Weissrussland gilt als eines der homophobsten Länder in Europa. Unsere Korrespondentin hat drei mutige Dragqueens in Babrujsk besucht. Sie sind vielleicht die letzten Travestie-Künstler von Belarus.
Die wirkliche Arbeit für Kostja (links), Jura (rechts) und Nikolaj (mitte) beginnt lange vor der Aufzeichnung ihrer Show.
(Bild: Carolina Poliakova)Am Stadtrand von Barbujsk in einer alten Garage haben sie ihr geheimes Studio aufgestellt.
(Bild: Carolina Poliakova)Im Weissrussland von Alexander Lukaschenko ist für Männer, die sich schminken kein Platz.
(Bild: Carolina Poliakova)Die beiden Mitzwanziger halten aber weder Morddrohungen, noch die weitverbreitete Vorstellung, das Homosexualität eine Geisteskrankheit ist, ab.
(Bild: Carolina Poliakova)Sie träumen von der grossen Bühne, wie ihr Vorbild Conchita Wurst es erreicht hat.
(Bild: Carolina Poliakova)Die Posen und Mimik stimmen schon mal – auch ohne Bart.
(Bild: Carolina Poliakova)Einmal im Monat nehmen Lady Santana und Madame Jura ein neues Video auf.
(Bild: Carolina Poliakova)Als Equipment reicht dem Duo bereits ein Handy.
(Bild: Carolina Poliakova)Die Show ist ein Potpurri aus Sketchs, Songs und Sprüchen.
(Bild: Carolina Poliakova)Aber die Wirtschaftskrise und die homophobe Haltung macht auch den beiden Travestie-Künstlern zu schaffen. Wie viele vor ihnen möchten die beiden bald möglichst aus Weissrussland raus – selbst Russland kommt in Frage.
(Bild: Carolina Poliakova)Wer nach den Dragqueens von Belarus suchen will, der findet sie nicht in einem Schwulen-Klub in der belarussischen Hauptstadt Minsk oder einem Underground-Theater in Brest. Nicht bei den heimlichen Hauspartys der LGBT-Szene in Gomel oder Hrodna. Sondern hier, in der Kleinstadt Babrujsk, zwei Autostunden von Minsk entfernt.
Ehemaliges sowjetisches Kerngebiet: Lenin-Statue im Zentrum, Fabrikschlote ragen in den Himmel, die Busstationen heissen «Lederkolchose» oder «Reifenfabrik». Doch in einer Lagerhalle am Stadtrand, kaum grösser als eine Garage, fegen High-Heels über die kalten Fliesen, Luftballons gleissen im Scheinwerferlicht.
Einmal im Monat wird hier Jura zu Jurena. Der 22-Jährige tauscht den Kapuzenpulli gegen das Etuikleid, die Mütze gegen die Perücke mit der roten Fransenfrisur, und wird zur tollpatischen Ulknudel mit dem derben Spruch. Und aus Kostja, dem schlanken Mitt-Zwanziger, wird Lady Santana: knappes Cocktailkleid, wallende Mähne, purpurner Schleier. Blond, aber klug, elegant, aber auch ein Luder.
Die Kamera geht an und «Illusija» beginnt – das Travestie-Projekt Illusion der beiden Männer. Es ist ein buntes Potpourri aus Cover-Songs, Sketches, Slapsticks und lustigen Hoppalas.
Kamera an und die Show beginnt: Jura und Kostja alias Madame Jura und Lady Santana sind bereit für ihre Show «Illusija». (Bild: Carolina Poliakova)
«Herzlich Willkommen», heisst es jeweils zu Monatsbeginn, wenn eine neue Folge des Programms «Revolution» aufgenommen wird – mit dem Smartphone. 600 User werden das Video später auf Youtube anklicken. Könnte schlimmer sein in einem derart homophoben Land wie Belarus, sagt Jura nicht ohne Stolz. In einem Land, in dem der Präsident es besser findet, «Diktator zu sein, als schwul» und die Mehrheit der Bevölkerung Homosexualität für eine geistige Erkrankung hält.
Belarus.
Wenig dringt aus der «letzten Diktatur Europas», dem knapp zehn-Millionen-Einwohner-Land zwischen Polen, dem Baltikum, der Ukraine und Russland, nach draussen. Am Sonntag finden in Belarus Präsidentschaftswahlen statt, die fünfte Amtszeit Alexander Lukaschenkos gilt als sicher. Er führt das Land seit 1994 mit harter Hand: Oppositionelle werden eingesperrt, Menschenrechte unterdrückt.
In kaum einem anderen Land leben Schwule und Lesben so gefährlich, wie in Belarus: Sie werden bedroht, verprügelt und manchmal sogar umgebracht. Ein Leiter einer belarussischen Jugendorganisation geisselte Homosexualität gar als «eine Sünde und Perversion, die den Tod verdient».
Auch Jura und Kostja sind vorsichtiger geworden. Der Ort der monatlichen Dreharbeiten ist geheim. Dass sie schwul sind, wissen nur die engsten Freunde. Wer sich in Belarus offen zu seiner Homosexualität bekennt, wird ganz offen – wie bei der Arbeitssuche – diskriminiert. Zwischen der Fanpost verirrt sich auch die eine oder andere Morddrohung, räumt Jura ein. «Wir verstehen natürlich, dass das bis zu einem gewissen Grad eine Erpressung ist», sagt Jura nachdenklich. Schliesslich kämen mit dem Erfolg ja auch die Neider.
Doch anders als Conchita Wurst, die nach dem Songcontest einen Höhenflug erlebte, hat die Revolution von Babrujsk zuletzt Gegenwind bekommen. Im letzten Halbjahr wurde «Illjusia» nur drei Mal gebucht. So sei es aber vor allem die Wirtschaftskrise und weniger das homophobe Umfeld, was die Geschäfte verhagelt, sagt Kostja: «Wir hören oft, dass wir zu teuer sind. Aber all die Kosmetik, die Kleider – das kostet nun mal Geld! Oder wollt ihr uns immer in denselben Klamotten sehen? Unser Figuren verlangen nun mal nach Glanz und Glamour!»
Im Fahrwasser der russischen Wirtschaftskrise hat zuletzt auch der belarussische Rubel stark an Wert verloren, die Preise sind gestiegen. Die Bücher der belarussischen Industriebetriebe, die hauptsächlich nach Russland liefern, sind leer. Belarus ist erstmals seit Lukaschenkos Amtsantritt 1994 in der Rezession. «Die Nachfrage nach Travestie-Shows sinkt immer weiter», klagt auch Jura.
Kiew oder Moskau? Hauptsache nicht Belarus
Mit dem schlechten Geschäft steigt auch der Frust, wenn es bei den Auftritten Probleme gibt. So wurden die Travestie-Diven zuletzt bei einer Show von einem Betrunkenen attackiert. Seither schreiben sie eine Klausel in ihre Verträge, um die Show sofort abbrechen zu können, aber trotzdem ihr Geld zu erhalten.
«Ich möchte endlich in einem Land leben, in dem es akzeptiert wird, was wir machen», sagt der Stylist Nikolaj. Auch Jura und Kostja träumen von einer Karriere im Ausland. «Wenn sich eine Möglichkeit bietet, dann werden wir ausreisen», sagt Jura bestimmt. «Da besteht kein Zweifel.» Kiew, St. Petersburg oder Moskau. Hauptsache, weg aus Belarus.
Aber ausgerechnet Russland, wo zuletzt das Gesetz zum Verbot von «Homosexuellen-Propaganda» verabschiedet wurde?
Aber ausgerechnet Russland, wo zuletzt das Gesetz zum Verbot von «Homosexuellen-Propaganda» verabschiedet wurde? «Dort gibt es zumindest Klubs mit fixen Ensembles», sagt Jura. «In Russland sind sie schon viel weiter, als bei uns.» Erst zuletzt hätten die «Singenden Königinnen», belarussische Travestie-Diven der ersten Stunde, Belarus in Richtung Russland verlassen.
«Eigentlich wollen alle Travestie-Gruppen, die eine Perspektive für sich sehen, ins Ausland», seufzt Kostja nach einer Weile und zieht an seiner Zigarette. Im Hinterzimmer hängen schon die Zigarettenschwaden. «Wir sind jetzt das einzige Travestie-Kollektiv in Belarus. Das Genre stirbt aus.»
Humor hilft auch in der Not
Das Duo nimmt die Situation mit Humor, so gut es geht. Am Ende bekommt auch die Autorin noch ihr Fett ab. Wenige Tage nach dem Besuch wird eine neue Folge gedreht. Jura schlüpft in die Gastrolle einer blonden Journalistin mit ausländischem Akzent. Auf die bohrenden Fragen der Journalistin, wie sie denn zu ihren Auftritten gekommen seien, antworten die Travestie-Diven mit einer lapidaren Antwort. Na wie schon? Durch die Tür!
Dennoch hält der Ernst schnell wieder Einzug in der Lagerhalle von Babrujsk. Zuletzt ist auch der Stylist Nikolaj nach Russland ausgereist. Bis mit Madame Jurena und Lady Santana auch eine der letzten Travestie-Künstler Belarus verlassen – es ist wohl nur noch eine Frage der Zeit.