Masken, Voodo-Puppen und Heiligenfiguren, die Volkskunst Lateinamerikas ist die Leidenschaft von Valentin Jaquet. Auf knapp 20 Reisen schuf der Basler Architekt eine bedeutende Sammlung. Das Museum der Kulturen zeigt sie in einer Ausstellung.
Gegen die Krankheit von Valentin Jaquet hilft kein Mittel. Sie kommt in Schüben, packt und schüttelt ihn, sie ergreift Besitz von seinem Verstand und vernebelt seine Sinne.
Hätte das Frachtschiff im September 1959 in Rotterdam ohne ihn abgelegt, wäre vielleicht alles anders gekommen. Mit seiner damaligen Frau machte er sich auf den Weg nach Lateinamerika, gemeinsam wollten sie auf den Spuren des Designers Charles Eames durch Amerika fahren. Davor hatte der Architekt während vielen Jahren auf einer Grossbaustelle beim Kernforschungszentrum in der Westschweiz gearbeitet. Mit einem alten MG mit Speichenrädern schifften sie stilbewusst in Rotterdam ein und fuhren vier Wochen später in Guatemala wieder von Bord.
Wenige Tage nach ihrer Ankunft verliessen er und seine Frau bestürzt einen blutigen Hahnenkampf. Als Erinnerung an diese verstörende Erfahrung kaufte Jaquet auf einem Markt einen blechernen Hahn. Es war jener Moment, in dem er sich mit dem Sammelfieber infizierte. Davon ahnte er zu diesem Zeitpunkt nichts, doch die ersten Schübe packten ihn schon in den nächsten Wochen.
«Zum Sammler wird man, das lässt sich nicht planen.»
Während der dreijährigen Reise durch Mittel- und Südamerika schickte er in grossen Kisten per Schiff Volkskunstobjekte nach Basel. Dort veranstaltete sein damaliger Freund Niggi Kornfeld mit den Sammlerstücken eine erste Ausstellung. Per Telegramm schrieb er an Jaquet nach Mexiko. «Grosse Vernissage. Alles verkauft. Die Hälfte an das Völkerkundemuseum.» Vom Erlös konnte sich Jaquet einen Teil seiner Reise finanzieren. «Zum Sammler wird man, das lässt sich nicht planen», sagt er rückblickend im Garten seines Anwesens in Riehen.
Drei Jahre nach seiner Rückkehr reiste er erneut nach Lateinamerika. Dort angekommen entschied er, systematisch eine Sammlung zur Populärkultur Mittel- und Südamerikas anzulegen. In Einbäumen auf von Urwald umwachsenen Flüssen, in Buschflugzeugen und auf holperigen Pisten erreichte er abgelegene Dörfer.
Seine Suche nach neuen Sammelstücken trieb Jaquet in alle Regionen Lateinamerikas, von Mexico bis Paraguay, von Peru bis Brasilien. «Im Mittelpunkt stand für mich stets das Reisen und das Sammeln. Weniger die Sammlung an sich.» Auf 18 Reisen verbrachte Jaquet insgesamt acht Jahre in Lateinamerika. Über die Jahre wuchs die Sammlung auf über 5000 Objekte an.
«Im Mittelpunkt stand für mich stets das Reisen und das Sammeln. Weniger die Sammlung an sich.»
Heute lagern diese im Keller des «Klösterli». Ein 500 Jahre altes Haus im Zentrum von Riehen, in dem ehemals ein Sohn Johann Rudolf Wettsteins lebte. In hohen Schränken liegen rituelle Masken neben Tonschalen, Steinfiguren, Federschmuck, Voodoo-Puppen und Heiligendarstellungen. Die Gegenstände sind sorgfältig sortiert, jeder einzelne in einem Katalog festgehalten.
Der Einfluss der europäischen Eroberer ist vielen Sammelobjekten anzusehen. «Das Thema meiner Sammlung ist die Vermischung von europäischer und lateinamerikanischer Kultur», sagt Jaquet und öffnet eine nächste Schranktür. Dieser Schrank ist leer, wie auch der übernächste. Ein Grossteil seiner Sammlung steht zurzeit im Museum der Kulturen.
Im Garten vor dem Haus plätschert ein Brunnen, alte Mauern trennen das Anwesen von der kleinen Strasse, die daran vorbeiführt. Valentin Jaquet schliesst die Kellertür hinter sich und zeigt auf einige historische Bauten in der Nachbarschaft, welche die Gemeinde einst abreissen wollte.
«Das Thema meiner Sammlung ist die Vermischung von europäischer und lateinamerikanischer Kultur.»
Sein Vater, ein Reeder, kaufte sie schliesslich und bewahrte sie so vor dem Verschwinden. Architektur ist für Jaquet ein emotionales Thema und wenn er leidenschaftlich gestikulierend vor einem steht, würde kaum jemand vermuten, dass der Freizeitruderer dieses Jahr seinen 85. Geburtstag feierte.
Eine halbe Stunde später steht Jaquet vor dem Museum der Kulturen, dem er dereinst seine Sammlung vererben will. Man kennt Jaquet hier, die Mitarbeiter grüssen ihn mit respektvoller Zurückhaltung.
Im zweiten Stock ist seine Sammlung in Vitrinen und auf Podesten inszeniert wie Kunstwerke. «Ich will die Virtuosität dieser Gegenstände zeigen, der künstlerische Wert dieser Volkskunst wird häufig unterschätzt.» Mitten im Ausstellungsraum kehrt Jaquet zurück an den Amazonas, erzählt von den Purpurmuscheln, von Marktverkäufern und davon, wie er mit neun Rollen Toilettenpapier eine Heiligenfigur transportsicher verpackte.
Mitten im Ausstellungsraum kehrt Jaquet zurück an den Amazonas.
Nach wenigen Minuten sind wir von einer kleinen Gruppe Museumsbesucher umringt. Es sind Geschichten wie aus fiebrigen Träumen und die nächste Reise ist bereits geplant, denn in einem Land Lateinamerikas war Jaquet noch nie: Uruguay. In einigen Monaten will er die Koffer packen.
«Eigentlich» sagt Jaquet aufgewühlt, als die Zuhörer sich wieder zerstreut haben, «ist das hier alles eine Retrospektive.» Heute sei dieses Kunsthandwerk überall in Lateinamerika am Verschwinden. «Damit man sich auch in Zukunft daran erinnert, braucht es vielleicht ein paar leidenschaftliche Spinner wie mich.»