausend Pfund? Wären schon nicht schlecht.




Machte mit Trumps Sieg aus 5 Pfund deren 1’000: Barman Barry Enright.

Die einen gewinnen, die anderen verlieren. Es geht auf- und ab, von Ost nach West auf der US-Karte, die Anspannung im Pub steigt weiter. «Das ist doch einfach zum Verzweifeln. Am Ende werden sie wieder einen Monat lang zählen», sagt jemand, und ein anderer antwortet resigniert: «Wie hat es nur so weit kommen können?»

«Viele haben bei Wahl-Umfragen nicht die Wahrheit gesagt»

Hängende Köpfe, wohin man blickt – nur die rot-blau-weissen Helium-Ballons zeigen stramm zur Decke.



Je länger der Abend, desto länger die Gesichter.

Je länger der Abend, desto länger die Gesichter. (Bild: Gabriel Brönnimann)

«Viele haben wohl bei den Umfragen nicht die Wahrheit gesagt», sagt Kate Edson, die Präsidentin des Basler Chapters der Democrats Abroad. Warum? Die Gehirnforscherin, die seit 27 Jahren in der Schweiz zu Hause ist, meint: «Vermutlich haben sich viele erst gar nicht getraut. Man wurde schon auch das Ziel von Spott, wenn man sich zu Trump bekannte.»

Fassungslos blickt sie Richtung TV. Das Befürchtete wird immer wahrscheinlicher, während es draussen schon fast dämmert.

Kate Edson seufzt. Eigentlich sei jetzt gar nicht der ideale Moment, um all das zu besprechen – sie könne ja ihre Gedanken kaum sortieren. Während sie traurig auf den Bildschirm schaut, erzählt sie vom nach wie vor grossen Unterschied zwischen dem städtischen und dem sub-urbanen und ländlichen Amerika, das sie von ihrem Heimatsstaat Nebraska kennt.



Gehirnforscherin Kate Edson weiss zum Zeitpunkt dieses Fotos, dass Hillary kaum mehr eine Chance haben wird. Sie ist Vorsteherin des Basler Chapter der Democrats Abroad und lebt seit 27 Jahren in der Schweiz.

Gehirnforscherin Kate Edson weiss zum Zeitpunkt dieses Fotos, dass Hillary kaum mehr eine Chance haben wird. Sie ist Vorsteherin des Basler Chapter der Democrats Abroad und lebt seit 27 Jahren in der Schweiz. (Bild: Gabriel Brönnimann)

Sie diskutiere regelmässig mit republikanischen Freunden und Bekannten. Und sie beobachte dabei immer dasselbe – man könne es ja gerade live am TV beobachten, auf den Karten: Die urbanen Gegenden ticken demokratisch, die ländlichen Gegenden republikanisch.

«Sobald jemand wirklich Kontakt zu anderen Menschen hat, lösen sich viele Probleme von selbst», sagt Edson. Sie habe das in der Familie und im Freundeskreis selbst erlebt. Sobald jemand in die Stadt zieht und beruflich mit Menschen aus anderen Kulturen in Kontakt komme, verschwänden viele Vorurteile einfach.

Medien und Männer

Schuld am Debakel seien aber auch die Medien: «Erstens die Propaganda von Fox News, ein rein politischer Sender, der Lügen und Unsinn verbreitet – und dazu noch die anderen grossen Sender, die von Entertainment-Firmen verwaltet werden, längst nicht mehr echtem Journalismus verpflichtet sind.» Letzterer sei ein rares Gut geworden.

Und nicht zuletzt macht sie die Männer für Trumps Wahl verantwortlich – jedenfalls die, die nicht mit modernen Frauen umgehen können: «Hillary ist eine starke, toughe Frau – kaum jemand wäre sonst noch in diesem Rennen dabei. Aber stark, intelligent und tough, das ist bei Leuten, die mit Frauen Mühe haben, noch immer ein No-Go.»

Es gibt Kaffee, Gipfeli und Apple Pie. Die Deko-Ballons werden eingesammelt, die allermeisten der ursprünglich rund 50 Party-Besucher sind schon auf dem Sprung nach Hause.

«Die klitzekleine Chance, dass wir vielleicht trotzdem noch gewinnen, die nehmen wir gerne als Geschenk mit nach Hause.»

Warum schon? Ganz vorbei ist es noch nicht. Schulterzucken. Es sieht nicht gut aus für Hillary, nicht gut für die Democrats Abroad. Gar nicht gut.

«Wir haben akzeptiert, dass wir wohl verloren haben», sagt Susan Stavenhagen. «Die klitzekleine Chance, dass wir vielleicht trotzdem noch gewinnen, die nehmen wir gerne als Geschenk mit nach Hause.»

«Gute Nacht», sagt sie zum Abschied, als sie mit ihrer Gruppe aufbricht. Und fügt leise an: «Wir glauben nicht an das Geschenk.»

Closing Time

Der von den Democrats gemietete Pub schliesst um 8 Uhr seine Türen. 11 Stunden lang hat die Wahl-Party gedauert.

Eine halbe Stunde später steht das endgültige Resultat offiziell fest. Es gibt kein Geschenk. Donald Trump wurde zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gewählt.



Was vom Democrats-Abroad-Abend übrig blieb.

Was vom Democrats-Abroad-Abend übrig blieb. (Bild: Gabriel Brönnimann)

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